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# taz.de -- ARD-„Tatort“ aus Luzern: Das angerissene Dumpfe
> Ein 14-jähriges Mädchen liegt tot im Wald. Die Luzerner Ermittler stoßen
> auf eine schwierige Familienkonstellation und eine sektenartige
> Glaubensgemeinschaft.
Bild: Schwierige Befragung: Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser, r.) mit d…
Regen, Nässe, Nebel. Der unter Tobias Ineichens Regie geführte Luzerner
Tatort unter dem Namen „Geburtstagskind“ beginnt im Kontrast dazu mit einer
idyllischen Geburtstagsszene. Die Mutter bereitet den Kuchen vor, der Vater
zündet die Teelichter an, die jüngere Tochter deckt fröhlich hüpfend den
Tisch. Nur Amina, die ältere Schwester, sitzt abseits, anteilnahmslos
starrt sie vor sich hin. Erst ein bestimmender Aufruf vom Vater veranlasst
sie in die Runde zu kommen. Ineichen stellt im fünften Luzerner Tatort eine
auf Konflikt programmierte Personenkonstellation gegenüber.
Die Ermittler Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia
Mayer) müssen, als die 14-jährige Amina tot im Wald gefunden wird, deren
Leben aufdröseln, das niemand so richtig gekannt zu haben scheint. Das
familiäre Umfeld der Toten war mehr als kompliziert. Aminas Mutter Ursula
(Sarah Spale) wurde von ihrem jetzigen Mann Beat (Oliver Bürgin) vor Jahren
mit den Kindern von der Straße geholt. Sie und der Vater der Kinder Kaspar
(Marcus Signer) waren drogenabhängig und Kaspar gewalttätig.
Das Verhältnis zwischen Beat und Kaspar ist vom Konkurrenzkampf um die
Sympathie der Familie geprägt. Die beiden Männer könnten unterschiedlicher
nicht sein: Beat, ein ruhiger, scheinbar besonnener Typ, ist Vorsteher
einer christlichen Glaubensgemeinschaft. Kaspar, ein querulantischer
Ex-Knastbruder fühlt sich von der Welt verlassen. Den Unterschied der
beiden Männer verdeutlicht Ineichen schon bei der Wohnung: Beat in einem
großen Haus mit eigener Hofeinfahrt, Kaspar auf dem Campingplatz im
Wohnmobil.
Sicherheit- und Freiheitsbedürfnis kollidieren – zwischen diesen Werten
wird auch Ursula im Verlauf der Handlung zusehends hin- und hergerissen.
Und auch Ritschard und Flückiger müssen irgendwann erkennen, dass ihnen ein
völliger subjektiver Zugang an den Fall nicht gelingt. Ritschard, die sich
mit dem Problemkind Amina identifizieren kann, sympathisiert mit Beat und
der auf den ersten Blick heilen Welt, in der Amina die letzte Jahren gelebt
hat. Flückiger, der ein immenses Problem mit Religion und Sekten hat, fühlt
sich mit dem Einzelgänger Kaspar verbunden.
## Verschwiegenheit beherrscht den Film
Ineichen deutet die Sympathien nur an, baut sie nicht aus, lässt den
Konflikt, der durch die unterschiedlichen Bezüge zwischen den Ermittlern
entsteht, nicht eskalieren. Jenes Unausgesprochene, die Stille, die
Verschwiegenheit beherrschen den Film. Große Gefühle und
Auseinandersetzungen bleiben aus. Ineichens Personen sind stumm,
verschwiegen, taub. Die Fluchtversuche Aminas oder Kaspars schlagen fehl.
Und über der gesamten Handlung hängt Beats Glaubensgemeinschaft wie ein
unsichtbares Damoklesschwert. Ihre Praktiken werden selten gezeigt, Beat
bleibt der einzige Protagonist der Sekte. Nur das Beten zieht sich wie ein
roter Faden durch die Geschehnisse.
Der Gemeinschaft mangelt es an Tiefe, doch Beat als einziger Protagonist
passt zu der Art, wie Ineichen die Konflikte nur anreißt, statt sie weit
auszubreiten. An einigen Stellen wünscht man sich mehr Tiefe, ein weiteres
Eindringen in den Konflikt. Das Ende bleibt vorhersehbar, die Rollen sind
zu klar verteilt. Wenn die Sektenthematik im Film Einfluss findet, dann
scheint die Richtung der Handlung schon vorgegeben.
Gerade jetzt, wo die Gerüchte um die angeblich verschwundene Ehefrau des
Scientology-Führers Miscavige die Faszination Sekte in der Realität wieder
aufbauscht, schleppt der Tatort sich mit einer langweiligen christlichen
Glaubensgemeinschaft durch die fiktiven Ereignisse. Das wahre Leben ist
spannender als die Fiktion, in der die Gemeinschaft die dumpfe Bedrohung
darstellen soll, diese aber nicht erhält. Doch letztendlich zeichnet das
Ineichens Tatort aus: Das Anreißen, das Dumpfe. Am Ende bleibt der
Zuschauer zurück wie die Kamera Luzern zeigt – vernebelt.
18 Aug 2013
## AUTOREN
Anika Maldacker
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