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# taz.de -- Krankenpflege-Ausstellung: "Ich weiß noch alle Namen"
> Über den Alltag in der Krankenpflege will eine Ausstellung in Hamburg
> aufklären. Protokoll eines gemeinsamen Rundgangs mit der ehemaligen
> Krankenschwester Anne Knauss.
Bild: Schwestern-Speisezimmer an der Berliner Charité um 1900.
HAMBURG taz | Den Anfang in der Ausstellung finde ich sehr realistisch: ein
einfaches Krankenhausbett, so sieht es aus, wenn man hereinkommt. Der
Patient kriegt eine Infusion und da liegt ein Gerät, um die Lunge zu
trainieren. Solch ein Bett ist relativ normal nach einer OP. Da liegt ein
Buch auf dem Nachttisch, man guckt immer, was ein Patient liest.
Krankenpflege hat viel mit Praxis zu tun und mit Beobachten. Ich weiß noch,
bei der Prüfung musste ich hineinlaufen, fünf Minuten, dann rauslaufen und
einen Zwei-Seiten-Bericht schreiben.
Als ich das Bett sah, dachte ich wieder einmal, dass mein Leben leichter
gewesen wäre, ohne Krankenschwester zu sein. Man hat so viel gesehen und so
viele extreme Erfahrungen gemacht. Diese Erfahrungen bringen viel, aber das
Leben wäre ohne sie leichtfüßiger gewesen. Wobei ich nicht weiß, ob ich es
hätte leichter haben wollen. Der Preis ist nicht zu hoch, ich finde nur,
dass es für 16-jährige Krankenpflegeschülerinnen, die ich später hatte, zu
viel war.
Ich bin Krankenschwester geworden, weil ich etwas lernen wollte, was schwer
für mich war: mit Menschen umzugehen, auf sie zuzugehen. Dazu war es gut.
Man muss in Beziehung gehen mit wildfremden Menschen und das war früher für
mich das absolute Grauen.
Ich war als Krankenpflegeschülerin in Schweden, die Pflege fand ich nicht
unbedingt besser, aber das Ansehen ist ein ganz anderes, weil man Pflege
dort studiert. Und das System ist anders organisiert: Wer krank ist, geht
erst einmal zur Krankenschwester, die überweist dann weiter. Im Krankenhaus
hat sie auch mehr zu sagen.
Die Bezahlung fand ich nie so schlimm. Es ist vielleicht für die
Verantwortung nicht gerechtfertigt. Ich war allerdings auch in einem
Querschnittzentrum, wo man mehr bekommt. Die Station heißt so, weil dort
Patienten sind, die am Querschnitt verletzt sind, meistens durch
Autounfälle oder sie waren in den Pool gesprungen, manchmal auch durch
Krebserkrankungen. Es waren drastische Fälle.
Als ich ein Kind bekam, ging die stationäre Krankenpflege nicht mehr, ich
habe keine Station gefunden, wo die Arbeitszeiten alleinerziehend
angemessen gewesen wären. Deshalb war ich dann in der ambulanten Pflege,
aber die laugt einen schnell aus.
Zeit war dort ein Riesenproblem. Ich bin schnell an meine Grenzen gestoßen,
weil ich viel mehr hätte machen wollen als die Zeit und meine Mittel
erlaubten. Da hat man als Krankenschwester wenig Autorität. Die Leute haben
meist einen Betreuer, der die Entscheidungen trifft, aber meist nicht
erreichbar ist. Es sind so Fragen wie: Ist es noch in Ordnung, wenn sie
alleine zuhause leben, dabei dreimal am Tag irgendwelche Psychopharmaka
kriegen und verwahrlosen? Macht man das einfach, gibt nur die Tablette oder
fängt man an, sich da hineinzudenken – dann wird es ganz schrecklich.
Hier in der Ausstellung hängt ja ein Minuten-Plan zur Pflegezeitbemessung.
Aber so arbeitet man ja nicht, das ist kompletter Blödsinn. Was völlig
unrealistisch ist: Toilettengang drei Minuten. Da fehlt all das, was keine
reine Pflege ist, sondern Reden oder mal Zeit für andere Bedürfnisse haben.
Begrüßen taucht gar nicht auf. Man bräuchte hintendran eine Stunde für all
das.
Die häusliche Pflege war ganz viel Sicherheitspflege. Man fragt innerlich
ab: Hat die Patientin die Medikamente, hat sie gegessen, genügend getrunken
– kann ich das abhaken und bin auf der sicheren Seite? So fängt man an zu
arbeiten und das ist total schrecklich. Man kommt in Wohnungen hinein, da
liegt jemand pflegebedürftig im Bett und kann nicht sprechen, man macht die
Grundpflege, gibt Essen und Medikamente, und dann geht man raus und da ist
niemand. Und man weiß, in drei bis sechs Stunden kommt der Nächste. Wenn
man da vergisst, ein Bettgitter hoch zu machen, kann das fatal sein.
Auf der Querschnittstation, auf der ich davor gearbeitet habe, war Zeit
kein so großes Problem. Aber es ist sicher eine spezielle Station. Sie
haben auch dort die Reha von sechs auf vier bis zu drei Monaten gekürzt,
aber zu meiner Zeit hatte man die Patienten sechs Monate bei sich, das ist
befriedigend. Zu Beginn hast du Intensivpflege-Patienten und am Ende
jemanden, der im Rollstuhl nach Hause geht, manchmal auch läuft.
Es gibt Schicksale, die einen erwischen und es gibt Leute, zu denen man
einen engeren Kontakt hat. Ich weiß fast noch alle Namen aus diesen drei
Jahren. Man muss sich, anders als auf den anderen Stationen, mit den
Patienten auseinandersetzen – das macht es einfacher. Natürlich ist man
nicht so nahe dran wie die Angehörigen, dadurch ist man für die Patienten
aber auch jemand, bei dem sie mal locker lassen können. Sie stellen sich da
nicht die Frage: Wie findet die mich jetzt noch? Ich habe trotzdem auch mal
eine Flasche an den Kopf gekriegt, als jemand sauer war, weil er eine
Stunde zum Anziehen brauchte und ich daneben stand. Total verständlich.
Letztendlich sagt er dann: Danke, dass du durchgehalten und mir nicht
geholfen hast.
Wir haben damals auf Station die Patienten rauchen lassen und wenn sie ihre
Zigarette nicht mehr halten konnten, haben wir sie mit dem Bett irgendwo
hingefahren. Oder haben Silvester mit ihnen gefeiert. Aber natürlich bleibt
es Krankenhaus.
Ich fand gut, dass die Hierarchie auf der Querschnittstation fehlte. Es ist
Team-Arbeit von Krankenpflegern, Ärzten, Krankengymnasten und
Ergotherapeuten, da sitzt man ständig an einem Tisch. Es ist schwere
Arbeit, aber ich fand den Kontakt und das Patientengut, so sagt man da
manchmal, ansprechend, weil es so vielfältig war, auch vom Alter und der
Herkunft der Patienten. Wenn man auf der Herzstation arbeitet, sind sich
die Leute dort meist ähnlicher.
Manche schreckt die Arbeit auf der Querschnittstation auch ab, weil sie
viel mit Ausscheidungen zu tun hat, fast alle Patienten sind inkontinent.
Aber ich würde da jederzeit wieder arbeiten. Ich war stellvertretende
Stationsleiterin, dann habe ich Pflegewissenschaften studiert. Aber das
Studium hat nicht das gebracht, was ich suchte. Ich wollte Sachen in der
Pflege verändern, aber es ging vor allem um Qualitätsmanagement,
Gesundheit, Krankenkassen.
Solch eine Hose und einen Kittel, wie sie hier in der Ausstellung an der
Wand hängen, habe ich auch getragen. Über die Kleidung habe ich mir nie
viel Gedanken gemacht. Die Ärzte tragen das Gleiche, aber mit weniger
Stiften, unsere Taschen quellen über. Bei den Ärzten ist die Hierarchie
viel krasser, ich habe oft gedacht: Wenn man in der Ausbildung so viel auf
den Deckel kriegt, dann kann man hinterher nicht anders, als es genauso zu
machen.Was mich sehr gestört hat, ist, wie oft Ärzte und Schwestern
gegeneinander arbeiten. Auf einer Spezial-Herzstation etwa gibt es
Schwestern, die sich gut auskennen und dann kommen ständig neue junge
Ärzte, die sich ewig abrackern für wenig Geld und die Schwestern lassen sie
auflaufen. Vielleicht ist das auch der Zorn darüber, dass die Pflegenden
bei der Visite keinen Ton sagen dürfen. Es müsste Besprechungen geben, wo
alle zusammen sitzen. Wenn ein Arzt schlau ist, fragt er die
Krankenschwester – aber das machen die wenigsten.
Ich finde die Ausstellung relativ realistisch, sie ist sehr pragmatisch,
ich hatte sie mir künstlerischer vorgestellt. Es ist wie damals bei uns im
Keller der Schwesternschule mit den Übungsbetten. Die Krankenhäuser könnten
viel schöner sein. Mit wenig Aufwand, allein wenn man andere Vorhänge
hätte. An einer Hörstation in der Ausstellung erzählt eine Pflegerin von
der Intensivstation, dass der Ehemann einer Koma-Patientin gleich ihre
Creme mitgebracht hat. Das ist das Normalste – aber oft ist es eben nicht
normal und dann sieht es fürchterlich aus.
Die Hörstation fand ich spannend: an einer erzählt ein Pfleger aus der
chirurgischen Ambulanz vom Ekel gegenüber bestimmten Wunden, den man nicht
zeigen darf. Das habe ich oft erlebt, man wechselt sich auch ab, weil man
es sonst nicht aushält. Der Pfleger erzählt, dass er seine schrecklichste
Wunde als Pflegeschüler hatte. Das war bei mir ähnlich: Jemand
Verwahrlostes kommt und sie schicken einen Schüler hin und sagen, dusch’
den erstmal, bevor wir ihn versorgen. Dann zieht man die Anziehsachen aus
und eine schreckliche Wunde mit Maden kommt heraus.
An bestimmte Wundgerüche gewöhnt man sich nicht. In der Ausbildung ist es
Thema, da wird über Ekel gesprochen und wie man damit umgeht – man muss
eher im Arbeitsalltag darauf aufpassen, dass die Schwestern nicht abfällig
darüber sprechen.
„Who cares? Geschichte und Alltag der Krankenpflege“: bis 15.September,
Museum der Arbeit, Hamburg
23 Jul 2013
## AUTOREN
Friederike Gräff
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