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# taz.de -- Kommentar Ergenekon-Prozess: Ein riesiger Rachefeldzug
> Erdogan zeigt mit dem Prozess, dass nicht nur die Kemalisten eine
> gefällige Justiz hatten. Auch die heutige Justiz hat mit
> Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun.
Bild: Gegen die Urteile wurde unter anderem in Silivri heftig protestiert
Ein gigantischer Prozess ist in Istanbul ist zu Ende gegangen. 254 Personen
wurden als Mitglieder einer „terroristischen Organisation“ namens Ergenekon
[1][zu hohen Haftstrafen verurteilt]. Die Verschwörer – so das Gericht –
hätten Terrorakte geplant und ausgeführt, Hass und Gewalt gesät, um die
gewählte Regierung mit einem Putsch aus dem Amt zu jagen.
Verurteilt wurde eine bunte Mischung an Leuten: Da sind
Universitätsrektoren, die einst Jagd auf Studentinnen mit Kopftuch machten
und Generäle, die Killerkommandos gegen Kurden dirigierten. Da sind
faschistische Bombenleger und Attentäter. An ihren Händen klebt Blut.
Da sind durchgeknallte Maoisten, die mit anti-kurdischem Nationalismus
auftrumpften ein Ex-Generalstabschef, der vielleicht ausgemalt hat, wie die
Regierung zum Teufel gejagt werden könnte. Da sind Akademiker, die die
Regierung mit Artikeln angegriffen haben und Journalisten, die womöglich
Desinformation betrieben, weil es ihnen politisch in den Kram passte.
Anhänger der Regierung feiern den Ergenekon-Prozess als Abrechnung mit der
dunklen Vergangenheit, mit dem kemalistischen tiefen Staat.
Stattgefunden jedoch hat ein politischer Schauprozess, der mit
Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun hat. In der über 2000 Seiten umfassenden
Anklageschrift wurde kein einziger schlüssiger Beweis für die Existenz des
Geheimbundes Ergenekon erbracht. Systematisch wurden die Rechte der
Verteidigung ausgehebelt. Man karrte Zeugen an, deren Identität geheim
gehalten wurde. Ihre Aussagen waren zum Teil theaterreif. Gleichzeitig
konnten einige Angeklagte während des Prozesses nachweisen, dass Daten und
Dokumente, die sie schwer belasten, nach ihrer Festnahme von der Polizei in
ihre Computer eingespeist wurden. „Versehentlich“ hieß es.
Der einzige konkrete Terrorakt, der in der Anklage benannt wird, ist ein
Bombenanschlag auf ein Verwaltungsgericht. Der Anstifter war in einem
Gerichtsverfahren bereits zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das
Urteil wurde aufgehoben, denn das Verfahren sollte im Rahmen des
Ergenekon-Prozesses neu aufgerollt werden. Wie sich später herausstellte,
trat der Bombenleger nicht nur als Angeklagter auf, sondern auch als
geheimer Zeuge. Er erhielt eine der mildesten Strafen – neun Jahre Haft –
und kommt nun auf freien Fuß.
Die einst politisch mächtige, kemalistische Elite, hatte eine gefällige
Justiz. Wegen eines Gedichts schickte sie den jetzigen Ministerpräsidenten
Tayyip Erdogan ins Gefängnis. Heute hat auch Erdogan eine gefällige Justiz,
die einen Rachefeldzug gegen ihre Vorgänger führt.
6 Aug 2013
## LINKS
[1] /Ergenekon-Prozess-in-der-Tuerkei/!121274/
## AUTOREN
Ömer Erzeren
## TAGS
Schauprozess
Schwerpunkt Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
Stalinismus
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Ergenekon
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