| # taz.de -- Popmusik: Die Sehnsucht nach Substanz | |
| > Eine neue Dringlichkeit mit Hilfe des Blues - das Duo Darkside begeistert | |
| > grenzüberschreitend im Berghain. | |
| Bild: Das Berghain: Hier spielten Darkside am Dienstag | |
| Nicolas Jaar ist ein Musiker, der für Überraschungen gut ist. Der studierte | |
| Komparatist veröffentlicht elektronische Produktionen, die den Begriff der | |
| Clubmusik sehr weit dehnen. So lieferte er etwa 2010 mit „Time for Us“ eine | |
| Clubnummer, die bei gemütlichen 115 Taktschlägen pro Minute beginnt, um | |
| mittendrin auf sehr gemächliche 75 Schläge abzufallen und dort bis zum Ende | |
| zu verharren. „Slo-Mo-House“ nennt man diese Entschleunigungshilfen für die | |
| Tanzfläche, denn bewegen kann man sich dazu eigentlich nur ganz, ganz | |
| langsam. | |
| Am Dienstag war der New Yorker Jaar jetzt im Duo mit dem | |
| Multiinstrumentalisten Dave Harrington im ausverkauften Berghain zu | |
| erleben. Ihr gemeinsames Projekt Darkside, dessen soeben erschienenes | |
| Debütalbum „Psychic“ sie dem schwer begeisterten Publikum vorstellten, | |
| bringt eine auf den ersten Blick erstaunliche Innovation für die | |
| elektronische Musik: Über geradem, ebenfalls gedrosseltem Beat erklingen | |
| von einer herkömmlichen elektrischen Gitarre gezupfte Blues-Töne. | |
| Versuche, Rock- oder gar Metal-Riffs mit Techno oder House zu verbinden, | |
| gab es zwar schon seit der Frühzeit dieser Club-Genres, doch muss man die | |
| Mehrheit der Bemühungen als hilflos bezeichnen. Warum die Kombination bei | |
| Jaar und Harrington nicht nur gelingt, sondern tatsächlich nach Erneuerung | |
| klingt, hat vermutlich damit zu tun, dass die beiden Musiker gar nicht erst | |
| versuchen, die Regeln des einen Stils dem anderen überzustülpen. Sie | |
| stellen ihre beiden deutlich unterschiedlichen Erfahrungen gleichberechtigt | |
| nebeneinander und nähern sich von da aus behutsam gegenseitig an. | |
| Genau genommen liegt diese Verbindung ziemlich nahe, denn der frühe Blues | |
| ist rhythmisch oft ähnlich monoton wie House oder Techno, nur dass statt | |
| eines Drumcomputers der auf den Boden stampfende Fuß eines Robert Johnson | |
| den Takt schlug. Anders als im herkömmlichen Blues spielt der Gesang bei | |
| Darkside eine eher untergeordnete Rolle. Geschichten werden, wenn | |
| überhaupt, dann bloß mit wenigen Worten erzählt, die Stimme ist eher eine | |
| Tonspur unter vielen, die lediglich eine Facette zum Gesamtbild beiträgt. | |
| Was an Darkside besonders begeistert, ist das konsequent und erfolgreich | |
| betriebene Einreißen der Grenzen zwischen akustisch und elektronisch, Song- | |
| und Trackformat oder Club und Konzertsaal. So kann man in ihren | |
| ausgedehnten, wie improvisiert hingeworfenen Erkundungen immer wieder | |
| Anklänge an Rock oder Funk hören, meint hier ein Zitat aus dem | |
| Disco-Klassiker „Le Freak“ von Chic aufzuschnappen oder da eine Anspielung | |
| an Chris Isaaks Indie-Heuler „Wicked Game“ zu vernehmen. Dass man sich im | |
| Ergebnis nie ganz sicher sein kann, was da im Einzelnen erklingt, zählt zu | |
| den Stärken des Duos, das nie einfach nur zitiert, sondern seine Vorbilder | |
| so gründlich entkernt, dass nichts weiter als entschlackte Fundamente übrig | |
| bleiben. | |
| Dennoch klingen Darkside nicht nach hohlem Sounddesign. Was ihrer Musik | |
| eine – mitunter leicht ausgefranste – Dringlichkeit gibt, ist die Sehnsucht | |
| nach Substanz, die aus ihr spricht. Selbst die Künstlichkeit ihres Ansatzes | |
| wirkt durch den ernsthaft-konzentrierten Vortrag stets aufrichtig und nie | |
| wie eine formale Spielerei. Wenn mal ein verspieltes Element auftaucht, | |
| dann bleibt es eine diskrete Irritation – wie die präzise kalkulierten | |
| rhythmischen Unstimmigkeiten im Song „Heart“ etwa. | |
| Abstriche muss man allenfalls bei Jaars Gesang machen. Sein Bariton klingt | |
| zwar angenehm, will jedoch nicht so recht tragen. In den hohen Lagen dringt | |
| er besser durch. Vielleicht aber will sich Jaar auch einfach als Person | |
| nicht zu sehr aufdrängen. Bei Darkside steht er schließlich nicht allein | |
| auf der Bühne. | |
| 9 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
| ## TAGS | |
| New York | |
| Pop | |
| elektronische Musik | |
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