| # taz.de -- Schiller goes Stummfilm: Ohne Worte | |
| > Am Jungen Schauspiel Hannover feiern Schillers Räuber in einer besonderen | |
| > Form Premiere: Die Aufführung verzichtet auf die Worte. | |
| Bild: Lust auf ein Experiment, Lust auf Reduktion und Lust auf nonverbale Spiel… | |
| HANNOVER taz | Ja, wie tollkühn ist das denn? Schiller ohne Worte! | |
| Schillers genialer Jugendstreich „Die Räuber“ ist ein emotional | |
| elektrisiertes Sprachkunstwerk, eine Sprechoper. Und in Hannover wird es | |
| nun dargeboten als stummer Abend. Die immer noch unfassbar tollen | |
| Formulierungen, aufbrausenden Diskurse, das rauschhafte Philosophieren, | |
| stürmende und drängende Politisieren, diese ekstatisch aus Worten | |
| komponierte Adoleszenz-Energie zwischen Machtwillen und Idealismus, | |
| Aufbegehren und Anpassung werden hier einfach mal weggelassen. Die | |
| Aufführung verzichtet auf diese ganze wertvoll Schöne, Wahre und Gute des | |
| Klassikers. | |
| „Das ist natürlich schon ein Verlust“, bestätigt Gesa Lolling, Dramaturgin | |
| für das Junge Schauspiel Hannover. Auf der Suche nach dem Gewinn ist Ruth | |
| Messing in ihrer ersten abendfüllenden Regiearbeit. Warum „Die Räuber“? D… | |
| Theaterleitung hatte es angeboten. Warum eine von Sprechakten befreite | |
| Aufführung? „Die Regisseurin wollte auf der Bühne nicht diesen endlosen | |
| Monologen und Beschreibungen Schillers folgen“, sagt Lolling. „Beim | |
| Schwarzlicht und Puppentheater hat sie ihre Lust entdeckt, nach neuen | |
| Darstellungsformen zu suchen.“ | |
| Lust auf ein Experiment, Lust auf Reduktion und Lust auf nonverbale | |
| Spielweisen. Auch die Bühne hat Andrea Wagner erstmal leer geräumt, bis auf | |
| einen sachlichen Kubus. Spielorte werden per Videozuspielungen angedeutet, | |
| für Atmosphäre sorgt ein Geräuschemacher, Nebenhandlungen kommen als | |
| Schattenspiel und die zentralen Geschehnisse in Stummfilm-Ästhetik daher. | |
| Die Inszenierung lebt von überlebensgroßen Gesten, malerisch in die Haut | |
| gefalteter Mimik, emotionensprühenden Blicke, expressiver Schminkkunst. | |
| Die erhofften Zuschauer – „ab 14 Jahre“ – erleben die Geschichte der | |
| ungleichen Brüder Franz und Karl, die um die Liebe ihres Vaters buhlen. | |
| „Wir wollen diese Fabel des Dramas freilegen und sind so in eine andere | |
| Erzählweise gekommen: Sehnsucht nach Situation, nennt das die Regisseurin“, | |
| sagt Dramaturgin Lolling. Das Geschehen wird konzentriert auf eine Abfolge | |
| klarer (und wenn es gelingt auch) gleichnishafter Szenen, die unter | |
| Überschriften wie „Franz begehrt die Freundin des Bruders Karl“ und „Vat… | |
| bevorzugt Karl“ stehen könnten. So soll ein prägnantes Bildertheater | |
| entstehen. | |
| ## 20 Schiller-Sätze als Zwischentitel | |
| Und was ist nun der Vorteil des Schweigens? Also ganz so wortlos werde es | |
| nicht, beruhigt die Dramaturgin. Absichtserklärungen der Figuren, Wechsel | |
| der Zeitebenen, all das also, was man partout nicht spielen könne, werde in | |
| der Art von Zwischentiteln auf die Bühne projiziert. 20 Schiller-Sätze | |
| werden auf diese Weise den radikalen Zugriff überleben. | |
| Da Schauspieler nun also nicht den Text, sondern nur die Figuren | |
| beglaubigen und Zuschauer alles von deren Körpern ablesen müssen, | |
| bezeichnet Lolling den gewünscht positiven Effekt der Inszenierung als | |
| „Aufmerksamkeitsschärfung“. Man spiele zwar lockerer und schneller als im | |
| Stummfilm üblich, aber der klare Blick auf den rohen Plot helfe, sich auf | |
| die Gefühlslage und Motivation der Figuren und die Theatermittel zu | |
| fokussieren. | |
| ## Zauberstarkes Gegenmittel | |
| Ein vielleicht zauberstarkes Gegenmittel zum aufmerksamkeitsheischenden | |
| Tohuwabohu des Theaterpremierenalltags. Erwünscht sein könnte ein Effekt, | |
| wie er in „The Artist“ im Kino gelang: Hier triumphiert ein Stummfilm im | |
| Stil der 1920er Jahre in der Multiplex-Welt der sinneverwirrenden | |
| 3D-Effekte. | |
| „Die Tatsache, dass du nicht über einen gesprochenen Text gehst, wirft dich | |
| auf eine grundlegende Art des Geschichtenerzählens zurück, die nur durch | |
| die Gefühle funktioniert, die du erschaffst.“ Mit diesen Worten wurde „The | |
| Artist“-Regisseur Michel Hazanavicius einst zum Erfolgsgeheimnis zitiert. | |
| ## Premiere: 18. Oktober, 19.30 Uhr; weitere Vorstellungen: 19. + 30. | |
| Oktober, 7. und 10.November, Hannover, Ballhofplatz 5 | |
| 14 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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