# taz.de -- 50 Jahre marokkanische Gastarbeiter: Das verschlafene Jubiläum | |
> Vor 50 Jahren kamen die ersten Gastarbeiter aus Marokko nach Deutschland. | |
> Der Jahrestag findet in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. | |
Bild: Gastarbeiter bei ihrer Ankunft in Deutschland 1965. | |
BERLIN taz | Als Mokhtar Azouagh vor fünfzig Jahren seiner Familie | |
eröffnete, er wolle zum Arbeiten nach Deutschland gehen, erklärten ihn | |
viele für besoffen oder krank. Drei Monate wartete er auf seinen Vertrag, | |
bevor er sich in einem Omnibus auf den Weg nach Aachen machte. | |
Am 21. Mai 1963 hatte Marokko mit Deutschland ein Anwerbeabkommen | |
unterschrieben, und Mokhtar Azouagh gehörte zu den ersten Marokkanern, die | |
vor 50 Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Als kürzlich das | |
Jubiläum in Berlin mit einem Festakt gefeiert wurde, stand auch er mit auf | |
der Bühne. | |
Drei Viertel aller Auswanderer aus Marokko leben heute in Europa. Sie | |
stellen damit, nach der türkischen Bevölkerung, die zweitgrößte | |
Migrantengruppe auf dem Kontinent. Die meisten von ihnen haben sich in | |
Frankreich, Spanien, Belgien und den Niederlanden niedergelassen. | |
In Deutschland leben dagegen nur 160.000 Menschen, die marokkanischer | |
Herkunft sind – die türkische Gemeinde, zum Vergleich, ist mit fast 2 | |
Millionen Menschen deutlich größer. In den Medien und in der Öffentlichkeit | |
sind Deutschmarokkaner entsprechend wenig präsent. | |
## Anwerbestopp 1973 | |
Die Anfänge der Migration aus Marokko liegen in den 1950ern, als für den | |
rasanten wirtschaftlichen Aufstieg während der Wirtschaftswunderjahre viele | |
Arbeitskräfte aus südeuropäischen und nordafrikanischen Staaten angeworben | |
wurden – zuerst aus Italien, dann aus Spanien und Griechenland, später aus | |
der Türkei, Marokko und, in den späten 60er Jahren, aus Jugoslawien. Bis | |
zum Anwerbestopp 1973 – bedingt durch die Ölkrise und die darauf folgende | |
Rezession – kamen 22.400 Marokkaner nach Deutschland. | |
Doch nach 1973 zogen dann oftmals die Familien der Gastarbeiter nach. Die | |
meisten Deutschmarokkaner leben heute in Nordrhein-Westfalen und Hessen. | |
Dort fanden in den letzten Monaten auch die größten Veranstaltungen zu dem | |
Jubiläum statt, das im Rest der Republik kaum bemerkt wurde. Den Abschluss | |
macht heute in Düsseldorf eine Rückschau, bei der noch einmal Bilanz aus | |
drei Projektmonaten „50 Jahre marokkanische Migration in Deutschland“ | |
gezogen werden soll. | |
Zineb Daoudi gehörte 1972 zu den ersten 50 jungen Frauen, die im Rahmen des | |
deutsch-marokkanischen Anwerbeabkommens nach Deutschland kamen. In | |
Nordrhein-Westfalen arbeitete sie sechs Jahre in einer Schokoladenfabrik, | |
parallel dazu besuchte sie die Abendschule. „Man unterschätzt die | |
marokkanische Gesellschaft, wenn man denkt, dass eine alleinstehende Frau | |
damals nicht von zu Hause fortgehen konnte“, sagt sie. | |
Schließlich wartete in Deutschland ein fester Job auf sie. „Als ich nach | |
Deutschland kam, habe ich gelernt, was es bedeutet, in einem Industrieland | |
zu sein – im positiven wie im negativen Sinn“, erinnert sich Daoudi, die | |
heute bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) arbeitet. | |
## Altersarmut ist ein Problem | |
Kürzlich ergab eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, | |
dass 40 Prozent aller ausländischen Senioren in Deutschland an Altersarmut | |
leiden – dreimal so häufig wie deutsche Rentner. Grundsicherung im Alter | |
mussten ausländische Senioren sogar etwa sechsmal so oft in Anspruch nehmen | |
wie die Deutschen. Der Grund dafür sind die niedrigen Einkommen, die viele | |
ehemalige Gastarbeiter einst bekommen haben. | |
Auch wenn Marokkaner in der Studie nicht eigens ausgewiesen wurden, dürften | |
sie davon besonders betroffen sein. Anders als etwa viele türkische | |
Gastarbeiter, von denen 31 Prozent eine berufliche Qualifikation | |
vorzuweisen hatten, brachten sie oft kein spezifisches Fachwissen mit. | |
Die meisten von ihnen kamen aus den Bergbaugebieten im Norden Marokkos und | |
wurden in Deutschland im Steinkohleabbau eingesetzt. Andere kamen als un- | |
oder angelernte Arbeiter in der Metall verarbeitenden Industrie, im | |
Baugewerbe und in der Landwirtschaft unter. | |
20 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Mareen Ledebur | |
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