# taz.de -- Bremen in Kino: Das winzige Kapitel | |
> Rainer Werner Fassbinder war irgendwann da und sogar Jean-Paul Belmondo – | |
> aber warum ist Bremen bloß so selten auf der Leinwand zu sehen? Ein | |
> Streifzug durch 90 Jahre Kinogeschichte. | |
Bild: 1968 umstritten, inzwischen längst zur filmischen Bremensie avanciert: S… | |
Einer der Reize des Kinos besteht darin, dass sich das Heimatliche dort aus | |
einer anderen Perspektive erfahren lässt. Während Menschen in Hamburg – | |
ähnlich wie in Berlin oder München – regelmäßig ihre Stadt als Spielort | |
sehen können, machen Bremer diese Erfahrung eher selten. | |
Denn viel gedreht worden ist in der Freien Hansestadt nicht. In manchen | |
Quellen steht zwar, dass Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ (1922) zum | |
Teil in Bremen spiele. Aufgenommen wurden die Hafenszenen mit den Ratten | |
und der Pest aber in Lübeck und Wismar – und Bremen taucht nur auf den | |
englischen Zwischentiteln auf, weil man annahm, das erfundene „Wisborg“ | |
würde ein internationales Publikum verwirren. | |
## Zugemauertes Rathaus | |
1940 spielte Hubert Marischkas Nazi-Schnulze „Herzensfreud-Herzensleid“ zum | |
Teil in Bremen. Interessant ist das höchstens, weil darin zu sehen ist, wie | |
der Roland und die Säulen des Rathauses wegen der Bombenangriffe zugemauert | |
waren – und weil die Hanseaten sich steif gebärdende Karikaturen sind, die | |
ständig über den „sspitzen Sstein“ stolpern. | |
1949 drehte Howard Hawks mit Cary Grant ein paar Szenen für die Komödie „I | |
Was a Male War Bride“ – „Ich war eine männliche Kriegsbraut“ – in | |
Bremerhaven, im Film sieht man davon aber nur ein paar Schiffswände und | |
Holzbaracken im Hafen. | |
1964 standen dann zwei wirkliche Weltstars in Bremen vor der Kamera. In dem | |
französischen Abenteuerfilm „Echappement Libre“ – deutscher Verleihtitel: | |
„Der Boss hat sich was ausgedacht“ – spielten Jean Seberg, Jean-Paul | |
Belmondo und Gert Fröbe im Bremer Hafen, den Parkanlagen am Wall und auf | |
dem Marktplatz. Fünf Jahre nach Jean-Luc Godards „Außer Atem“ brachte | |
Regisseur Jean Becker das Paar Seberg/Belmondo noch ein zweites und letztes | |
Mal auf die Leinwand. | |
Die wüste Räubergeschichte dreht sich um geschmuggeltes Gold, das durch | |
ganz Europa gefahren wird. Für den Showdown am nördlichen Ende bot sich | |
Bremen mit seinem Hafen an – Hamburg wäre teurer gewesen. Meist gelang es | |
Becker, Jean Seberg wirklich schön aussehen zu lassen, auch wenn sie mit | |
längerem Haar, tiefem Dekolleté und glamourösem Gehabe eher an Kim Novak | |
als an ihre Herald Tribune-Verkäuferin in „A bout de souffle“ von 1959 | |
erinnert. | |
Bei einem Spaziergang mit Gert Fröbe – der die gleichen Attitüden zeigt wie | |
in dem im selben Jahr gedrehten „Goldfinger“ – in den offensichtlich | |
eisigen Wallanlagen wirkt sie in ihrem dünnen Sommermäntelchen aber sehr | |
verfroren. Rührend unbeholfen wirken die Action-Szenen, bei denen im | |
Überseehafen das Gold von einem Kran fällt. Der Höhepunkt für | |
lokalpatriotische Cineasten ist jener Dialog in einer Kneipe mit Blick auf | |
den Roland, in dem Belmondo sagt: „Dann bin ich wenigstens mal in Bremen | |
gewesen!“ | |
1968 drehte Peter Zadek dann den Film, der inzwischen fast gänzlich zur | |
Bremensie transformiert wurde. Als „Ich bin ein Elefant, Madame“ damals in | |
die Kinos kam, waren die meisten Zuschauer und Kritiker aber gar nicht | |
begeistert – von einem „politischen Regiefehler“ schrieben etwa die Bremer | |
Nachrichten. | |
Heute wirkt dieser typische 68er Film über die Unruhen an einem Gymnasium | |
so nostalgisch wie die „Beat-Club“-Wiederholungen bei Radio Bremen. Die | |
Frisuren, Kleider und Protestaktionen der Jugendlichen sehen aus der | |
zeitlichen Distanz so harmlos und komisch aus, dass man kaum noch | |
nachvollziehen kann, was daran mal revolutionär gewesen sein soll. Doch | |
eine Sequenz, in der ein Indianertanz vor dem Roland die Bürger ärgert, ist | |
wohl immer noch das schönste Kinobild, das es von der Stadt gibt. | |
## „Kalter Kaffee aus Bremen“ | |
1972 nutzte Rainer Werner Fassbinder sein Engagement am Bremer Theater, um | |
hier das Stück „Bremer Freiheit“ über die Giftmörderin Geesche Gottfried… | |
schreiben, zu inszenieren – und zu verfilmen. Heraus kam dabei nur eine | |
selten gezeigte Fernsehbearbeitung, für die er ähnlich von der Presse | |
getadelt wurde wie zuvor Zadek: „Kalter Kaffee aus Bremen“ befand Die Welt. | |
In jüngster Vergangenheit wurde Bremen cineastisch ein wenig besser | |
erschlossen: 2002 drehten Pago Balke und Eike Besuden mit „Verrückt nach | |
Paris“ eine erfolgreiche Komödie über die märchenhafte Reise dreier | |
behinderter Freunde. Fatih Akin war so begeistert vom Bremer | |
Steintorviertel mit dem Rotlichtkiez Helenenstraße, dass er dort 2007 eine | |
Episode von „Auf der anderen Seite“ inszenierte. Und vor ein paar Monaten | |
kam Stefan Schallers „Fünf Jahre Leben“ in die Kinos, der vom | |
Terrorismusverdächtigen Murat Kurnaz und seiner Leidenszeit im | |
Militärgefängnis Guantànamo erzählt. Zwar entstanden sie Sequenzen aus der | |
Jugend des in Bremen aufgewachsenen Kurnaz nicht an den | |
Originalschauplätzen, doch immerhin in dortigen Vierteln und Gebäuden. | |
Beinahe vollständig in der Stadt inszenierte Vanessa Jopp in diesem | |
Frühjahr ihre Improv-Komödie „Lügen“ – unter anderem zu sehen: eine | |
Hochzeit im Rathaus mit Brautkutsche und großem Spalier auf dem Domshof. So | |
etwas sind die Bremer auf der Leinwand nicht gewohnt! | |
31 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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