# taz.de -- Müllmenschen in Monschau: Zeitgeist in der Kleinstadt | |
> Einst erlebte das an der belgischen Grenze gelegene Monschau einen | |
> Kulturschock, heute ist die Stadt stolz darauf. Das zeigt sie mit Müll. | |
Bild: Früher eine Provokation, heute eine Image-Kampagne. | |
MONSCHAU taz | Da stehen sie vor pittoresker Fachwerkhauskulisse, diese | |
Figuren aus Müll, mitten auf dem Marktplatz von Monschau. Sie sind | |
lebensgroß, farbig, verbeult und an manchen Stellen verrostet. | |
„Trash People“ nennt der Aktionskünstler HA Schult seine „Müllmenschen�… | |
durchstreift wohlgelaunt deren Reihen. Bevor sie nach Monschau kamen, | |
standen sie auf dem Roten Platz in Moskau, auf Chinas Großer Mauer und vor | |
den Pyramiden von Gizeh, sie weilten in Rom, Paris und gerade erst in | |
Barcelona. | |
Nun also Monschau – beschaulich, verschlafen, ein Ort in der Eifel unweit | |
der belgischen Grenze. Für den 74-jährigen Künstler ist es eine Rückkehr. | |
Hier begann seine internationale Karriere. Er müsse sich, sagt er, „ganz | |
herzlich dafür bedanken, dass die Leute in Monschau zu meiner Überraschung | |
so nett geworden sind“. Dabei habe er sie doch „damals so schlecht | |
behandelt“. | |
Damals, im Sommer 1970. Damals war der kleine malerische Flecken für ein | |
paar Tage Avantgarde – und wollte es doch nicht sein. | |
## Schrilles Spektakel von der Polizei beendet | |
Denn ausgerechnet in der westlichen Eifel, wo es niemand erwartete, | |
verließen Künstler und Künstlerinnen mit ihren Werken die Galerien und | |
Museen und wagten die direkte Begegnung mit der Bevölkerung. | |
„Umwelt-Akzente“ hieß das Spektakel, das heute als die erste große | |
Straßenkunstaktion der Welt gilt – farbig, schrill und laut. | |
Da war etwa die in rosa Schaumstoff gekleidete Fassade des Marktcafés – | |
eine Arbeit von Ferdinand Spindel, und die blau gefärbten Bäume von Wolf | |
Kahlen. Da waren die von riesigen Ballons versperrten Gassen – Erwin | |
Wortelkamp hatte es sich ausgedacht, die „Fußgänger-Fanganlage“ von | |
Hingstmartin oder die nach einem Entwurf von Günther Uecker weiß | |
gestrichene Straße, die Rune Mields umsetzte. | |
Mittendrin fuhr der damals 30-jährige HA Schult mit einem Auto durch die | |
historische Altstadt und nervte über Lautsprecher die Menschen in der | |
Stadt. Die Polizei beendete seine Provo-Aktion. | |
Die Organisatoren Kaspar Vallot und Klaus Honnef vom kurz zuvor gegründeten | |
Kunstkreis Monschau hätten damals, meint Schult grinsend, „so ein paar Irre | |
hierhergeholt, von denen einige überlebt haben, einige sind weggenippelt“. | |
Einer der Irren war er. | |
39 Künstlerinnen und Künstler beteiligten sich 1970 an der Open-Air-Schau. | |
Viele von ihnen, etwa Klaus Rinke, Timm Ullrichs oder Lawrence Weiner, | |
zählen heute zu den bekanntesten Vertretern der Gegenwartskunst. „Nicht in | |
Paris, nicht in London, nein, in Monschau fand die erste öffentliche | |
Straßenkunstaktion statt“, sagt Schult. | |
## Junge Wilde schockten die Leute | |
In der Kleinstadt allerdings kam das Kunstspektakel nicht so gut an. Die | |
Leute waren fassungslos, reagierten mit Schock auf die Provokationen der | |
jungen Wilden und mit Abwehr, weil ihre überschaubare Welt plötzlich in | |
Unordnung gebracht worden war. „Was Kunst ist, das weiß ich nicht; aber | |
dass das keine Kunst ist, weiß ich“, empörte sich der Kreisbrandmeister. | |
Und der Pfarrer fragte besorgt: „Hat Monschau seinen Ausverkauf des | |
Geistes?“ Es hagelte Anzeigen wegen angeblicher Belästigungen. Und es gab | |
noch drastischere Reaktionen: So protestierte ein „Umwelt-Akzente“-Gegner | |
mit einer Fäkalien-Aktion gegen den Frevel und lagerte seinen Stuhlgang in | |
einem der Kunstexponate ab. | |
„Damals herrschte eine aufgeladene Stimmung“, erinnert sich der Kurator | |
Klaus Honnef. „Der Unmut stieg wie der Pegel der Rur.“ Rur – das Flüssch… | |
in Monschau. Jugendliche Hitzköpfe zerstörten oder beschädigten zahlreiche | |
der im Stadtgebiet aufgestellten Werke. „Heute weiß ich, dass sie von | |
honorigen Bürgern mit Bierkästen als Lohn dazu ermuntert wurden“, sagt der | |
inzwischen 85-jährige Kaspar Vallot. | |
Die „Umwelt-Akzente“ blieben ein einmaliges Ereignis. Einen solchen Eklat | |
wollten die Stadtoberen nicht noch einmal riskieren. Dabei war die | |
Kunstaktion ökonomisch gesehen ein Schnäppchen: Der Etat, den Stadt, Kreis | |
und Land seinerzeit zur Verfügung stellten, betrug 20.000 D-Mark. Davon | |
könnte man sich heute höchstens einen einzigen von HA Schults „Trash | |
People“ leisten. Etwa 400 D-Mark wurde jedem Künstler, jeder Künstlerin für | |
Material zur Verfügung gestellt, damit die Werke überhaupt realisiert | |
werden konnten. Ein Honorar bekamen sie nicht. | |
## Moschau ist konservativ | |
„Uns hat damals der Weitblick gefehlt“, sagt Margareta Ritter, die heutige | |
Bürgermeisterin von Monschau. Seit 2009 steht die Christdemokratin dem in | |
einem Talkessel gelegenen Städtchen vor, dessen Haupteinnahmequelle der | |
Tourismus ist. Sie ist die erste Frau in diesem Amt. | |
12.960 Menschen leben in Monschau. Die meisten wählten schon immer | |
konservativ – und tun es auch heute. Wie ihre Vorgänger kann Ritter im | |
Stadtrat auf eine absolute CDU-Mehrheit bauen. Dass sich jedoch auch das | |
Konservative modernisieren muss, ist ihr klar. Sehr genau registriert sie | |
gesellschaftliche Veränderungen. | |
So ist der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Monschauer Unternehmer | |
mittlerweile ein Grüner, und zwar deren Ratsfraktionsvorsitzender. Sie | |
hätten ein gutes Verhältnis, sagt Ritter. Im Rat gibt es eine freiwillige | |
Kooperation zwischen CDU und Grünen. Auch sonst hat Ritter keine | |
Berührungsängste: Mit Monschaus Bloggerin von der Piratenpartei ist „Magga�… | |
per du. | |
„Monschau braucht Kritik, Begeisterung und Diskussion“, sagt die | |
Bürgermeisterin. Die Stadt profitiere zwar immer noch von ihrer | |
Fachwerkhausidylle, aber um überlebensfähig zu sein, reiche das nicht. | |
Monschau als weltoffene Stadt – das sei eine „herausfordernde Perspektive�… | |
Dazu gehört die positive Rückbesinnung auf jene Kunstaktion von vor über 40 | |
Jahren. | |
Deswegen stehen jetzt die 200 „Trash People“ auf dem Marktplatz, wo Leute | |
sonst Kaffee trinken, Kuchen essen. „Diese Kunstaktion ist ganz wichtig für | |
uns“, sagt Ritter. Monschau sei ansonsten „so klischeebelastet“. | |
## Müll als Lebensthema | |
Flankiert wird der Auftritt der Blechbüchsenarmee von einer Werkschau des | |
Künstlers im wenige Meter entfernten Aukloster. Im Hof können Besucher den | |
„Kölner Autodom“ bewundern, eine den Kölner Dom persiflierende Skulptur a… | |
Autoteilen. | |
HA Schult gehört zu den letzten großen Umweltkünstlern der Gegenwart, er | |
steht in einer Reihe mit den verstorbenen Meistern Josef Beuys und | |
Friedrich Hundertwasser. | |
Schults Lebensthema ist der Müll. So hat er Opernsänger auf Müllkippen | |
singen lassen, Tonnen von Altpapier in Innenstädte geschüttet und aus | |
Abfällen Figuren geformt – die „Trash People“. Bei den lebensgroßen Fig… | |
aus Konsummüll und Montageschaum handele es sich um „eine vorweggenommene | |
Archäologie, so wie die Terrakotta-Armee von Xi’an“. Gleichzeitig seien sie | |
Ebenbilder ihrer Betrachter: „Wir produzieren Müll, wir werden zu Müll“, | |
sagt Schult. | |
Das Material für die „Trash People“ hat er Mitte der 1990er Jahre übrigens | |
bei dem damaligen niederrheinischen Müllmogul Trienekens gekauft. „80.000 | |
Mark habe ich dafür bezahlt“, sagt Schult. Für den Klebstoff allerdings | |
zahlte er mehr als das Dreifache. | |
Vor vier Jahrzehnten war HA Schults Auftritt in Monschau noch eine | |
Provokation. Heute freut sich die Stadt über die Imagewerbung. „Monschau | |
ist noch nie so bunt gewesen“, sagt Ritter, die Stadtoberste. Schult | |
wiederum bedankt sich artig bei ihr „für die Gastfreundschaft“. | |
21 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Anja Krüger | |
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