| # taz.de -- Doku über Großstadteinsamkeit: Requiem für ein Unikat | |
| > „Einer fehlt“ auf Arte verhandelt das Thema Einsamkeit in der Großstadt. | |
| > Und gibt die Hoffnung nicht auf, dass Gemeinschaft dennoch funktioniert. | |
| Bild: Einer fehlt, vergessen ist er nicht: 3.000 Euro spendeten die Nachbarn f�… | |
| Plötzlich ist Herr Buchholz verschwunden. Jeden Tag stand der alte Mann mit | |
| weißem Haar, in gebügelter Hose und zu großem Sakko vor dem Eingangstor | |
| seines Mietshauses in Berlin, Prenzlauer Berg und grüßte – vor allem die | |
| Frauen. | |
| JedeR in der Straße kannte den etwas wunderlichen, aber freundlichen | |
| Zausel. Die meisten mochten ihn. Und viele haben eine ganz persönliche | |
| Geschichte über ihn zu erzählen. | |
| Gehört werden diese Geschichten jedoch erst, als der fast 80-Jährige | |
| stirbt. Seine Nachbarin, die, wie sich später herausstellt, seine engste | |
| Vertraute ist, hängt in den Schaufenstern der Straße Plakate auf, um Geld | |
| für Herrn Buchholz’ Beerdigung zu sammeln. 3.000 Euro kommen zusammen. Und | |
| eine Dokumentation entsteht, ganz unabhängig von diesem Geld, die sich auf | |
| die Spuren des Rentners macht. | |
| „Einer fehlt“ heißt der Film von Mechthild Gaßner. Die Hauptrolle spielt | |
| ein Abwesender. Ein Kunstgriff, wie man ihn auch aus anderen Genres kennt: | |
| Die Lebenden definieren sich über den Toten. Gleichwohl ist es das, was die | |
| Dokumentation besonders macht. Während die Nachbarn von Herrn Buchholz | |
| berichten, erzählen, wann und wo sie ihn trafen und was sie mit ihm | |
| sprachen, geben sie mehr von sich selbst preis als über den, von dem die | |
| Rede ist. | |
| ## Perfekte Blaupause | |
| Der alte Mann, der zwar stets freundlich, aber auch immer ein wenig stolz | |
| und unnahbar war, bietet die perfekte Blaupause. Die Trauernden spiegeln | |
| sich selbst. In der Art, wie sie über den alten Mann denken und wie sie ihm | |
| begegnet sind. | |
| Man könnte „Einer fehlt“ als Kritik an der Gentrifizierung lesen. | |
| Schließlich ist die Doku ein Requiem auf ein Unikat, das (aus)gestorben | |
| ist: das Kiezurgestein, der Alte am Fenster. Doch was dieser anrührend | |
| herzerwärmende Film vor allem zeigt: wie gut Gemeinschaft trotz Entfremdung | |
| und Individualisierung, die wir in großen Städten immer wieder beklagen, | |
| funktionieren kann. | |
| 10 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Halser | |
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