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# taz.de -- Choreograf über „Tanz im August“: „Mit 15 ist man prätenti�…
> Am 16. August beginnt das Festival „Tanz im August“ in Berlin. Der
> kongolesische Choreograf Faustin Linyekula gehört zu den ersten Gästen.
Bild: Der Choreograf mit Puppe.
taz: Herr Linyekula, Gott erschuf den Tanz, weil er selbst zu schüchtern
zum Tanzen war, so geht ein Mythos in Ihrem jüngst in Berlin aufgeführten
Stück „Sur les traces de Dinozord“. Was verbinden Sie damit?
Faustin Linyekula: Diese Szene haben wir im Nachlass von meinem Freund
Richard Kabako gefunden. Sie ist seltsam, nicht wahr? Ich hätte ihn gerne
dazu befragt. Als Gott dann aber sah, wie elend der Mensch sich aufführte,
heißt es bei Kabako weiter, beschloss er, die Sache doch selbst in die Hand
zu nehmen und tanzte zum ersten Mal. Als wolle er ihnen das Gefühl für
Harmonie zurückgeben oder sagen: Hier geht’s lang. Das Ganze erinnert mich
an Nietzsche, der Zarathustra sagen lässt: „Ich würde nur an einen Gott
glauben, der zu tanzen verstünde.“ Wir, unsere Company, kommen aus einer
Welt, in der Glaube und Körper nicht voneinander getrennt sind. Anders als
beispielsweise in der römisch-katholischen Kirche, wo der Körper oft
unterdrückt werden muss, damit Gott erscheinen kann. In den traditionellen
Religionen unserer Kulturen kann Gott nur durch körperliche Offenbarung
erscheinen. Trance ist eine Praktik dazu.
Bei Kabako hat Gott geschlechterspezifischen Tanz geschaffen, einen für
Männer, einen für Frauen. Dienten die Tänze Ihrer Heimatgegend als Vorbild
dafür?
Nein, in der Region, aus der ich komme, tanzen Männer und Frauen immer
zusammen, im selben Kreis. Für das Stück „Drums and Digging“, mit dem ich
zu „Tanz im August“ nach Berlin komme, spielt das eine wichtige Rolle. Wir
machten für dieses Stück eine ausgedehnte gemeinsame Reise, unter anderem
in ein Dorf, in dem eine Tanzzeremonie abgehalten wurde.
In „Sur les traces de Dinozord“ stehen nur Männer auf der Bühne. Das hat
aber nichts mit dem Mythos zu tun?
Eher mit meiner eigenen Geschichte. Das Stück knüpft an Vorgängerstücke an
und nimmt seinen Ausgangspunkt in unserer Zeit als Teenager. Diejenigen,
mit denen ich damals von Literatur und Kunst träumte, waren alle Jungs. Wir
waren sozusagen eine Boyband.
Gab es eine starke gesellschaftliche Trennung zwischen Jungs und Mädchen?
Nein, in Kisangani war und ist das sehr gemischt. Wir hatten auch gute
Freundinnen. Aber es passierte trotzdem irgendwie, dass diejenigen, mit
denen ich die Reise begann, mit denen ich anfing, Poesie zu schreiben, alle
Jungs waren.
In Ihrem Stück wird HipHop zu Bluesmusik getanzt, das heißt Electric Boogie
zu Jimi Hendrix’ „Voodoo Chile“. Das ist tänzerisch sehr gelungen und
beeindruckend. Es ist selten zu sehen, dass HipHop-Tanz unabhängig von der
Musik eine solche Wirkung hat.
Es ist in zweierlei Hinsicht nicht so außergewöhnlich. Schauen Sie, im
Blues war es eigentlich so: Einige schwarze Künstler haben sich vor die
Leute gestellt und ihnen gesagt, was sie oder ihre Communitys durchgemacht
haben. HipHop war so gesehen ein Kind des Blues. Ohne die Wahrnehmung des
Blues würde HipHop nicht bestehen. Stilistisch gesehen ist es natürlich
nicht das Gleiche. Aber in Bezug auf die Energie ist HipHop der Blues von
US-amerikanischen Kindern in schwarzen Ghettos. In Suresnes, etwas
außerhalb von Paris, gibt es seit über zwanzig Jahren das Festival Cités
Danse. Dort werden Choreografien für HipHop-Tänzer entwickelt. Da ist dann
auch musikalisch alles vertreten, von Bach über Rock zu traditioneller
afrikanischer Musik. Es gibt exzellente KünstlerInnen.
Ich möchte nun über einen Poeten, über Antoine Vumilia Muhindo, sprechen.
Sie haben bereits früher Material von ihm aus dem Gefängnis geschmuggelt
und in Ihren Aufführungen verwendet. Vumi, wie Sie Ihren Freund nennen, saß
nach dem Attentat an Laurent Désiré Kabila jahrelang als Todeskandidat in
Haft. Er war ein bedeutender politischer Gefangener – auch David Van
Reybrouck hat für ihn in seinem jüngst bei Suhrkamp erschienenen Kongo-Buch
Partei ergriffen. Nun ist er frei und steht live mit auf der Bühne.
Das ist ein großes Risiko. Vumi wurde ja nicht freigesprochen, sondern ist
geflüchtet. Er hat in Schweden Asyl gefunden. Nach Kongo zurück kann er
nicht: Er würde verschwinden. Kongo ist ein Land, in dem Leute noch immer
verschwinden. Auch für mich ist die Arbeit mit Vumi ein Risiko. Meine
einzige Hoffnung ist, dass die Geheimpolizei sich nicht so sehr um Kunst
bemüht und weniger effizient ist als Mobutus Geheimpolizei damals …
Dennoch, es ist ein risikoreiches Unterfangen.
Wie war es, als Sie sich nach seiner Flucht zum ersten Mal begegneten?
Es war sehr bald nach seiner Flucht. Ich musste ihn sehen in dieser Phase.
Wir sind zusammen aufgewachsen, waren zusammen auf der Highschool, haben
zusammen angefangen, Lyrik zu schreiben, später besuchte ich ihn regelmäßig
im Gefängnis. Das Miteinander-im-Gespräch-Sein ist eine wichtige Basis
meines Werkes. Das gilt auch für die anderen Künstler, mit denen ich
arbeite. Über die Jahre hinweg haben wir einander geholfen, zu wachsen –
als Menschen und als Künstler. Mit Vumi war es so, dass wir immer zusammen
davon geträumt hatten, auf die Literatur in Afrika Einfluss zu bekommen und
eines Tages alles zu ändern. Sehr prätentiös! Aber wenn du mit 15 Jahren
nicht prätentiös bist, hast du keine Energie, diesen ganzen Bogen zu
spannen. Und diese Energie versuchte ich auch im Gefängnis bei Vumi immer
wieder wachzurütteln, indem ich ihn fragte: Hej, sag mir bitte, was gerade
in deinem Kopf vor sich geht. Generell stelle ich meinen Partnern zu
verschiedenen Zeitpunkten immer wieder dieselbe Frage, so dass wir eine
einzige, sich fortsetzende Geschichte schaffen.
Vumi hat für Laurent-Désiré Kabila, den Vater des jetzigen gewählten
Präsidenten, gearbeitet. Der wurde von einem seiner Leibwächter, einem
ehemaligen Kindersoldaten, erschossen, in seinem eigenen Büro.
Nach der Machtergreifung von Laurent-Désiré Kabila in Kinshasa waren viele,
die ihm davor geholfen hatten, enttäuscht.
Vumi auch?
Er sagt, er sei nicht in das Attentatsvorhaben eingeweiht gewesen.
Sprechen Sie mit Vumi kritisch über den Fakt, dass er überhaupt für Kabila
gearbeitet hat? Und kann man jemandem, der wie Ihr Freund durch so ein
Schicksal gegangen ist – erst die Gehirnwäsche, wie er es nennt, dann die
Jahre schlimmster Folter – noch Kritik antun?
Wir sprechen über all dies. Er weiß, dass ich ihn nicht dazu befrage, um
ihn zu kreuzigen, sondern weil es Liebe und Freundschaft und das Verlangen
zu verstehen zwischen uns gibt. Manchmal geht es trotzdem nicht. Dann muss
man auch das respektieren. Vumi hat dem Tod ins Auge geschaut und er ist
zurückgekehrt. Bei allem, was er durchgemacht hat, stelle ich am Ende nur
noch eine einzige Frage: Was ist, nach all dem, mit der Dichtung, der
Poesie? Hieß das nicht, also für dieses Regime zu arbeiten, die Poesie
verneinen?
Die Antwort?
Finden Sie im Stück. Was ist ein Poet, der zum Spion wird? Der Hofnarr, auf
Französisch „der Verrückte des Königs“, wird zum „Hund des Königs“.
Auch in „Drums and Digging“ spiegelt sich die Schwierigkeit im Umgang mit
Geschichte schon in den Persönlichkeiten der Darsteller. Eine Frau, die mit
Mobutu verwandt ist, steht mit auf der Bühne. Sie breitet ihren Stammbaum
vor dem Publikum aus. Ist das in Kongo unproblematisch?
Heute können wir mit diesem Teil der Geschichte besser umgehen. Als ich
2001 nach Kongo zurückkehrte aber, war das Thema tabu. Ungefähr drei bis
vier Jahre lang konnten weder Mobutu noch das Wort Zaire – eine seiner
Kreationen – im Mund geführt werden. Aber wir können nicht einfach 32 Jahre
Geschichte auswischen.
Es gibt so viel Trauer in Ihren Stücken …
Ich würde eher von Verlust als von Trauer sprechen.
Was bedeutet Ihnen Freude?
Meine Arbeit ist der sehr beschränkte Versuch, etwas zu verändern in meinem
Land, dadurch, dass ich die Dinge zusammen mit meinen Kollegen innerhalb
eines sehr kleinen Rahmens anders mache, Verantwortung übernehme. Die
Freude kommt daher, nicht allein zu sein.
15 Aug 2013
## AUTOREN
Astrid Kaminski
## TAGS
Israel
Tanztheater
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