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# taz.de -- Fehlende Mikronährstoffe: Janusköpfiges Eisen
> Mangel an Eisen in der Nahrung stört die körperliche und geistige
> Entwicklung. Zu viel davon kann die Gesundheit auch schädigen.
Bild: Mehr als zwei Milliarden Menschen leiden an einer Unterversorgung mit Mik…
MÜNCHEN taz | „Hidden Hunger“, versteckter Hunger aufgrund von
Mikronährstoffmangel, davon sind laut einem aktuellen Bericht der
Welternährungsorganisation FAO 30 Prozent der Weltbevölkerung, also rund
zwei Milliarden Menschen, betroffen. Die Folgen: verzögerte
Gehirnentwicklung bei Kindern, verringerte Arbeitsproduktivität,
Krankheiten, aber auch vermehrte Todesfälle. Vor allem in Sachen
Eisenmangelanämie haben sich die Dinge kaum geändert, beklagt das Papier
[1][„The state of food insecurity in the world“].
In einigen Ländern wie Sierra Leone oder Indien leiden sogar mehr Kinder
und Schwangere unter dieser Mangelkrankheit als früher, teilweise sind 80
Prozent der Kinder betroffen. Fatal, weil spätere Eisengaben die durch
Eisenmangel verursachten körperlichen und geistigen Schäden nicht mehr
ausgleichen können.
Eigentlich ist das lebenswichtige Spurenelement in vielen Lebensmitteln,
auch in Pflanzen, etwa in Grüngemüse oder Hülsenfrüchten, enthalten.
Allerdings braucht es Eiweiße oder Fruchtsäuren und Vitamin C als
Transportmittel. Diese stecken aber nur in tierischen Lebensmitteln wie
Fleisch, Eiern und Fisch oder in Obst – Luxuswaren, die sich viele Bewohner
in Entwicklungsländern nicht leisten können.
Stattdessen stehen dort täglich Mais, Reis, Bohnen, Maniok oder Yams auf
der Speisekarte. Getreide und Wurzelgemüse liefern wiederum Phytinsäure,
die das Eisen an sich binden und verhindern, dass große Mengen des
Nährstoffs aus dem Darm in die Blutbahn gelangen.
Was Eisen angeht, stecken die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und andere
Hilfsorganisationen jedoch in der Klemme. Denn: Eisen, als Tablette
verabreicht, kann in malariaendemischen Gebieten erheblichen Schaden
anrichten. Das hat eine 2006 von der WHO publizierte und vorzeitig
abgebrochene Studie aufgedeckt.
Dabei hatte man 30.000 Kinder im Alter von 6 Monaten bis 3 Jahren auf der
bei Ostafrika liegenden Insel Pemba mit Eisen- und Folsäuretabletten
versorgt. Dabei lag die tägliche Eisendosis bei 12,5 Milligramm, einer
Menge, die auch von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für diese
Altersgruppe empfohlen wird.
„Mit wenigen Ausnahmen braucht jede Zelle Eisen, egal ob von Tier, Pflanze
oder Bakterium“, erklärt Klaus Schümann, Pharmakologe an der TU München und
Leiter der Hildegard-Grunow-Stiftung. Das Element ist für zahlreiche
Stoffwechselprozesse wie etwa in der Atmungskette oder dem Aufbau von
Erbsubstanz nötig.
## WHO-Programm eingestellt
Die mit Eisen behandelten Kinder wurden jedoch signifikant häufiger mit
schwerer Malaria ins Krankenhaus eingeliefert und starben auch häufiger als
die Kinder der Kontrollgruppe. „Die WHO hat darum alle Programme zur
Eisen-Supplementierung eingestellt, das Problem Eisenmangel in
Entwicklungsländern ist ungelöst. „Stimmen aus den betroffenen Ländern
beklagen sich, man lasse sie allein mit dem Dilemma zwischen ’Eisenmangel‘
und den ’Gefahren der Eisengabe‘“, berichtet Schümann. Darum sucht man in
vielen Forschungsprojekten Auswege.
Klar ist etwa: „Eine Supplementierung in Malariagebieten ist nur bei
Eisenmangel sinnvoll“, sagt Konrad Biesalski, Ernährungswissenschaftler an
der Universität Hohenheim. So hat etwa eine Teilauswertung der Pemba-Studie
gezeigt, dass vor allem Kinder starben, die nicht an Eisenmangel litten.
Überschüssiges Eisen scheint den Malaria-Plasmodien bei der Expansion zu
helfen.
Darum versuchen einige Hilfsorganisationen vor einer Eisensupplementierung
die Versorgung der Betroffenen zu messen. Dies erfordert bislang
Blutabnahme, eine Methode, die das Risiko, sich mit Aids und Hepatitis
anzustecken, erhöht, wenn sie nicht hygienisch durchgeführt wird.
Zudem ist die Methode kostenintensiv. Darum haben beispielsweise
Wissenschaftler des Forschungsinstituts Cessiam in Guatemala ein Gerät
erprobt, das, auf die Haut aufgesetzt, fotometrisch den Hämoglobingehalt im
Blut bestimmt, an dem die Eisenversorgung ablesbar ist.
## Einfluss von Folsäure
Möglich ist, dass die Kombination von Eisen mit Folsäure zu dem Problem
beigetragen hat. So ergab ein Cochrane-Review unter Leitung von Joseph
Okebe, Epidemiologe am Medical Research Council in Gambia, aus dem Jahr
2011, dass Eisengaben ohne Folsäure nicht dem Malariaerreger Vorschub
leisten. Denn: Auch Folsäure ist für Parasiten essenziell, zudem schwächt
das B-Vitamin die Wirkung von Malariamedikamenten. Obendrein scheint auch
eine Rolle zu spielen, wie das Eisen verabreicht wird.
So kann das Transportprotein Transferrin bei einem schnellen Anfluten des
Nährstoffs, wie es bei derzeit üblichen Tabletten der Fall ist, nicht alles
Eisen binden, es entsteht Nicht-Transferrin-gebundenes Eisen (NTBI). Diese
Form des Eisens beeinflusst offensichtlich den Durchtritt der Erreger aus
dem Blut in das Gewebe.
„Es könnten darum orale Präparate hilfreich sein, die das Eisen langsam an
den Organismus abgeben“, meint der Münchner Wissenschaftler. Eine andere
Möglichkeit sind sogenannte Foodlets, Mikronährstoffpräparate die man in
Speisen mischen kann. Sinnvoll sind auch mit Eisen angereicherte
Lebensmittel. So gibt es etwa in Vietnam und Kambodscha mit Eisen versetzte
Fischsoße.
Solche angereicherten Lebensmittel sind in Industrienationen jedoch
umstritten. Schließlich ist das Eisen nicht nur lebensnotwenig, es kann
auch schnell toxisch werden, weil der Körper keine Möglichkeiten hat, es
auszuscheiden, wenn es einmal in der Blutbahn ist.
## Überversorgung mit Eisen
Freie Eisen-Ionen produzieren oxidativen Stress und können dadurch Eiweiße,
Fette und Erbsubstanz zerstören. Verbraucherschützer fürchten, dass bereits
einige Menschen überversorgt sind, etwa wenn sie häufig mit Eisen
angereicherte Frühstückszerealien essen. Die mögliche Folge:
Herzkrankheiten und Krebs. Umgekehrt wird von Medizinern eine
Eisenunterversorgung, wie sie häufig bei Kindern und Frauen, aber auch bei
Vegetariern vorkommt, positiv bewertet.
Vegetarier bekommen wenig Eisen ab, weil nur rund 5 Prozent des
pflanzlichen Eisens, dafür 20 Prozent des tierischen aufgenommen werden.
Doch Anfang 2012 hat ein Forscherteam unter Leitung von Elisabeth Theil,
Biochemikerin an der Universität Oakland, einen bislang unbekannten
Transportweg für das pflanzliche Phyto-Ferritin beschrieben.
Demgemäß schleust der Körper diese Eisenvariante über einen gesonderten
Transportweg ins Blut, ungestört von anderen Nahrungsbestandteilen. Zwar
haben die Forscher berechnet, dass man bis zu 1 Kilo Sojasprossen täglich
essen müsste, um seinen Bedarf auf diesem Wege zu decken, doch Theil
glaubt, dass Phyto-Ferritin-reiche Linsen, Sojabohnen oder Kichererbsen den
weit verbreiteten Eisenmangel in Entwicklungsländern mildern könnten.
26 Jul 2013
## LINKS
[1] http://www.fao.org/publications/sofi/en/
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
WHO
FAO
Hunger
Landwirtschaft
Ernährung
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