# taz.de -- Daniel Johnstons „Space Ducks“: Superenten in Raumanzügen | |
> Der schizophrene US-amerikanische Singer-Songwriter Daniel Johnston hat | |
> seinen ersten Comic veröffentlicht. Einen Soundtrack dazu gibt es auch. | |
Bild: Sind Daniel Johnstons Zuhörer bloß Voyeure? | |
Frankfurt, Mousonturm, im April 2010: Daniel Johnston wird von seinem | |
Bruder zum bereits auf der Bühne wartenden elfköpfigen Beam Orchestra | |
geleitet. Im Anschluss kämpft er sich leicht zitternd zu beschwingten | |
Jazzarrangements durch die Hits seiner fast 30-jährigen Karriere: „Devil | |
Town“, „Walking the Cow“ und natürlich „True Love Will Find You in the | |
End“. | |
Die Einsätze bekommt Johnston von einem Mitglied des Beam-Orchestra | |
zugeflüstert, seine brüchige Stimme droht hinter dem Sound der Bigband zu | |
verschwinden. Nach einer Stunde ist der Spuk vorbei. Erleichtert verlasse | |
ich den Saal und werde das Gefühl nicht los, als Voyeur ertappt worden zu | |
sein. | |
Konzerte von Daniel Johnston, dem von so unterschiedlichen Musikern wie Tom | |
Waits, Sonic Youth, The Flaming Lips, Yo La Tengo oder Beck verehrten | |
US-Singer-Songwriter, hinterlassen immer ein ambivalentes Gefühl. | |
Fast automatisch stellt sich die Frage, ob Leben und Kunst im Falle | |
Johnstons zu trennen sind und was man in seiner Musik sucht oder zu finden | |
glaubt: Der 1961 geborene Musiker leidet seit seiner Jugend unter einer | |
bipolaren Störung und Schizophrenie. | |
## Bedingungsloses Offenlegen seines Innenlebens | |
„Authentizität“, würde vermutlich ein Teil des Publikums antworten, jener | |
Teil, in den man sich nicht einreihen möchte. Gleichzeitig jedoch schätzt | |
man die Songs Daniel Johnstons gerade wegen ihrer Gebrochenheit, ihres | |
bedingungslosen Offenlegens seines Innenlebens und der nicht getroffenen | |
Töne. | |
Die Grenzen zwischen Song, Text, Person, Performance sind eingerissen: Die | |
Folgen seiner Krankheit haben sich zum einen in Johnstons Körper | |
eingeschrieben, der von Medikamenten (und übermäßigem Softdrink-Konsum) | |
aufgedunsen und von Tremores (die das Gitarrespiel zunehmend erschweren) | |
gehandicapt ist. Zum anderen haben sie in seinen Songs immer wieder einen | |
Kanal gefunden. | |
Johnstons Songtexte sind bevölkert von Dämonen, Geistern, Aliens, Teufeln, | |
freundlichen Tieren, erotischen Fantasien und unerwiderter Liebe, die | |
begleitende Musik – in den ersten Jahren – von verstimmten Gitarren oder | |
Klavierspiel getragen, die Stimme immer einen Ton am „richtigen“ vorbei. | |
## Normabweichung in jeder Hinsicht | |
Ein Outsider-Artist eben, irgendwann gezähmt von professionellen | |
Studiomusikern oder einer Bigband, der am liebsten klingen würde wie die | |
Beatles, daran aber glücklicherweise permanent scheitert. Es ist wohl | |
dieses Scheitern, das so fasziniert an Johnston, das zur Schau gestellte | |
Scheitern am Leben, vorgetragen mit sich überschlagender Stimme – eine | |
Normabweichung in jeder Hinsicht, die in der Musikgeschichte immer die | |
interessantesten Ergebnisse nach sich gezogen hat. | |
Ob dafür allerdings die problematische Bezeichnung der Outsider-Art bemüht | |
werden muss, sei dahingestellt. Denn diese setzt so etwas wie „Normalität“ | |
voraus, einen „Insider“, von dem der Outsider abgegrenzt werden kann, und | |
diese Norm meint in der Musikgeschichte in der Regel einen weißen | |
heterosexuellen Mann. | |
Ursprünglich wurde der Begriff geschaffen, um das diskriminierende Wort | |
„Behinderung“ zu vermeiden und Künstler zusammenzufassen, die sich, ohne | |
sich dessen bewusst zu sein, dem Kulturbetrieb verweigern, sich an dessen | |
Rändern bewegen. Doch gerade in dieser Zusammenfassung unterschiedlichster | |
Künstler wird daraus eine positive Diskriminierung, die einem Musiker wie | |
Daniel Johnston nicht gerecht wird. | |
## Ein eigenweltlicher Kosmos | |
Er hat über die 30 Jahre seiner Karriere, von den frühen Aufnahmen auf | |
billigen Kassettenrekordern, die er an Passanten verschenkte, bis zu seinem | |
aktuellen Album, „Space Ducks“, einen eigenweltlichen Kosmos geschaffen und | |
mit einer Konsequenz immer weiter ausgebaut wie kaum ein anderer Musiker. | |
Mit „Space Ducks“ hat er diesem Kosmos sogar noch einen weiteren Aspekt | |
hinzugefügt: Es ist der Soundtrack zu seinem kürzlich erschienenen Comic | |
„Space Ducks No. 1. The Duck War“, auf dem 14 Songs von Johnston und Fans | |
wie Eleanor Friedberger oder Jake Bugg die Geschichte einer Einheit von | |
Weltraumenten mit Musik unterlegen. | |
Johnston hat seit seiner Kindheit Tausende Comics – vor allem des | |
Superheldengenres – verschlungen und in einem Interview seine Musikkarriere | |
als Versuch beschrieben bekannt zu werden, um endlich einen Verleger für | |
seine Comics zu finden. Nun also, mit über 50 Jahren, hat er endlich sein | |
Ziel erreicht. In „Space Ducks“ bedrohen Aliens, Satan und ihre | |
Helfershelfer die Menschheit, und nur eine Einheit von Space Ducks, | |
Entensuperhelden in Raumanzügen, kann die Erde in einer seitenlangen | |
Gewalt- und Folterorgie, die jeden Superheldencomic alt aussehen lässt, | |
retten. | |
## Bekannte Motive und Verweise | |
Zugegeben, diese Zusammenfassung klingt nicht so, als müsse man sich Daniel | |
Johnstons Comicdebüt zulegen: Die Story ist wirr und sprunghaft, die | |
Dialoge sind hölzern und voller Rechtschreibfehler, die Buntstift- und | |
Wasserfarbenzeichnungen unbeholfen. Diejenigen jedoch, die Johnstons Leben | |
und Werk verfolgt haben, werden sich in „Space Ducks“ auch zu Hause fühlen | |
und auf unzählige aus den Songs bekannte Motive und Verweise stoßen. | |
Bei einem einfachen Comicalbum hat Johnston es jedoch nicht belassen: Das | |
Buch enthält Pappfiguren der Protagonisten zum Ausschneiden und wird | |
begleitet von einer App, die Leser einlädt, sich am Kampf gegen die | |
Weltraumdämonen zu beteiligen. Ein in jeder Hinsicht interaktiver Comic, | |
der einen idealen Einstieg in das „Gesamtkunstwerk“ des Daniel Johnston | |
darstellt, wenn man bereit ist, sich auf technische Mängel, LoFi-Comics und | |
-Musik einzulassen. | |
Dahinter nämlich verbirgt sich einer der interessantesten Künstler und | |
herzergreifendsten Musiker der letzten 30 Jahre. | |
4 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Jonas Engelmann | |
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