# taz.de -- Ergenekon-Prozess in der Türkei: Tiefer Staat, hart bestraft | |
> Die Urteile gegen mehr als 250 Angeklagte im umstrittenen | |
> Ergenekon-Prozess sind gefallen. Viele der vermeintlichen „Verschwörer“ | |
> müssen lebenslänglich hinter Gitter. | |
Bild: Viele sehen das Urteil kritisch: Demonstrant mit selbstgebauter Gasmaske … | |
ISTANBUL taz | Strahlend blauer Himmel, grüne Felder sowie Paramilitärs und | |
Bereitschaftspolisten in Gasmasken: So sah es am Montag vor dem | |
Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul aus. | |
Auf dem Gefängnisgelände befindet sich das eigens errichtete Gericht, in | |
dem in den letzten Jahren der umstrittene Prozess gegen die Mitglieder des | |
angeblichen Geheimbundes Ergenekon stattfand. Am Montag fällte das Gericht | |
die Urteile gegen die mehr als 250 Angeklagten. | |
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass es sich bei Ergenekon um eine | |
Terrororganisation handelt, die die Regierung von Ministerpräsident Recep | |
Tayyip Erdogan stürzen wollte. Nur 21 Angeklagte sprach der Richter von dem | |
Vorwurf frei. Alle anderen wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. | |
Zu den prominentesten Angeklagten zählte General Ilker Basbug, von 2008 bis | |
2010 türkischer Generalstabschef. Der 70-jährige Basbug, der im Zuge seiner | |
Karriere auch in Brüssel bei den Aufklärungsdiensten der Nato gearbeitet | |
hat, erhielt eine lebenslängliche Gefängnisstrafe als mutmaßlicher | |
Drahtzieher der Verschwörung. Mindestens vier weitere Generäle und zwei | |
Oberste müssen ebenfalls lebenslänglich hinter Gitter. Andere Ex-Offiziere | |
erhielten Haftstrafen bis zu 49 Jahren. | |
## Drakonische Urteile gegen Journalisten | |
Das Verfahren war höchst umstritten. Im Zuge der Ermittlungen, die vor 2007 | |
begannen, wurden Hunderte von Personen festgenommen. Vor Gericht standen | |
schließlich nicht nur Militärs, sondern auch Abgeordnete, Parteichefs, | |
Anwälte, Wissenschaftler und Journalisten. | |
Der ehemalige Chef der türkischen Bildungsbehörde, zwei Rektoren und zwei | |
Universitätspofessoren wurden zu Haftstrafen zwischen sechs und 22 Jahren | |
verurteilt. Gegen mehrere Journalisten ergingen ebenfalls drakonische | |
Urteile. | |
Der Chef der Arbeiterpartei erhielt 117 Jahre Haft, die höchste | |
Gefängnisstrafe unter den Journalisten erhielt mit 34 Jahren und neun | |
Monaten Mustafa Balbay, der auch Abgeordneter der oppositionellen | |
Republikanischen Volkspartei (CHP) war. Ein anderer CHP-Abgeordneter muss | |
13 Jahre ins Gefängnis, ein weiterer kommt frei, weil er mit der | |
Untersuchungshaft die Strafe von 12 Jahren und 9 Monaten bereits abgesessen | |
hat. | |
## Tränengas gegen Demonstranten | |
Bis Redaktionsschluss waren noch nicht alle Urteile verlesen. Hunderte | |
hatten sich trotz des Verbots versammelt, um gegen den Prozess zu | |
demonstrieren. Als sie sich einem Feld nahe des Gerichts näherten, ging die | |
Polizei mit Tränengas vor. Ein Wasserwerfer löschte dann das Feuer, das die | |
Schüsse auslösten. Derweil kreisten über dem Gelände Helikopter. | |
Regierungsnahe Medien und Unterstützer der regierenden Partei für | |
Gerechtigkeit und Entwicklung jubelten über das Urteil. Sie sehen darin | |
einen wichtigen Sieg über den sogenannten tiefen Staat. | |
Kritiker sehen es freilich als Beweis für Erdogans autoritäre Politik. 600 | |
Verhandlungstage dauerte der Prozess, mehr als 4 Millionen Seiten und 1,5 | |
Terabyte an Beweismitteln mussten die Richter sichten. Die digitalen | |
Dokumente seien ohne Signatur und ließen sich niemandem zuordnen, sagten | |
Verteidiger. Draußen vor dem Gericht war man sich einig: Das ganze | |
Verfahren sei eine Farce. | |
5 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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