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# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Such mich, ich bin ein Pilz!
> In Düsterförde sind wir früher immer aus dem Zug gestiegen. Am 3. Oktober
> 1990 war der Wald voll von Leuten, die keinen Bock auf Wiedervereinigung
> hatten.
Bild: "Mir sind Pilze suspekt", sagte F., "weder Tier noch Pflanze, siedeln auf…
Der Herbst ist da, die Welt ist bunt, wir gehen in die Pilze. Meine
erstbeste Freundin F. war mit mir im Urlaub in der Feldberger
Seenlandschaft: Da gibt es genau das, was der Name verspricht: Felder,
Berge, Seen und Landschaft. Das ist so schön, dass man manchmal denkt, die
hätten da was mit Photoshop gemacht. Dabei war es nur irgendeine Eiszeit.
„Feldberg!“, hat meine Mutter gerufen, „Da biste als Kind schon in den See
gefallen!“
Das hat nichts zu sagen. Ich bin als Kind in wirklich jeden See gefallen,
der mir vor die Füße kam. „Gleich fällt se rein“, sagte meine Mutter imm…
und mein Vater nickte und zog sich schon mal den Pullover aus. Dann machte
es Platsch, ich schrie, wurde aus dem Wasser gezogen, in Papas trockenen
Pullover gesteckt und nach Hause gebracht.
Die Radtour war beendet. Feldberg liegt in der Nähe von Neustrelitz. Und
bei Neustrelitz in der Nähe ist Düsterförde. Da sind wir immer aus dem Zug
gestiegen, als ich klein war. Düsterförde bestand, glaube ich, nur aus dem
Bahnhof. In dem Bahnhof war eine Kneipe, da saßen lauter traurige Gestalten
drin. „Warum sind die denn so traurig?“, hab ich meine Mama gefragt. – �…
haben den Zug verpasst.“ – „Können sie nicht den nächsten nehmen?“ �…
Schätzchen“, hat Mama gesagt, „ich fürchte, dieser Zug ist lange
abgefahren.“
Mit dem Elektrofahrrad
F. wollte eigentlich mit mir Boot fahren in Feldberg, aber ich kann noch
immer nicht besonders gut schwimmen und wollte lieber Fahrrad fahren. Und
weil ich mit Rücktritt nicht den Berg hochkomme und beim Mountainbike nicht
über die Stange, meinte der Fahrradverleiher: „Nehm’ Se doch ’n
Elektrofahrrad!“ – „Elektrofahrrad!?“, sagte ich, „Das ist doch was f…
kleine dicke Omis mit kaputter Hüfte. So’n bisschen bewegen wollt ich mich
ja auch!“ – „Sie müssen’s ja nich anschalten!“, sagte der Fahrradver…
Den Rest der Woche strampelte F. irgendwelche Schotterpisten mit
14-Prozent-Steigung hoch und keuchte „Scheiß Eiszeit!“, während ich nur a…
einen Knopf drückte, lachend an ihr vorbeiraste und schrie: „Guck doch mal,
wie schön das ist!“
Manchmal fuhren wir auch durch Wälder. Dann mussten wir absteigen und
schieben. Das war nicht schön! Elektroräder sind nämlich scheiße schwer und
definitiv nicht zum Schieben gedacht.
Aber Pilze haben wir gefunden. Fliegenpilze und Knollenblätterpilze, jede
Menge Baumpilze und so beigefarbene mit Halskrause, die so giftig aussahen,
dass uns schon vom Hingucken gruselte.
„1990 war auch ein gutes Pilzjahr“, fiel mir ein, während ich das
tonnenschwere Fahrrad über einen umgestürzten Baum hievte, auf dem sich
schon ganze Pilzwälder angesiedelt hatten. „Am dritten Oktober waren wir
doch alle Pilze suchen“, erkläre ich meiner besten Freundin. Mein Fahrrad
macht ein komisches Geräusch. „Ihr nicht?“, frage ich F. Sie überlegt. �…
ganze Wald war voll mit Leuten, die keinen Bock hatten auf
Wiedervereinigungstamtam“, versuche ich ihr auf die Sprünge zu helfen, „und
trotzdem gab es genug Pilze für alle.“ – „Mir sind Pilze suspekt“, sag…
„weder Tier noch Pflanze, siedeln auf verwesendem Untergrund und dann
dieses narzisstische Verhalten: ’Such mich, such mich, ich bin ein Pilz!‘“
F. hat sich halb hinter ihrer eigenen Jacke versteckt. Ich muss lachen.
„Ich bevorzuge Kürbisse“, sagt F. „Die wachsen in jedem Garten, sind
nahrhaft, ergiebig, nicht giftig und außerdem leicht zu finden, weil sie
sich so schön von der Umgebung abheben.“
Wir stehen an einem Aussichtspunkt. Der See smaragdgrün, golden leuchtet
der Buchenwald.
In der Bahnhofskneipe von Düsterförde steht in geschwungenen Lettern ein
Spruch an der Wand, den werde ich in meinem ganzen Leben nicht mehr
vergessen: „Schön ist es auf der ganzen Erde, / doch am schönsten ist’s in
Düsterförde.“
6 Oct 2013
## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
Mobilität
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