# taz.de -- Theater und Ultrarechte in Ungarn: Geliebter Róbert, gehasster Ró… | |
> Ungarns Ultrarechte hassen den Theatermann Alföldi. Als Intendant des | |
> Nationaltheaters in Budapest sind sie ihn losgeworden, als radikalen | |
> Künstler nicht. | |
Bild: Róbert Alföldi ist ein talentierter Künstler. Die rechtsextreme Opposi… | |
BUDAPEST taz | „Wo zum Teufel ist mein Kaffee?“, ranzt Róbert Alföldi | |
seinen Produktionsassistenten an. Eine neue Probenwoche beginnt, und | |
Alföldi hat schlechte Laune. „Steht hinter dir, Robi“, antwortet der | |
Assistent gelassen. Alföldis zorniger Blick weicht einem freundlichen | |
Grinsen. Im Hof der Budapester Sportarena lehnt er sich an die Motorhaube | |
seines Autos und zündet sich eine Zigarette an. Sein kleiner Hund rennt | |
schon in den Probensaal, über die Bühne und bellt vor Aufregung. Den Hund | |
lieben alle. | |
Wo der preisgekrönte Alföldi künstlerisch zu Werke geht, kann mit vollem | |
Haus gerechnet werden. Er ist ein kreatives Multitalent: Theater- und | |
Filmregisseur, Schauspieler und Maler – zudem musikalisch begabt. In dem | |
auch verfilmten Stück „Amadeus“ von Peter Schaffer dirigierte er selbst im | |
Mozartkostüm das Orchester und spielte Klavier. Alföldis Genius scheint | |
schier unerschöpflich – genauso wie der Hass, der ihm aus dem rechten Lager | |
der ungarischen Gesellschaft bei allen seinen Projekten entgegenschlägt. | |
An Alföldi verdichten und entladen sich die gesellschaftlichen Spannungen | |
in Ungarn: Konservative und Rechte nennen sich gern „Heimattreue“ und | |
bezeichnen Linke und Liberale als „Fremdherzige“ oder „Kommunisten“. Die | |
christlich-konservative Kulturpolitik erklärt ein strammes Nationalgefühl | |
zur Voraussetzung für künstlerische Qualität. Als Alföldis Vertrag als | |
Intendant des Budapester Nationaltheaters Ende Juni – nach fünf Jahren – | |
auslief, wurde der Posten neu ausgeschrieben. | |
Obwohl Alföldi sich beworben hatte, wurde er durch einen Nachfolger | |
ersetzt, der den Vorstellungen der Regierung entspricht. Die | |
Auswahlkriterien für die Bewerbung waren so angelegt, dass von Anfang an | |
klar war, dass Alföldi nicht gewinnen konnte. | |
## Heftig gedisst | |
Anlässlich seiner aktuellen Inszenierung von „Stephan, der König“ (siehe | |
Kasten) wurde Alföldi erst jüngst wieder aufs Heftigste in den Medien, über | |
Facebook und auf Internet-Foren gebasht. Die Rockoper über Ungarns | |
Staatsgründung ist für alle politischen Lager identitätsstiftend. Doch | |
fungiert sie nicht als Kitt einer zerbröselnden Gesellschaft, sondern macht | |
die Gräben erst recht sichtbar: Alföldis Kritiker meinen, ein Liberaler wie | |
er dürfte das „Nationalheiligtum“ „Stephan, der König“ überhaupt nic… | |
anfassen. | |
Bei der Probe wirkt der grauhaarige Regisseur, Mitte 40, Jeans und | |
schwarzes T-Shirt, leger. Manchmal macht er kleine Späße, aber wehe, wenn | |
einer aus dem Takt kommt oder sich nicht so bewegt wie er, Alföldi, sich | |
das vorgestellt hat. Als plötzlich, während er den Tänzern etwas erklärt, | |
Musik vom Technikpult ertönt, brüllt er los: „Das kann doch nicht wahr | |
sein! Ich versuche mit 150 Tänzern zu arbeiten und ihr hört hier Musik!“ | |
Die genervte Antwort des Dirigenten: „Robi, wir wollen ein technisches | |
Problem lösen, damit du weiterarbeiten kannst.“ Wieder Alföldi: „Dann mac… | |
es in der Pause oder mit Kopfhörern!“ Ende der Durchsage. Alföldi behält | |
für gewöhnlich das letzte Wort. | |
Aber er kann auch anders. Als Moderator einer Morgensendung im Fernsehen | |
kam Alföldi zwischen 1998 und 2002 so gut rüber, dass er vor allem seiner | |
empathischen Interviews wegen zum „Robi des ganzen Landes“ wurde. Auch in | |
privaten Gesprächen mit seinen Kollegen kann er eine Herzlichkeit | |
herstellen, dass die gar nicht anders können, als sich geliebt zu fühlen. | |
Umso schockierender wirkt es dann, wenn Alföldi seine Schauspieler wie | |
Sklaven behandelt. „Mach doch besser Puppentheater!“, empfahl ihm eine | |
Schauspielerin nach seiner ersten Filmregie 2008, „dazu brauchst du keine | |
Schauspieler.“ Alföldi schwankt zwischen Dr. Jekyll und Mr Hyde. | |
Vom Publikum wird Alföldi entweder geliebt oder gehasst, kalt lässt er | |
keinen. Seine Anhänger stehen stundenlang an, um Karten zu bekommen, seine | |
Hasser organisieren Demonstrationen gegen ihn, den schwulen, | |
skandalträchtigen Regisseur. Die rechtsextreme Oppositionspartei Jobbik | |
hetzt auch gern im ungarischen Parlament gegen ihn – auf ihrer Agenda stand | |
die Entfernung Alföldis als Intendant des Nationaltheaters ganz oben. | |
Seine Inszenierungen jedoch fanden auch manchen konservativen Anhänger. So | |
wurde einer der Verfasser von „Stephan, der König“, Levente Szörényi, auf | |
ihn aufmerksam und bat ihn trotz aller politischen Differenzen, die von ihm | |
und János Bródy komponierte Rockoper für das dreißigjährige | |
Entstehungsjubiläum zu inszenieren. | |
## Keine Kunst | |
Ohne den ersten König Stephan, der vor tausend Jahren herrschte, würde es | |
Ungarn in seiner heutigen Form vermutlich nicht geben. Er ließ das | |
Christentum einführen und stabilisierte das Land durch die Bindung an die | |
Westkirche. Als das Werk 1983 uraufgeführt wurde, galt es als | |
Freiheitssymbol, inspiriert von der Rockoper „Jesus Christ Superstar“, mit | |
versteckter Kritik am kommunistischen Regime. Die Melodien von „Stephan, | |
der König“ kennt in Ungarn jedes Kind. | |
Komponist Szörényi erklärte die Wahl Alföldis damit, dass er wahre Kunst | |
sehen wolle. Er habe die Nase voll von der in konservativen Kreisen | |
hochgehaltenen „Nationalkunst“ und davon, dass jeder, der sich daran Kritik | |
erlaube, gleich als Vaterlandsverräter abgestempelt werde. Als 1983 | |
„Stephan, der König“ entstand, waren es die Parteifunktionäre, die sagten, | |
wo es im kulturell-politischen Leben langzugehen hat. Diese Geisteshaltung | |
lebt in konservativen ungarischen Kreisen fort, weshalb sich immer mehr | |
Künstler vom Regierungskurs distanzieren. Alföldis Nationaltheater galt in | |
Budapest als eine Insel der Andersdenkenden. | |
Der Intendantenwechsel war allerdings angesichts von Alföldis | |
Persönlichkeitsstruktur nicht nur eine politische Entscheidung. Alföldi | |
steht sich manchmal charakterlich selbst im Wege. Ende 2010 erlaubte er dem | |
Rumänischen Kulturinstitut, das rumänische Nationalfest im Budapester | |
Nationaltheater zu feiern. Ziemlich unsensibel. Denn bei diesem Fest wird | |
der Anschluss Siebenbürgens an Rumänien 1918 gewürdigt, der für Ungarn den | |
Verlust dieses Gebiets brachte und zu den wundesten Punkten seiner | |
Geschichte gehört. | |
„Dieses Fest im Budapester Nationaltheater zu feiern ist so, als wären | |
Japans Luftstreitkräfte in Pearl Harbor zum Sektempfang geladen“, | |
kommentierte der User eines Online-Forums. Alföldi gab nach, konnte aber | |
die über ihn hereinbrechende Protestwelle dadurch nicht mehr aufhalten. Die | |
rechtsextreme Jobbik-Partei demonstrierte vor dem Nationaltheater und | |
bezeichnete Alföldi als krank und sein Theater als „Tempel der | |
Perversität“. Das war im Dezember 2010. | |
## Skandal um Oralsexszene | |
Im Frühling 2011 untergrub der sogenannte Oralsex-Skandal Alföldis Stellung | |
weiter: Eine Jobbik-nahe Journalistin hatte sich beschwert, dass es in | |
einer seiner Inszenierungen eine – jedoch nur angedeutete – Oralsexszene | |
gäbe, und gefragt, ob Alföldi das auch einem zwölfjährigen Kind zumuten | |
wolle? „Jawohl, und Ihnen wünsche ich solchen Oralsex bis ans Ende Ihres | |
Lebens“, antwortete er sarkastisch. Daraufhin wurde er zu dem für Kultur | |
zuständigen Minister zitiert. Dieser jedoch stand zu Alföldi und seiner | |
Aufführung, er durfte Intendant bleiben – vorerst. | |
„Wie lange dulden wir noch, dass heimtückische, falsche Priester unter uns | |
herumlaufen?“, fragt ein Lied in „Stephan, der König“. Das fragen sich a… | |
im heutigen Ungarn viele. Vor tausend Jahren hatte Stephan den Clanältesten | |
Koppány besiegt, der auf traditionellen, heidnischen Sitten beharrte. Die | |
ungarischen Stämme standen vor der Entscheidung: weiter in althergebrachten | |
Nomadenstrukturen zu verbleiben – und dabei zwischen den europäischen | |
Feudalstaaten zermalmt zu werden – oder sich in ein eigenes Staatswesen | |
römisch-christlicher Prägung einbinden zu lassen. | |
Einen Kompromiss zwischen Stephan und Koppány konnte es nicht geben. Die | |
eine Kultur musste die andere vernichten. Auch heute scheint es keinen Weg | |
zur Versöhnung der politischen Lager in Ungarn zu geben. Die Zusammenarbeit | |
zwischen dem konservativen Künstler Szörényi und Alföldi und ihr | |
gemeinsames Rockoperprojekt darf man nicht überbewerten. In der derzeitigen | |
Stimmung in Ungarn ist sie aber wenigstens ein kleines Hoffnungszeichen. | |
3 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Anna Frenyo | |
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