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# taz.de -- Die Wahrheit: Faltige Pop-Musen
> Brasilienwoche der Wahrheit: Das „Girl von Ipanema“ gibt es wirklich,
> ebenso Billie Jean, Layla und Peggie Sue. Ihre Selbsthilfegruppe trifft
> sich in Frankfurt.
Bild: Ein „Girl in Ipanema“ anlässlich des Papstbesuches in Rio de Janeiro.
An einem wie üblich sonnigen Nachmittag des Jahres 1962 saßen der Komponist
Tom Jobim und der Dichter Vinícius de Moraes in der Bar Veloso in Ipanema,
dem Charlottenburg von Rio de Janeiro. Sie tranken Bier, rauchten
Zigaretten, tranken noch mehr Bier und zündeten sich weitere Zigaretten an,
bis keine mehr da waren.
Bier gab’s weiterhin. Da ging ein 17-jähriges Mädchen vorbei, hinunter zum
Strand, und „angetan“ von ihrer himmlischen Erscheinung schrieben Tom und
Vinícius an Ort und Stelle ihr berühmtes Stück „Girl From Ipanema“.
So weit, so bekannt die Geschichte hinter Brasiliens bisher wichtigstem
Beitrag zur Popgeschichte. Aber wie erging es dem „Girl“ später? Es
heiratete, ließ sich scheiden, zog sich für den Playboy aus, öffnete eine
Boutique, trank Bier und rauchte Zigaretten. Und das war schon alles? Was
wurde tatsächlich aus dem „Girl From Ipanema“?
In einer Frankfurter Bahnhofskneipe trifft sich einmal im Monat eine
Selbsthilfegruppe: „G & G“. Das Kürzel steht für „Groupies & Girls“, …
dahinter verbergen sich ältere Damen, die von der Popgeschichte sichtlich
gezeichnet sind. Wer einmal genauer hinschaut, wird Michele (Beatles),
Suzanne (Leonard Cohen) und Layla (Eric Clapton) erkennen, von denen
Heloísa Eneida Menezes Paes Pinto, wie das „Girl From Ipanema“ im
wirklichen Leben heißt, allerdings sagt, die drei Altinternationalen des
Groupiewesens hätten ihr das Leben gerettet.
Man muss „Ipanema“, wie sie hier nur genannt wird, gar nicht erst fragen,
wie sie sich gerade fühlt, denn sie plappert sofort los und erzählt von
ihrem Lieblingshobby. Ipanema fährt den ganzen Tag mit Aufzügen. Deshalb
sei sie auch so oft in Frankfurt. „Hohe Häuser, herrliche Fahrstühle“,
tiriliert sie auf Brasilianisch. Da dauere die Fahrt besonders lang. Im
Commerzbank-Tower, dem höchsten Wolkenkratzer Deutschlands, könne sie
manchmal das ganze Stück durchhören. Welches Stück? Paah. „The Girl From
Ipanema“ selbstverständlich. Das sei noch echte Fahrstuhlmusik.
## Schleimige Lüstlinge
Dafür sei Fahrstuhlmusik schließlich da, meint Ipanema. Zu unterhalten, die
Zeit verstreichen zu lassen und im besten Fall Erinnerungen zu wecken – wie
bei ihr: an diese schleimigen beiden Lüstlinge, die ständig am Qualmen
waren und gierig jedem Rock hinterherstarrten, der arschwackelnd
daherscharwenzelte. „Tall and tan and young and lovely…“ summt Ipanema au…
schon wieder los. Gefangen zwischen ihrer Erinnerung und der Abscheu über
die beiden Säcke, die sie ihr Leben lang verfolgen.
Layla reicht ihr ein Taschentuch, nicht ohne verächtlich die erste Zeile
ihres Songs zwischen den Zähnen hervorzustoßen: „You’ve got me on my
knees.“ Das wollen die Kerle doch alle, versichert sie, und Michelle wie
Suzanne nicken grimmig. „Diese ganze herabwürdigende, paternalistische und
Frauen auf ein pures Objekt der Begierde reduzierende Kackscheiße gehört in
den Lokus der Geschichte“, knurrt jetzt Billie Jean, die ihren Besinger
Michael Jackson zwar überlebt hat, aber auch nicht mehr ganz taufrisch am
Pop-Stammtisch hockt.
Sie hat offenbar in Buddy Hollies Peggie Sue eine enge Altersfreundin
gefunden. „O, ich war damals so jung und groß und dumm und hab das alles
nicht durchschaut“, übernimmt Ipanema wieder. Aber ich merkte schnell, dass
da etwas nicht stimmen kann. Achten Sie doch mal auf dieses schweinische
’aaah!‘.“ Und schon singt sie wieder ihr Lied: „And when she passes, ea…
one she passes goes ’aaah!‘. Erst später kam mir der erschütternde Gedank…
dass die Jungs in mir doch nur ein Sexsymbol gesehen haben könnten.“
## Bahnhofskneipe ohne Musik
Wissend nicken die versammelten Damen und wiegen sich im Rhythmus eines
imaginären Songs. Denn zu hören ist nichts. Bewusst haben sie sich diese
schäbige Bahnhofskneipe als Treffpunkt ausgesucht, weil hier keine Musik
läuft. Zu hören ist nur das Geklapper von Geschirr, das Klirren der Gläser
und ab und zu Mal ein Wort vom Wirt oder den eher leisen Gästen.
In diese besinnliche Stille der reifen Popsonggirls bricht plötzlich ein
melodisches Maunzen, ein rockiges Krähen, ein lautes I-ah-Yeah und ein
baritoneskes Wauwuff. Die Girls recken die faltigen Hälse zum Nebentisch,
wo gerade die Bremer Stadtmusikanten ihre eigene Selbsthilfegruppe
abhalten.
Es musst göttliche Fügung sein. Diese Stimmen, dieser Beat – der Funke der
Leidenschaft ist entfacht. Die Girls fühlen sich gleich wieder wie siebzehn
Jahr, blondes Haar… Sofort ist klar, was zu tun ist: Das wird das
spektakulärste Doppel-Comeback des Jahres – selbstverständlich inklusive
Brasilien-Tournee!
10 Oct 2013
## AUTOREN
Vera von Tasso
## TAGS
Brasilien
Popmusik
Verleger
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