# taz.de -- Theaterparcours in Kosice: Stadt der Trennungen | |
> Kulturaustausch in Kosice, im Osten der Slowakei: Mit X-Appartements | |
> öffnen sich Türen zu verschiedenen Communities der Stadt. | |
Bild: Mit X-Apartements kommt man auch auf die Dachterrasse eines alten Hauses,… | |
Endlich ist es geschafft. Das „Folk Architecture Monument“ steht: Drei alte | |
Scheunen aus Holz, die der slowakische Künstler Tomas Dzadon in einem Dorf | |
abgebaut hat, thronen seit Freitag auf dem Dach eines 13-geschossigen | |
Hochhauses in Kosice, der zweitgrößten Stadt der Slowakei. Fast sieben | |
Jahre hat Dzadon sein Projekt verfolgt und die finanziellen Mittel zuletzt | |
über Crowdfunding zusammenbekommen. | |
Einen Tag zuvor noch standen die aus massiven langen Holzbalken gebauten | |
Scheunen auf den Parkplätzen in Lidicke, einer der vielen | |
Hochhaussiedlungen, die wie ein Ring die Altstadt von Kosice seit den | |
1960er Jahren umgeben. Hier erzählte Tomas Dzadon von seinem Interesse für | |
Traditionen. Holz und Beton, das sind die Stoffe, aus denen Vergangenheit | |
und Gegenwart gebaut sind. | |
Er selbst ist, wie mehr als 50 Prozent der Slowaken heute, in einer | |
Hochhaussiedlung aufgewachsen. Während er redet, riecht es nach Holz, nicht | |
nur von den Arbeiten an der Rekonstruktion der Holzhäuser, sondern auch vom | |
Feuer aus den Abfällen in einer Schubkarre. Heiße Sauerkrautsuppe mit | |
Wurstscheiben bietet Dzadon hier seinen Gästen an. | |
Seine Gäste sind Besucher des Projekts X-Apartments, einem | |
Erkundungsparcours zu 14 Wohnungen in und außerhalb der Stadt Kosice, zu | |
der das Goethe-Institut aus Bratislava eingeladen hat. Anlass, Künstler aus | |
der Slowakei, Deutschland, Österreich, Polen und England in Kosice | |
zusammenzubringen, ist, dass die Stadt in diesem Jahr mit Marseille den | |
Titel Kulturhauptstadt Europas trägt. Gesucht wurde nach Projekten, die | |
einen Bogen zwischen der ansehnlich restaurierten Altstadt und den von den | |
urbanen Strukturen und dem kulturellen Leben abgeschnittenen | |
Hochhausvierteln schlagen. | |
Das Goethe-Institut bewarb sich mit X-Apartments, einem Format, das der | |
Theatermacher Matthias Lilienthal vor mehr als zehn Jahren erfunden hat und | |
das inzwischen mehrfach in Berlin, im Ruhrgebiet, in Sao Paulo, Istanbul, | |
Johannesburg und zuletzt in Beirut stattgefunden hat. Die beiden Berliner | |
Kuratorinnen Katrin Moll und Johanna Höhmann warben bei den Künstlern, sich | |
mit der Stadt, ihren Bewohnern, Architekturen und Geschichten | |
auseinanderzusetzen. Vier Tage lang konnten Besucher jeweils zu zweit von | |
Station zu Station pilgern und den Entdeckungen der Künstler folgen. | |
## Verschollene Subkultur | |
Der Brite Phil Collins, der die Bilder populärer Medien gerne nach | |
unbeabsichtigten Aufladungen abtastet, nutzte im Zentrum von Kosice ein | |
schönes altes Kino, dessen sachlicher Jugendstil selbst noch im verwischten | |
Zustand der Gegenwart von der einstigen Euphorie für die Moderne erzählt. | |
In den verschlossenen Saal des Usmev-Kinos schauen die Besucher nur durch | |
die kleinen Fenster in der Kammer neben den ratternden Projektoren. | |
In Schwarz-Weiß sind merkwürdige Bilder zu sehen, ein Mann mimt einen Vogel | |
im Baum, Verfolgungsjagden sehen wie ein Kinderspiel aus; irgendwie | |
unterläuft der Film, ein mehrere Jahrzehnte altes Fragment eines | |
unbekannten slowakischen Künstlers, ständig die Regeln der | |
Illusionserzeugung. Collins Installation hat etwas von der Begegnung mit | |
einem unbekannten Kontinent, der Subkultur der Slowakei. Sie erzählt von | |
Fremdheit und von Bewunderung für eine kaum greifbare Schönheit. | |
Der Rundgang durch X-Apartments im Zentrum von Kosice ist von vielen | |
Geschichten um Verluste und Sehnsüchte geprägt. In einer leeren und frisch | |
renovierten Wohnung, die gleich neben einer Synagoge für den Rabbi | |
vorgesehen ist, erzählt ein temperamentvoller Student aus Israel, der in | |
Kosice Medizin studiert, dass die kleine jüdische Gemeinde der Stadt keinen | |
Rabbi mehr hat. Zuzeit ist er, der Student, Stellvertreter des Rabbis. | |
Zugeteilt hat ihm die Rolle des Erzählers die österreichische Künstlerin | |
Anja Solomonowitz. | |
## Die Leerstelle | |
Atemlos rast seine Stimme durch die Geschichte der Gemeinde von einst mehr | |
als 11.000 Juden, ermordet in den Lagern der deutschen | |
Nationalsozialisten.Er zeigt auf die frisch gestrichenen Wände, an denen | |
lange Fotos der ermordeten Familien hingen, eine Gedenkstätte, die sich der | |
erste nach 1945 nach Kosice zurückgekehrte Rabbi eingerichtet hatte. Heute | |
kommen in der alten Synagoge oft nicht die 10 Mitglieder zusammen, die ein | |
Gottesdienst braucht. Die leere Wohnung, zwischen koscherer Schlächterei, | |
Restaurant und Synagoge gelegen, markiert eine deutliche Leerstelle, von | |
der sehr unsicher scheint, ob sie wieder gefüllt wird. | |
Kosice liegt ganz im Osten der Slowakei, nahe der Grenzen zur Ukraine und | |
Ungarn, und gehörte in den vergangenen Jahrhunderten oft auch zu Ungarn. | |
Die Geschichte der Grenzziehungen wird in zwei Wohnungen im Stadtzentrum | |
thematisiert, voller Zorn über politische Willkür, voller Trauer über | |
zerrissene Familien. | |
## Ausgrenzung der Roma | |
In anderen der kurzen Performances geht es um die anhaltende Ausgrenzung | |
der Roma; davon hört man in Saca, einem Vorort von Kosice, ursprünglich als | |
Idealstadt für die Arbeiter eines Stahlwerks geplant. Da sitzt man dann | |
betroffen einer sechsköpfigen Familie gegenüber, die sich auf ihrem Sofa | |
unter dem Bild der Maria zusammendrängt und von ihrer Suche nach Arbeit und | |
der Zurückweisung erzählen. | |
Die Suche nach Kontakten in die jüdische Gemeinde und die Gruppen der Roma | |
war für das Team von X-Apartments ein Kern ihres Projekts und nicht | |
einfach; viel wurde probiert, bis man Vermittler und Mitspieler fand. Die | |
Fenster, die sich jetzt öffnen, sind klein, jede Erzählung erzeugt mehr | |
Nachfragen, als dass sie Antworten gibt. Das Format X-Apartments, das ja | |
jeder Performance nur 10 Minuten gibt, hat sich mit dem Blick auf die | |
Probleme der sogenannten Minderheiten in der Slowakei gleich auch sehr viel | |
auf die Schultern geladen. Aber im Vorsichtigen, Tastenden der Begegnung | |
scheint eben auch der tiefe Graben der Trennung der unterschiedlichen | |
Gemeinschaften im Alltag auf. | |
## Ehrennadeln der Köchin | |
In Saca begegnet man auch einer Rentnerin, die früher Köchin im Stahlwerk | |
war, einer kirchlichen Gruppe im Kampf gegen den Alkoholismus vorstand und | |
in der kommunistischen Partei war. Ihr kleines Wohnzimmer ist mit dem Foto | |
eines Birkenwaldes tapeziert, darüber läuft ein Film der slowakischen | |
Künstlerin Pavlina Fichta Cierna, in dem Irena Cerna aus ihrem Leben | |
erzählt. Darunter sitzt sie aufgeregt den Zuhörern gegenüber, die am Ende | |
ihre Auszeichnungen, die auf ein rotes Samtkissen geheftet sind, bewundern | |
dürfen. | |
Daraus spricht so ein ungebrochener Stolz, dass ihr Leben von den Gästen | |
eines Kunstprojektes angeschaut wird, aber auch eine berührend tiefe | |
Einsamkeit, verhaftet sein in einer Zeit, deren Werte längst nicht mehr | |
gelten. Wegen solchen kostbaren Augenblicken ist das Format X-Apartments | |
unschlagbar. | |
30 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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