# taz.de -- Theater macht Mühe: „Ein Gemischtwarenladen“ | |
> Bremens neuer Intendant Börgerding vermeidet in seiner ersten Spielzeit | |
> Verluste, indem er Produktionen verschiebt. Ein Gespräch über Quatsch, | |
Missverständnisse und Autorentheater | |
Bild: "Ich hätte mir mehr Spaß gewünscht": Bremens Theater-Intendant Michael… | |
taz: Herr Börgerding, das Theater Bremen hat die erste Spielzeit unter | |
Ihrer Intendanz mit einer „schwarzen Null“ abgeschlossen. Das ist gerade | |
nochmal gut gegangen, oder? | |
Michael Börgerding: Im Januar sind wir davon ausgegangen, dass wir, | |
vorsichtig geschätzt, auf 140.000 ZuschauerInnen kommen. Am Ende waren es | |
über 150.000 Menschen. | |
Wobei sie 165.000 erwartet hatten. Andererseits ist die Einschaltquote doch | |
kein Kriterium für gutes Theater. | |
Das ist schon ein wichtiges Kriterium, weil diese Zahlen mit Geld | |
hinterlegt sind. Für die MitarbeiterInnen ist die schwarze Null total | |
wichtig. Wenn wir unter unserer Prognose liegen, müssen wir anderswo | |
sparen, in der Regel an der Kunst. | |
Welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus für den Spielplan – nehmen Sie den | |
überregional erfolgreichen Regisseur Herbert Fritsch aus dem Programm, weil | |
seine „Banditen“ hier nicht gut laufen? | |
Nein: Fritsch wird in der Spielzeit 2015/16 wiederkommen, ich schätze ihn | |
sehr. Wir haben aber aus finanziellen Gründen von den ansonsten auch noch | |
geplanten Produktionen zwei in die nächste Spielzeit verlegen müssen. | |
Darüber hinaus versuchen wir, zu vermitteln und viele Gespräche zu führen – | |
sodass sich das, was wir machen, langfristig durchsetzt. | |
Warum ist das hier so schwer? | |
Das Bremer Publikum erreicht man sehr gut über Inhalte. Das größte Tabu auf | |
der Bühne ist offenbar Quatsch. Etwas Anarchisches wie die „Banditen“ zu | |
machen ist hier schwieriger, als etwa politische Themen anzusprechen. | |
Außer im Tanztheater von Samir Akika. | |
Ja, wir haben deutlich mehr Vorstellungen von Samir Akika gemacht als | |
früher mit Urs Dietrich. Dafür gibt es ein Publikum, das deutlich jünger | |
ist – das hat gewechselt, auch wenn es mittlerweile Versöhnungstendenzen | |
mit dem früheren Tanztheater-Publikum gibt. Zu Akika kommen auch junge | |
Menschen, die abends nach dem Shoppen nochmal ins Tanztheater gehen. | |
Leute, die sonst nicht da sind. | |
Ja. Wir haben auch Leute, die in die Oper gehen, die sonst nicht da waren. | |
Im Schauspiel ist uns das noch nicht geglückt. Da sind wir aus dem Kreis | |
derer, die sowieso interessiert sind, bislang noch nicht herausgekommen. | |
Wollen Sie nun das Schauspiel-Publikum erziehen oder reagieren Sie vor | |
allem auf das, was besser funktioniert? | |
Ich will es ernst nehmen. Ich will auch unterhalten, aber das ist nicht der | |
Auftrag des Stadttheaters. Es geht darum, dass man in einen Dialog kommt. | |
Und zwar ohne Quatsch! | |
Ich hätte mir auch mehr Spaß gewünscht. Aber nicht den Bestätigungsspaß der | |
Boulevard-Theater, wo man vorher weiß, was man bekommt. Das können wir | |
nicht, ohne uns zu verleugnen, und das wollen wir auch nicht. | |
Wie würden Sie ihren eigenen künstlerischen Ansatz beschreiben? | |
Das ist nicht so einfach bei einem Vier-Sparten-Haus – das ist natürlich | |
ein Gemischtwarenladen. Wir versuchen, in jeder Sparte etwas zu machen, was | |
State of the Art ist, was uns interessiert und was wir ästhetisch und | |
inhaltlich für richtig und wichtig halten. | |
Und das ist was genau? | |
Das ist sehr kompliziert zu beschreiben. Es verbindet sich immer mit | |
Personen. In der Oper kann man das vielleicht am besten sehen: Da haben wir | |
mit Benedikt von Peter und Sebastian Baumgarten zwei sehr unterschiedliche | |
Schulen. Baumgarten, der bei uns den „Freischütz“ gemacht hat, kommt aus | |
der alten Ost-Schule – er schaut von Außen auf das Werk mitsamt seiner | |
Rezeption, da werden Zeitebenen durcheinander geworfen und da gibt es eine | |
ganz große Interpretationslust. Von Peter, der deutlich jünger ist und bei | |
uns „Mahagonny“ und „Mahler III“ inszeniert hat, ist dagegen einer, der | |
sich einlässt. Er versucht, aus dem Werk heraus neue szenische Formen zu | |
finden. Was mich interessiert, sind entschiedene Handschriften. | |
Einige davon begeistern die Bremer nicht so. | |
Die „Banditen“ gehen irgendwann als großes Missverständnis in die | |
Geschichte ein. Das ist großes Unterhaltungstheater gewesen, auf einem ganz | |
hohen artistischen Niveau. Die negativen Reaktionen kamen für uns | |
vollkommen unerwartet. Ich habe sie immer noch nicht ganz verstanden; das | |
hängt wohl auch damit zusammen, dass es als Operette gelabelt war. Da waren | |
wir mutig und ein wenig blauäugig. Wir würden das heute anders | |
kommunizieren. Das Stück hat aber seine begeisterten Freunde. In der Oper | |
gibt es die großen Fans, die auch mal nach Hannover oder Berlin reisen – | |
die finden uns spannend. Die eher traditionellen Operngänger haben große | |
Probleme – oder fühlen sich positiv herausgefordert. Für jene, die nur | |
ein-, zweimal im Jahr in die Oper gehen, hatten wir zu wenig Angebot, die | |
falschen Titel. | |
Dabei sinkt die Zahl der AbonnentInnen stetig. | |
In den letzten zehn Jahren sind es jeweils etwa zehn Prozent weniger | |
geworden, unabhängig vom Intendanten. | |
Die Frankfurter Allgemeine monierte jüngst, dass es in Bremen heute vor | |
allem Projekt- und Bearbeitungstheater gibt. Was haben Sie gegen Autoren? | |
Gar nichts. Aber in den letzten zehn Jahren ist nun mal eine große | |
handwerkliche Fähigkeit entstanden, Romane, Filme oder selbst | |
Recherchiertes auf die Bühne zu bringen. | |
Warum grenzt man die Theaterautoren, die es gibt, aus? | |
Ausgrenzung ist eine unangemessene Beschreibung. Es gibt doch keinen | |
Bestandsschutz für verfolgte Gegenwartsdramatiker. Wir spielen Dea Loher | |
und Elfriede Jelinek. Das ist ja auch ein Statement. | |
Felix Rothenhäusler, Hausregisseur im Schauspiel sagt: „Ich interessiere | |
mich nicht für Gegenwartstheater“. Er könne damit „nichts anfangen“. | |
Ich vermute, er meinte Gegenwartsdramatik – seine „Sickster“-Inszenierung | |
ist ja nun Gegenwartstheater pur. Aber über das – zugegeben: nicht eben | |
ausgeprägte – Interesse an im gutem Sinne konventionellen Gegenwartsstücken | |
gibt es bei uns große Diskussionen. | |
Dieser Mangel an Neugier ist problematisch. | |
Die Neugierde entwickelt sich eben in verschiedenen Richtungen. Mangelnde | |
Neugierde an Stoffen, Diskursen und politischen Haltungen kann man uns | |
wirklich nicht vorwerfen. Ich neige nun mal nicht dazu, Stücke, von denen | |
man nicht überzeugt ist, nur wegen der Uraufführung und einer Erwähnung in | |
Theater heute zu machen. | |
Ist Ihr Spielplan nicht auch zu germanozentristisch? | |
Es geht doch um Themen! Den Vorwurf, dass das Stadtheater bei uns | |
strukturell zu deutsch ist, würde ich ja teilen. Aber mit Verlaub: Wenn ich | |
auf die Zusammensetzung unseres Ensembles und der Dramaturgie schaue, sind | |
wir deutlich besser aufgestellt in Diversity und Gender als die | |
taz.Bremen-Redaktion! | |
Wenn Sie das für den richtigen Maßstab halten, haben Sie recht. | |
Im Ernst: Warum ist das in der Regie anders? Ich habe ja selbst in Hamburg | |
sieben Jahre lang Aufnahmeprüfungen für Regiestudenten gemacht – im letzten | |
Jahr war endlich mal jemand mit Migrationshintergrund dabei, ein Türke aus | |
Oberammergau, eine klasse Bewerbung. Im Schauspiel sind wir da schon längst | |
weiter. Aber Regie ist eine Führungsaufgabe, die man sich zutrauen muss und | |
die viel Selbstbewusstsein erfordert – der Weg dahin ist nicht | |
selbstverständlich. | |
21 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Kampnagel | |
Tanztheater | |
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