# taz.de -- Die Wahrheit: Der Ruch der Wildnis | |
> Dem Großmeister der Publizistik und Kleinverleger der taz Kalle Ruch zum | |
> 60. Geburtstag gewidmet sei dieses huldvolle Stück Jubelprosa. | |
Bild: Der noch sehr junge Kalle Ruch (r.) während seiner Flegel- und Wanderjah… | |
Er ist der Herr des weißen Papiers und der Großmeister der schwarzen | |
Buchstaben, der Wesir des Schlagzeile und der Weise aus dem Zeitungsland. | |
Sein Name schallt von den Zinnen der mächtigsten Druckereien und von den | |
Türmen der gefürchtesten Verlagshäuser wider: Er ist „Der Ruch“, genannt | |
Kalle, was in den Breiten der Publizistik soviel heißt wie „Zar der tausend | |
Stimmen“. Ein Ehrentitel, den er sich, wie es sich für einen Ehrenmann | |
gehört, mit sehr flachen Geschenken erworben hat. Das allerdings war nicht | |
immer so. Denn früher einmal war Kalle Ruch ganz anders … | |
Als Kalle Ruch noch ein Knabe war und heller Flaum sein Haupt zierte, da | |
führte er einmal seine Einhörner durch grüne Auen und ließ sie an einem | |
sprudelnden Quell trinken, den er freilegte, indem er drei Mal mit seinem | |
Stab auf den Boden klopfte. Da aber erschien ihm der Herr in einem | |
brennenden Dornbusch und sprach: „Kalle!“ Kalle Ruch aber wunderte sich | |
nicht schlecht. Denn noch hieß er ja Karl-Heinz. Und der Herr erschien | |
sonst nur freitags zum Doppelkopf oder wenn er dringende Fragen zur | |
Schöpfung hatte, da Kalle Ruch sich in deren Belangen hervorragend | |
auskannte. Besonders für einen Vierjährigen. Außerdem konnte er das | |
Geräusch des Urknalls erschreckend naturgetreu nachahmen und brachte den | |
Herrn damit regelmäßig zur Weißglut. | |
„Kalle“, sprach also der Herr, der dem vorwitzigen Kinde nie lange Gram | |
sein konnte. „Ich will dich erheben über all meine Geschöpfe.“ – „Das… | |
mir heute aber ganz schlecht, mein Gutster“, versetzte der Knabe trocken, | |
tippte grüßend an den Hut und ging vergnügt seiner Wege. Denn Kalle Ruch | |
verfolgte schon damals eigene Pläne. | |
Später, als Kalle Ruch mit Siebenmeilenstiefeln dem Mannesalter entgegen | |
schritt, die Kröte des Stimmbruchs aber noch in seinem Schlund rumorte, | |
verlangte seine Mutter zu wissen, ob er sich zu seinem zwölften Wiegenfest | |
nicht doch noch zu regelmäßigem Schulbesuch bequemen wollte. Kalle Ruch | |
bewegte dies Ansinnen lange in seinem Herzen, beschied es aber abschlägig. | |
Eine Schule zu besuchen, schien ihm widersinnig, gefährlich gar. „Ist die | |
Schule im Fluss des Lebens nicht mit jenem Skorpion zu vergleichen, der den | |
Frosch sticht, obwohl er ganz sicher mit ihm untergehen wird?“, fragte der | |
Jüngling. | |
Vermutlich nicht, aber erklären Sie das mal einem Zwölfjährigen, der | |
außerdem behauptet, mit dem Herrgott Doppelkopf zu spielen und ansonsten | |
Einhörner zu hüten! Statt zum Unterricht zog es Kalle Ruch hinaus in die | |
Welt, wo es Abenteuer zu bestehen, Burgen zu erobern und Frauen zu belagern | |
oder wenigstens anzusprechen galt. | |
## Countrysongs mit der Stimme eines Countertenors | |
Kaum 14-jährig, beschloss Kalle Ruch zur See zu fahren, heuerte auf einem | |
rostigen Seelenverkäufer des öffentlichen Nahverkehrs an und ließ sich am | |
nächsten Hafen absetzen. Wie des Jünglings Herz pochte, als er all der | |
Schaluppen, Schabracken und Schalmeien ansichtig wurde, die unter geblähten | |
Segeln in die blaue Endlosigkeit strebten! | |
Ganz gehörig, sollte man meinen, doch Kalle Ruch floss das Blut schon | |
damals zäh und kühl wie Fichtenharz durch die Adern und sein Puls glich | |
einem langsamen Rumpeln, das aus fernen Zeiten herüber weht. Sein Blick | |
aber war derart verwegen, dass ihm die Kapitänspatente und Herzen allerlei | |
Geschlechts nur so zuflogen. Es waren glückliche, wenn auch gefahrvolle | |
Jahre, in denen der junge Ruch zum Manne reifte; vielfältig waren die | |
Abenteuer, die er stets kühnen Sinns, aber weitgehend korrekt gekleidet zu | |
bestreiten pflegte. Sie hier einzeln wiederzugeben, hieße jeder | |
Schneeflocke eines langen Winters erzählerisch Gestalt zu geben. | |
Nur eine sei hier erzählt, wie Kalle Ruch nämlich einmal den Fürsten des | |
Feuilletons ungewollt beerbte. Es trug sich einst zu, dass der Frankfurter | |
Großmogul, Frank Schirrmacher, auf die krumme Bahn geriet und also | |
Journalist werden wollte. Damals wog er 180 Kilogramm, um seinem Vorbild | |
Helmut Kohl ähnlicher zu sein. Um aber sein Traumgewicht zu halten, lebte | |
der Frankfurter in einer Höhle auf Kreta, später gewann er beim Pokern ein | |
Fischrestaurant im Hafen von Piräus, wo er zu singen begann. Und eben dort | |
kreuzten sich die Lebenswege beider Männer von Format: Ruch und | |
Schirrmacher. Und Letzterer erkannte sich wieder im Ersteren, denn Kalle | |
Ruch sang mit der Stimme eines Countertenors Countrysongs. Da wurde | |
Schirrmacher gewahr, dass er niemals so gut werden würde. Also entschloss | |
er sich, Zeitungsmagnat zu werden, und vermachte kurzerhand Kalle Ruch sein | |
Fischrestaurant, das der blutjunge Nachwuchswirt zum besten | |
Frutti-di-Mare-Lokal westlich von Santa Fe formte. So konnte sich Kalle | |
Ruch den Grundstock für den eigenen großen Traum sichern: eine Zeitung, die | |
Zeitung, seine tageszeitung. | |
Und so kann, wer will, bis heute an den Lagerfeuern und Wurstbuden von | |
Laramie bis Taschkent vom Wirken des Kalle Ruch hören, wenn er im Garn der | |
Geschichten auch als Vogel Ruch, gefürchteter Balruch oder Erfinder des | |
Ruch ’n’ Roll auftaucht. In einem sind sich sämtliche Erzähler vergangener | |
Zeiten allerdings einig: Untergehen wird die Welt erst, wenn sie ruchlos | |
geworden ist. | |
23 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Vera von Tasso | |
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