# taz.de -- Los Angeles zwischen 1940 und 1990: Die ikonische Ästhetik Kalifor… | |
> Viele Orte wirken direkt greifbar. Die Ausstellung „Overdrive, L.A. | |
> constructs the future 1940–1990“ stellt die Entwicklung von L.A.s | |
> zwischen 1940 und 1990 dar. | |
Bild: Minoru Yamasak/Carlos Diniz, Century Plaza Hotel, abgesenkte Plaza, 1962 | |
Wer das Glück hat, an einem Montag ins hoch in den Bergen von Brentwood | |
gelegene Getty Center hinaufzudürfen, an einem Tag, an dem es sonst für das | |
Publikum geschlossen ist, kann ohne den geschwätzigen Lärm von Großfamilien | |
und Teenagern über eine rätselhafte Stadt blicken. | |
Mehr als dreizehn Millionen Menschen leben in der Metropolenregion, | |
verteilt auf 88 Städte, die zusammengewachsen sind. An die einhundert | |
Sprachen werden täglich gesprochen. | |
Viele Orte wirken direkt greifbar, sie sind alte Bekannte aus Film und | |
Fernsehen: Nach rechts streckt sich Venice Beach und Santa Monica; scharf | |
links das teure Brentwood, dahinter das oft vulgär reiche Beverly Hills mit | |
seinen grünen Rasenflächen, über dessen kostenintensive Bewässerung schon | |
Bertolt Brecht fluchte. Dazwischen das seltsame Westwood, durch das | |
archetypische Studenten schlurfen, privilegiert und nachlässig gekleidet: | |
Ein Café aber, das nicht zu einer großen Kette gehört, werden sie nicht | |
finden. | |
Noch schwerer ist es, in der Nähe der privaten und weit teureren University | |
of South California an einen Espresso zu kommen: Weitab von saftigen Wiesen | |
und teuren Cabriolets hausen dort Armut und Gewalt. USC liegt in einer | |
Ecke, die Angelenos als Ghetto bezeichnen. | |
## Reiches Kulturangebot | |
Am Wilshire Boulevard trieb einst das Rat Pack sein Unwesen: Gerade hat | |
Peter Zumthor vorgeschlagen, dass enorme und etwas zergliederte Los Angeles | |
County Museum abzureißen und durch eine noch größere Gesamtlösung zu | |
ersetzen. Nirgends gibt es derart viele Museen pro Einwohner, das | |
kulturelle Angebot L.A.s ist dem von New York mindestens ebenbürtig. | |
Eintrittspreise und Mietkosten sind es allemal. Nicht wegen, sondern eher | |
trotz der Unterhaltungsindustrie ist Los Angeles fast interessanter, wenn | |
es um unabhängige Kunst geht, um kleine Galerien und Start-up-Unternehmen. | |
Auch das Getty mit seinem Museum und dem Center, in dem das Research | |
Institute untergebracht ist, gehört maßgeblich zur kulturellen Landschaft | |
von Los Angeles. J. Paul Gettys Ölmilliarden flossen in einen Trust, der | |
umfassend versucht, Kunst und Kultur der Moderne zu begreifen. Zurzeit wird | |
die Modernisierung der Stadt selbst verhandelt, in einer großangelegten | |
Schau. „Overdrive. L.A. constructs the future 1940–1990“ widmet sich der | |
Verkehrs- und Infrastrukturplanung, den Ingenieursleistungen, Bildung, | |
Wasserwirtschaft und Unterhaltung. Alles im Spiegel der Architektur. | |
Entsprechend finden sich hier Bauskizzen der beiden Universitäten ebenso | |
wie Silbergelatine-Abzüge von alten Diners mit ihrer ins Ikonische | |
geronnenen Ästhetik Kaliforniens. Wer die Geschichten hinter den Bildern | |
erfahren will, wer dem Geschmack der Nachkriegszeit und der Komplexität der | |
Ausstellung nachspüren will, muss allerdings zwingend den umfangreichen | |
Katalog in die Hand nehmen. | |
Zahlreiche Essays erklären, was auf den Bildern zu erahnen ist: | |
Stadtplanung und Bau sind immer auch soziale Eingriffe und dabei nicht | |
immer elegant. Die Baumaßnahmen der Freeways zeigen etwa, dass | |
Infrastrukturmaßnahmen häufig so angelegt wurden, dass schmuddelige Ecken, | |
verarmte und immer häufiger auch rebellierende Nachbarschaften gleich | |
komplett abgerissen oder zergliedert werden konnten. | |
Deshalb, schreibt Eric Avila, durchpflügen den armen Osten der Stadt sieben | |
breite Autobahnen. Im reichen Westen gibt es einen Freeway. Ausbreitung und | |
Vertreibung in der Horizontalen sollte zu einer geringere Dichte an | |
Problemen, wenigstens aber zu einer geringere Sichtbarkeit der Missstände | |
führen. | |
## Die Zukunft bauen | |
Der Fokus der Ausstellung liegt auf den im Untertitel verwendeten Begriffen | |
„constructs“ und „future“: Soziale Verwerfungen und Aspekte der | |
Einwanderung sind Nebenkriegsschauplätze, der Architektur und dem Städtebau | |
untergeordnet. Eine solche Begrenzung ist fruchtbar, allerdings könnte der | |
Boden, auf dem Architektur und Stadtplanung wuchsen, stärker betont und | |
über das Episodenhafte hinaus sichtbar gemacht werden. Was eigentlich | |
geschah mit den Bewohnern von Bunker Hill? Die verkommene, vormals recht | |
feine Nachbarschaft mit ihren viktorianischen Häusern wurde in den 1960er | |
Jahren komplett geräumt und durch die Hochhäuser der City ersetzt. | |
Ausstellungsstücke werden nicht zu Ende erzählt: Was heute wie grotesk | |
überzeichnete Propaganda wirkt, sollte als Werben für den Busverkehr | |
funktionieren – die Allianz der Automobilhersteller gegen das einst | |
ausgeprägte Straßenbahnnetz unterschlägt die Ausstellung freilich. Darüber | |
wird die politische Auswertung der Ausstellung etwas rissig, ihr fehlen die | |
Metaerzählungen: Eine Kritik am seltsam verschobenen Individualismusbegriff | |
wäre gerade anhand der Verkehrsplanung in Los Angeles anschaulich zu | |
machen. | |
## Die Case Study Homes | |
Dafür ergeben sich andere Zwischentöne. Aus den Essays des Katalogs wird | |
klar, dass Ideen der modernen Architektur ein steifer Wind ins Gesicht | |
blies. Das betraf auch die Case Study Homes, jener heute ikonische Versuch | |
einer Architekturzeitschrift, der nach dem Zweiten Weltkrieg rasch | |
wachsenden Stadt mit günstigem, modernem und serienreifem Wohnraum | |
entgegenzukommen. Die Schwierigkeiten, moderne Architektur nach Los Angeles | |
zu bringen, die zeitgenössischen Debatten um Wohnstile und die Kämpfe, | |
diese auch gegen private Interessen zu unterstützen, sind wahrlich | |
überraschend. | |
Wer die Entwurfskizzen und Modellen sieht, versteht, wie bizarr es in der | |
Stadt zuging und noch zugehen mag: Immerhin steht doch die elegante Moderne | |
Richard Neutras, Pierre Koenigs oder Eero Saarinens in ihrem sommerlichen | |
Kleid fast sprichwörtlich für die kalifornische, von L.A. ausgehende | |
Baurichtung. | |
Verlässt man die Ausstellung und fährt mit der Elektrobahn wieder zu den | |
unten am Berg geparkten Autos, zeigt sich ein neuer Charakterzug von Los | |
Angeles. Einer, der lange nach 1990 aufkam. Es gibt inzwischen Radwege, | |
hier im feinen Westen der Stadt. Und gelegentlich fährt auch jemand darauf. | |
Mit einem blitzenden Vehikel, das keine Bremsen, aber in Italien gefertigte | |
Naben hat. Das Fahrrad wird der Mittdreißiger daheim vermutlich als Fetisch | |
auf einem Altar ruhen lassen. Wir mustern ihn sorgsam durch die | |
Windschutzscheibe | |
## ■ Bis 21. Juli, Getty Center, Los Angeles, Katalog, 65 Dollar | |
10 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Lennart Laberenz | |
## TAGS | |
Los Angeles | |
Roman | |
Jüdisches Museum | |
Kunst | |
Nachruf | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neues Buch von Peter Stamm: Im engen Tal | |
In „Nacht ist der Tag“ besticht der Schweizer Autor Peter Stamm durch kühle | |
Grausamkeit. Seinen Figuren hängt der Mühlstein der Zeit um den Hals. | |
Moskaus neues Jüdisches Museum: Die Zeit war reif | |
Das Museum erzählt mehr als eine tränenreiche Version der Juden in | |
Russland. Mit Actionkino und 4-D vermittelt das Haus auch unbequeme | |
Erkenntnisse. | |
Fotograf Bert Stern gestorben: Monroe und Modern Art | |
Bert Stern, der letzte Fotograf von Marilyn Monroe, ist im Alter von 83 | |
Jahren gestorben. Stern prägte maßgeblich die Entwicklung der | |
Werbefotografie zur Kunstform. | |
Esther Williams mit 91 Jahren gestorben: Liz Taylors Schwimmlehrerin | |
Esther Williams war Weltrekordhalterin im Brustschwimmen und ein | |
Hollywood-Sternchen der Goldenen 50er. Doch außerhalb des Wassers konnte | |
sie sich nie behaupten. |