# taz.de -- Wahlkampf in Pankow: Unterwegs in Thierses Fußstapfen | |
> Pankow erlebt den ersten Wahlkampf ohne Wolfgang Thierse. Das ist fast | |
> genauso gewöhnungsbedürftig wie ein regierungskritischer CDU-Mann. | |
Bild: Passt nicht in die übliche CDU-Schublade: Kandidat Lars Zimmermann. | |
„Ich finde, die Bundesregierung hat beim Thema NSA komplett versagt.“ | |
Dieser Satz überrascht erst mal wenig an einem Abend im Gleimviertel, bei | |
dem die örtlichen Bundestagskandidaten zur Podiumsdiskussion zusammenkamen. | |
Dass Schwarz-Gelb hier im „Haus der Sinne“ Dresche kriegt, ist nicht anders | |
zu erwarten in einer Gegend, in der die CDU bei der Abgeordnetenhauswahl | |
müde 8,4 Prozent holte. Der Satz aber kommt nicht von den Linken auf dem | |
Podium, sondern vom CDU-Kandidaten. | |
Lars Zimmermann, 38, Geschäftsführer einer Stiftung, passt nicht in die | |
übliche CDU-Schublade. Keine Sozialisation in der Kaderschmiede der Jungen | |
Union, sondern erst seit 2009 in der Partei. Keine Ochsentour durch | |
Ortsverband und Bezirksverordnetenversammlung. Keine Krawatte und kein | |
Jackett, als er ein paar Tage später am U-Bahnhof Schönhauser Allee | |
CDU-Broschüren verteilt. Stattdessen Kapuzenjacke, T-Shirt, Sneakers. | |
„Nein, ich habe mich nicht für die taz verkleidet“, sagt Zimmermann. Was | |
stimmt: Die Plakate am Straßenrand und die Werbekarten in seiner Hand | |
zeigen einen ebensolchen Zimmermann im Pulli über dem T-Shirt. | |
Er habe zu Zeiten von Joschka Fischer mal im Auswärtigen Amt gearbeitet, | |
erzählt Zimmermann, im Planungsstab. Und in seiner Partei sehe ihn mancher | |
als „rotes U-Boot“. Trotzdem ist es nicht so, dass die CDU Pankow schlicht | |
keinen Konservativeren hatte und ihn nur notgedrungen aufgestellt hat. Vier | |
Bewerbungen gab es für die Kandidatur, abgestimmt wurde in einer | |
Vollversammlung. Einer der Unterlegenen ist jetzt im Nachbarwahlkreis Mitte | |
auf den CDU-Plakaten zu sehen, mit Krawatte natürlich. | |
Das „Haus der Sinne“ ist der passende Ort, um das zu tun, wovon Lars | |
Zimmermann beim Broschürenverteilen spricht: Die CDU rauszuholen aus der | |
Komfortzone. Der Satz klingt nach Managersprech und ist schon von vielen | |
benutzt worden. Zimmermann ist das egal – er passe halt. Die Partei solle | |
sich auf Milieus zubewegen, in denen sie eben nicht zu Hause ist. | |
Im Gleimviertel sagt Zimmermann auch noch anderes, was nicht in den | |
Prospekten der CDU steht. Dass es nämlich am Wahlabend des 22. September zu | |
einer ganz anderen Koalition kommen werde als der aktuellen schwarz-gelben | |
oder jener angeblich von Bundeskanzlerin Angela Merkel bevorzugten | |
schwarz-roten: Zu einem Bündnis mit den Grünen nämlich. | |
Damit ist er auch inhaltlich nah bei dem Mann, der auf dem Podium neben ihm | |
sitzt. Wenn das Gleimviertel für Zimmermann prozentemäßig Feindesland ist, | |
dann könnte es Andreas Otto, 51, als sein Wohnzimmer bezeichnen. Es ist der | |
Wahlkreis des Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, 35 Prozent holte er hier | |
2011, mehr geht nur in Kreuzberg. Otto, der nach 16 Jahren im | |
Bezirksparlament und sieben im Abgeordnetenhaus nun auf die Bundesebene | |
will, ist einer jener Grünen, die möglichen Koalitionen nicht von | |
vornherein eine Absage erteilen. „Ich halte nicht viel von diesem ganzen | |
Ausschließen“, sagte er der taz schon Ende 2012. | |
Bereits bei der vergangenen Bundestagswahl hatten sich die Grünen hier mit | |
einem anderen Kandidaten Hoffnungen auf einen Wahlsieg gemacht. Es wäre | |
bundesweit erst das zweite grüne Direktmandat neben | |
Friedrichshain-Kreuzberg gewesen. | |
Doch in Prenzlauer Berg mit seinem grünen Publikum zwei von neun Pankower | |
Abgeordnetenhaus-Wahlkreisen abzuräumen ist etwas anderes, als den | |
Bundestagswahlkreis zu gewinnen, der den ganzen Bezirk umfasst, inklusive | |
der ländlicheren Regionen im Norden. Und so gab es statt eines Siegs nur | |
den vierten Platz noch hinter dem CDU-Bewerber. | |
Mit Otto soll das anders sein – hoffen er und seine Partei. Seine | |
Kalkulation: Er ist über seine lange politische Arbeit im Bezirk bekannt, | |
die gerade in Pankow so viel diskutierten Themen Bauen und Wohnen und das | |
Gezerre um den Flughafen BER sind seine Spezialfelder. Im Landesparlament | |
ist er der Chef des Bauausschusses. Und er bietet Anknüpfungspunkte ins | |
bürgerliche Lager, auch ins kirchliche: Otto war der einzige Grüne, der vor | |
einigen Jahren im Abgeordnetenhaus das Volksbegehren „Pro Reli“ | |
unterstützte. | |
Die Grünen schreiben sich für den 22. September gute Aussichten auf die | |
Fahnen, Zimmermann macht „eine 30-prozentige Chance“ für sich aus. Ist es | |
ein Kampf auf Augenhöhe mit der SPD und dem Wahlkreissieger von 2009, | |
Stefan Liebich von der Linkspartei? Klaus Mindrup, 49, der sein Büro als | |
SPD-Kandidat nur knapp 200 Meter entfernt vom U-Bahnhof Schönhauser Allee | |
hat, schüttelt den Kopf: „Das Ding wird zwischen Stefan Liebich und mir | |
entschieden.“ Die Stärke der Grünen beschränke sich auf Prenzlauer Berg, | |
nördlich des S-Bahn-Rings hätten sie nicht viel zu melden. Und dass der | |
CDUler auf grüne Annäherung macht, passt Mindrup gut: „Otto und Zimmermann | |
fischen im gleichen Pool“, sagt er. „Die sollen sich die schwarz-grünen | |
Stimmen teilen, ich will die rot-grünen.“ | |
Dass der SPD-Kandidat dieses Mal Mindrup heißt, ist fast genauso | |
gewöhnungsbedürftig wie ein regierungskritischer CDUler. Denn in Prenzlauer | |
Berg hieß bei den Sozis der Bewerber seit 1990 immer gleich: Wolfgang | |
Thierse. Nach der Bezirksfusion 2002 galt das auch im neuen Großwahlkreis | |
Pankow. Ikonenstatus hatte der frühere Bürgerrechtler und spätere | |
Bundestagspräsident, er war ein absolutes Zugpferd der SPD. 41 Prozent der | |
Erststimmen räumte er bei der Wahl 2005 ab. | |
Doch vier Jahre später, als seine Partei bundesweit durchhing, half auch | |
Thierses Nimbus nicht, er verlor knapp gegen den heute 40-jährigen Liebich. | |
Was einige in der SPD dazu brachte, ihm das Aufhören nahezulegen – sonst | |
müsse er sich auf Widerstand einrichten. Thierse, der im Oktober 70 wird, | |
verzichtete dann tatsächlich verärgert auf eine erneute Kandidatur. | |
Es sind schwarze Halbschuhe Größe 47/48, angeblich nur im | |
Übergrößengeschäft zu bekommen, die Mindrup helfen sollen, in die viel | |
zitierten großen Fußstapfen Thierses zu treten. „Laufen, laufen, laufen“, | |
antwortet er auf die Frage, wie das denn gehen soll, einen Thierse zu | |
ersetzen, der zwar zuletzt schwächelte, aber als Direktkandidat immer noch | |
eineinhalbmal so viele Stimmen bekam wie die SPD bei den Zweitstimmen – | |
nämlich 27 Prozent gegenüber nur 18 für die Partei. Aber der fehlende | |
Promi-Bonus? „Unterschätzen Sie mein kommunales Netzwerk nicht“, erwidert | |
Mindrup und erinnert daran, dass er seit 14 Jahren Bezirksverordneter ist, | |
zeitweise auch Fraktionschef war. | |
Was auffällt, ist die ungewöhnlich gute Stimmung unter den Kandidaten. | |
Überall müssen Bewerber einigermaßen miteinander auskommen, wenn sie sich | |
fast täglich bei Foren oder Diskussionen begegnen. Doch in Pankow läuft die | |
Sache bislang besonders harmonisch. Nachdem etwa Otto zu einem | |
Veggie-Burger-Essen eingeladen hatte, lobte CDUler Zimmermann per Twitter | |
Pommes, Burger und nette Atmosphäre – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass | |
er eine „Kantinenzwangsbeglückung“ durch einen vorgeschriebenen | |
Vegetarier-Tag weiter ablehne. | |
So streitet Mindrup auch nicht mit seinen Mitbewerbern, sondern mit einem | |
Blogger über Vorwürfe gegen seine Arbeit als Gutachter, die in die 90er | |
zurück datieren. Per Gericht setzte er durch, dass der Blogger anonyme | |
Attacken aus dem Netz streichen musste. „Auch in einem Internetforum sollte | |
es eine Kultur geben, dass man sein Gesicht zeigt und bei der Wahrheit | |
bleibt“, sagt Mindrup. | |
Über Stefan Liebich, den Sieger von 2009, ist gar als schärfste Kritik zu | |
hören, er sei Außenpolitiker. Was heißen soll: Der hat gar nicht die Zeit, | |
sich um den Wahlkreis zu kümmern. Das wiederum ist etwas unfair, denn | |
irgendwer muss sich im Bundestag auch um auswärtige Angelegenheiten kümmern | |
und dadurch zeitweise im Ausland sein. Es will dann ja auch keiner so | |
richtig als Kritik gemeint haben, weil Liebich ja vor Ort durchaus in | |
Erscheinung tritt. | |
Vor einigen Monaten musste er noch befürchten, dass ihn das allgemeine Tief | |
der Linkspartei um sein Mandat bringen würde. Nur 13 Prozent gaben damals | |
in Berlin an, sie würden bei der Bundestagswahl für die Linken stimmen. | |
Doch daraus sind jetzt 18 Prozent geworden – nicht viel weniger als jene | |
20,2 Prozent, mit denen die Linke 2009 zweitstärkste Partei wurde. | |
Wie Mindrup muss Liebich den Wahlkreis nicht unbedingt gewinnen, um wieder | |
in den Bundestag zu kommen. Beide stehen auf Platz vier der Landeslisten | |
von SPD und Linken, und vor vier Jahren gewannen beide Parteien je fünf | |
Bundestagsmandate in Berlin. Und doch sind beide bemüht, ihren Listenplatz | |
nicht als sicher darzustellen – sonst könnte ja einer meinen, es sei | |
besser, wenn ein anderer den Wahlkreis gewinnt und Pankow damit mehrfach im | |
Bundestag vertreten wäre. Tatsächlich aber müssten schon Dämme brechen, | |
damit es für die beiden nicht reicht. | |
Für Andreas Otto gilt das nicht. Der steht zwar auf der Landesliste seiner | |
Partei ebenfalls auf Platz vier. Aber das hat bei den Berliner Grünen noch | |
nie für ein Mandat gereicht. Und da die Partei gerade in Umfragen nach | |
unten geht, kann Otto nicht darauf hoffen, dass das diesmal anders ist. | |
Die wirkliche Wahl ist erst am 22. September, doch im „Haus der Sinne“ gibt | |
es am Ende des Abends schon eine Probeabstimmung. Dabei liegt Liebich vorn, | |
Otto und Mindrup sind gleichauf knapp dahinter. Und dafür, dass das hier | |
milieumäßig keine CDU-Komfortzone ist, kann auch Zimmermann zufrieden sein: | |
Den Piratenbewerber jedenfalls hat er abgehängt. | |
11 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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