# taz.de -- Gewerkschaft contra Handwerk: Weniger Lohn dank Rechtsbruch | |
> Handwerksinnungen bieten Betrieben eine Mitgliedschaft ohne die Übernahme | |
> von Tarifverträgen an. Das ist illegal, kritisiert der Gewerkschaftsbund. | |
Bild: Hoffentlich später mal gut bezahlt: Teilnehmer der Berufeweltmeisterscha… | |
BERLIN taz | „Am Anfang waren Himmel und Erde. Den ganzen Rest haben wir | |
gemacht“, ist ein Slogan, mit dem der Zentralverband des Deutschen | |
Handwerks (ZDH) für seine Berufe wirbt. Es klingt selbstbewusst, doch die | |
Realität ist ernüchternder: dem Handwerk, Brotgeber für rund 5 Millionen | |
Beschäftigte, geht der Nachwuchs aus. | |
Viele Jugendliche können mit Berufen wie Flechtwerkgestalter oder | |
Rollladen- und Sonnenschutzmechatroniker nichts mehr anfangen. 24.000 | |
Lehrstellen sind bei den bundesweit 53 Handwerkskammern derzeit unbesetzt. | |
Es dürften noch mehr sein, denn längst nicht alle Betriebe melden den | |
Kammern ihre freien Plätze. | |
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bot am Donnerstag eine Erklärung, | |
warum die Jugend fernbleibt: „Gute handwerkliche Arbeit, die gute Bezahlung | |
verdient, wird billig verschleudert“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Dietmar | |
Hexel, das Nachwuchsproblem sei „hausgemacht“. So manche der rund 5.000 | |
Innungen, in denen sich im Unterschied zu den Kammern nur die Unternehmer | |
organisieren, begehe dabei Rechtsbruch, sagte Hexel. | |
## Schlechte Bezahlung ohne Tarifvertrag | |
In der Kritik steht eine Praxis, die private Arbeitgeberverbände der | |
Industrie seit Jahren praktizieren: Sie bieten Unternehmen alle Vorteile | |
einer Mitgliedschaft – ohne dass der Betrieb auch die zwischen Verband und | |
Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge übernehmen muss. Man spricht von | |
Mitgliedschaften ohne Tarifbindung (OT). Ein Ergebnis: Für immer weniger | |
Beschäftigte gilt ein Tarifvertrag. Und wer ohne arbeitet, wird meist | |
schlechter bezahlt. | |
Auch mehr und mehr Innungen böten Betrieben solche OT-Mitgliedschaften an, | |
sagt nun der DGB. Satzungsänderungen, die die Innungen dafür vornehmen, | |
sind jedoch nach Ansicht von Winfried Kluth, Professor für Öffentliches | |
Recht an der Uni Halle-Wittenberg, „rechtswidrig“. Kluth stellte am | |
Donnerstag ein für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stifung erstelltes | |
Gutachten dazu vor. | |
Dass Innungen rechtsbrüchig werden, liegt laut Kluth an ihrer besonderen | |
Organisationsstruktur. Anders als private Arbeitgeberverbände der Industrie | |
sind die Innungen öffentlich-rechtliche Körperschaften mit freiwilligen | |
Mitgliedschaften. Der Gesetzgeber hat ihnen die Fähigkeit zugesprochen, | |
Tarifverträge abzuschließen. Historisch sei das auch geschehen, weil es ein | |
besonderes Interesse gegeben habe, Tarifabschlüsse im kleinen und | |
mittelständisch geprägten Handwerksbereich zu ermöglichen, so Kluth. | |
Aus diesem Grund und wegen ihrer Struktur könne eine Innung nicht | |
eigenmächtig ihre Satzung ändern, um OT-Mitgliedschaften zu ermöglichen. | |
Handwerkskammern, die die Innungen beaufsichtigen, müssten solche | |
Satzungsänderungen verweigern. Täten sie das nicht, sollten die | |
Wirtschaftsministerien der Länder einschreiten, so Hexel. | |
Wieviele Innungen OT-Mitgliedschaften anbieten, ist unklar. Der ZDH | |
schätzt, es sind weniger als ein Prozent, und geht von etwas über 4.000 | |
Innungen aus. ZDH-Geschäftsführer Karl-Sebastian Schulte spricht von | |
„Ausnahmerscheinungen“. Die Kfz-Branche ist in manchen Ländern solch eine | |
Ausnahmeerscheinung. So sind in Thüringen laut Gewerkschaft IG Metall nur | |
noch vier von 2.500 Betrieben tarifgebunden. Der ZDH sieht deswegen die | |
Gewerkschaften in der Pflicht. „Sie müssen Tarifverträge abschließen, in | |
denen sich auch kleine Betriebe wiederfinden“, so Sprecher Alexander | |
Legowski. | |
1 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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