# taz.de -- Darmstadt feiert Georg Büchner: Worte ausstellen, mit Bravour | |
> Zum 200. Geburtstag ist in Darmstadt eine Ausstellung über den | |
> Schriftsteller und Revolutionär Georg Büchner zu sehen. Ein kulturelles | |
> Ereignis. | |
Bild: Ausgestellte Präparate von Fröschen und Kaulquappen: Büchner war auch … | |
Die Stadt Darmstadt feiert den 200. Geburtstag Georg Büchners am 17. | |
Oktober mit einer opulenten, 2 Millionen Euro teuren Ausstellung. Der | |
Schriftsteller, Mediziner, Naturphilosoph und Revolutionär Büchner wurde im | |
hessischen Goddelau geborenen und ist in Darmstadt aufgewachsen. | |
Das literarische, politische und wissenschaftliche Werk des mit 23 Jahren | |
im Zürcher Exil an Typhus gestorbenen Dichters ist schmal – drei Dramen, | |
eine Erzählung, ein politisches Manifest und eine etwa zehn Seiten | |
umfassende medizinische Dissertation, neben einigen Schülerarbeiten und | |
vielen Briefen. Das erklärt wohl ein Stück weit, warum Büchner seit | |
Generationen zum Favoriten für Prüfungen von Germanistikstudenten wurde. | |
Aber das quantitativ schmale Gesamtwerk Büchners enthält nach wie vor | |
ästhetische und politische Brisanz. | |
Das Ausstellungskonzept ist ebenso einfach wie überzeugend. Es arbeitet | |
nicht mit fragwürdigen Aktualisierungen und Vergleichen, sondern will | |
möglichst viel von dem optisch und akustisch zeigen, was Büchner selbst | |
gesehen, gehört, gelesen und erfahren hat. Als Wegweiser durch die | |
Ausstellung fungieren – unumgänglich für eine Literatur-Ausstellung – | |
wörtliche Zitate aus Büchners Werken sowie Briefe von ihm und an ihn. | |
Neben zeithistorischen Objekten von einer Druckerpresse bis zu einer | |
Guillotine bedient sich Ralf Beil, der Kurator, auch multimedialer | |
Installationen und Filme. Zum Beispiel kann man eine fachgerechte Sezierung | |
eines Fisches in einem Film optisch und akustisch verfolgen (von den | |
Schädelnerven von Fischen handelte Büchners Probevorlesung an Universität | |
Zürich). | |
Zeitgenössische Bilder, Druckgrafiken und wissenschaftliche Instrumente | |
illustrieren Büchners Umwelt. Die Ausstellung stellt sich dem paradoxen | |
Anspruch, Worte ausstellen zu müssen, mit Bravour. Sie stellt mit der | |
geschickten Auswahl von Zitaten aus Originaltexten, Tönen, Bildern und | |
Objekten ein Geflecht von Beziehungen her, die zusammengenommen ein | |
stimmiges Porträt Büchners ergeben. Büchner hat viele Texte mit einer | |
virtuosen Collagetechnik geschaffen. | |
## Ein frühes politisches Engagement | |
So bildet das funkelnde politische Manifest „Der Hessische Landbote“ eine | |
Montage aus Bibelstellen, statistischen Daten, revolutionärem Protest gegen | |
den „Staatsdieneraristokratismus“, den „ewigen Gewaltzustand“ unter der | |
fürstlichen Herrschaft. Seine sozialkritischen Beschreibungen zielen auf | |
die „niedrigsten Verhältnisse“ im damaligen Hessenland. In diesem | |
konstatierte er bereits als 20-Jähriger „eine Wüste Sahara in allen Köpfen | |
und Herzen.“ | |
Zwar wuchs Büchner in einem großbürgerlichen Haushalt in der Nähe des | |
Darmstädter Schlosses auf, hatte aber früh ein waches Auge für das soziale | |
Gefälle im Großherzogtum: „Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die | |
Herren sich für euer Geld dort lustig machen, und erzählt dann euren | |
hungernden Weibern und Kindern, daß ihr Brot an fremden Bäuchen herrlich | |
angeschlagen hat. […] Das alles duldet ihr, weil euch Schurken sagen: diese | |
Regierung sei von Gott. Diese Regierung ist nicht von Gott, sondern vom | |
Vater der Lügen.“ | |
Nach diesem revolutionären Weckruf an die ausgebeutete und verarmte | |
hessische Landbevölkerung im „Hessischen Landboten“ musste der | |
steckbrieflich gesuchte Büchner nach Straßburg in die „französische | |
Gewitterluft“ fliehen. In den 30er Jahren rebellierte das Volk gegen ihre | |
Obrigkeiten zwischen Warschau und Paris. Und Büchners Werk reflektiert | |
diese Zeit in einmaliger Weise mit einer bis dahin unerhörten und später | |
selten wieder erreichten sprachlichen Ausdruckskraft. | |
## Im Exil: Frankreich und die Schweiz | |
Auch in Frankreich konnte Büchner nicht bleiben und floh in das damals | |
weltoffene Exilland Schweiz. Viele politisch Verfolgte aus deutschen | |
Staaten fanden damals in Zürich eine sichere Zuflucht und ein materielles | |
Auskommen. Die 1833 gegründete Universität war die erste in einem | |
demokratischen Staat, und der radikaldemokratische Privatdozent Büchner | |
berichtete am 20. 11. 1836 seinen Eltern begeistert: „Die Straßen laufen | |
hier nicht voll Soldaten […] und faulen Staatsdienern, man riskiert nicht, | |
von einer adligen Kutsche überfahren zu werden.“ | |
Die Darmstädter Ausstellung ist der Collagetechnik Büchners kongenial | |
nachgebildet. In seinen Dramen „Woyzeck“ und „Dantons Tod“ bedient sich | |
Bücher anderer literarischer Vorlagen. Das Ausstellungsteam nutzt die | |
Erkenntnisse der neuesten Büchner-Forschung zu dessen Montagetechnik für | |
Computer-Animationen, die optisch verdeutlichen, wie Büchner Texte | |
konstruiert beziehungsweise komponiert hat. | |
## Eine wieder entdeckte Zeichnung, zum ersten mal öffentlich gezeigt | |
Eine Sensation bildet das Original der jüngst wieder entdeckten Zeichnung | |
aus dem Tagebuch von Alexis Muston – einem Darmstädter Freund Büchners. Sie | |
ist als Leihgabe aus dem Frankfurter Goethe-Museum erstmals öffentlich | |
zugänglich. Dank dem detektivischen Spürsinn der Büchner-Forscher Reinhard | |
Pabst und Hermann Kurzke sowie dem Waldenser-Forscher Reinhard Bender wurde | |
die Zeichnung in Mustons Nachlass entdeckt, der im Besitz von Erben in | |
einem Dorf bei Marseille ist. | |
Die Erben konnten davon überzeugt werden, dass die Zeichnung in ein | |
deutsches Archiv gehört. In der Ausstellung ist sie zusammen mit dem | |
ebenfalls erst jüngst in Gießen aufgetauchten Porträt zu sehen. Ob es | |
wirklich Georg Büchner zeigt, ist umstritten. | |
Beachtlich, wenn auch nicht ohne Tücken, ist Beils Ausstellungsarchitektur. | |
Sie musste wegen Renovierungsarbeiten vom Museum Mathildenhöhe in das | |
Kongresszentrum darmstadtium verlegt werden. Der Hauptsaal dieses | |
Kongressgebäudes ist nicht für Ausstellungen konzipiert, denn er hat keine | |
geraden Wände. | |
Um eine Ausstellung überhaupt installieren zu können, ließ Beil riesige | |
Podeste und Emporen in den 700 Quadratmeter großen Saal einbauen. Die | |
Lounge zum Kongresssaal dient als Entree und für Videoprojektionen, Kostüme | |
und Szenefotos von verschiedenen Produktionen des Fragment gebliebenen | |
Dramas „Woyzeck“, das vor hundert Jahren erstmals aufgeführt wurde. | |
## Verfehlte Mitnahmeeffekt | |
Jubiläen erzeugen Mitnahmeeffekte. Auch das PEN-Zentrum Deutschland | |
residiert in Darmstadt. Für eine Tagung wählte es kürzlich das | |
Büchner-Zitat „Ein einziger Aufwiegler taugt manchmal mehr als alle | |
Abwiegler zusammen“. Zwar wird jeder informierte Büchner-Leser beim Wort | |
„Abwiegler“, das der Duden nicht kennt, sofort stutzig, aber beim | |
PEN-Zentrum scheinen die Büchner-Kenner so rar zu sein wie die Vorsicht. | |
Ein Anruf bei der Marburger „Forschungsstelle Georg Büchner“, wo eine | |
historisch-kritische Büchner-Werkausgabe unter Leitung von Burghard Dedner | |
erarbeitet wurde, hätte genügt, um das „Zitat“ als das auszuweisen, was es | |
ist – eine Erfindung. Das PEN-Zentrum wollte nicht nachfragen, sondern | |
vertraute – nach seiner Auskunft – auf die obskure Adresse | |
[1][www.aphorismen.de] und handelte sich so mit dem erfundenen | |
Büchner-Zitat als Aufmerksamkeitserreger eine Blamage ein. | |
Auf solchen Dilettantismus verzichtet Ralf Beil, der Kurator der | |
Darmstädter Ausstellung. Er und sein Team haben umfangreiches Material zu | |
einer gelungenen Darstellung des Solitärs Büchner zusammengetragen und sich | |
dabei des wissenschaftlichen Sachverstands der Marburger Forschungsstelle | |
versichert. | |
Die Ausstellung bietet ein reiches Mosaik aus Bildern, Tönen und Texten, | |
das sich dem Besucher durch den informativen Audio-Guide in seiner | |
Subtilität und Vielfalt erschließt. Ein 600 Seiten starker Katalog sowie | |
ein umfangreiches Rahmenprogramm machen die Ausstellung zu einem | |
herausragenden kulturellen Ereignis. | |
16 Oct 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.Aphorismen.de+ | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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