# taz.de -- Theater ohne Worte: Ästhetische Fingerübung | |
> Schillers „Räuber“ ohne Worte, dafür mit Pantomime, üppiger Ausstattung | |
> und Geräuschen: Dieses Experiment unternahm die Regisseurin Ruth Messing | |
> am Jungen Schauspiel Hannover. Das Ergebnis ist mager. | |
Bild: Gute Ausstattung, verlorener Inhalt: Schillers "Räuber" am Jungen Schaus… | |
HANNOVER taz | Sprechen verboten: Seine Liebe erklärt Franz der Amalia mit | |
kühn verklemmten Verrenkungen und eitlem Getue – prompt erntet er eine | |
grimmige Zicken-Pantomime. Auch die schurkische Scharade für sein ethisches | |
Prinzip des Eigennutzes gestaltet Franz wortlos mit Heuchlerblicken und | |
ironisch zelebrierten Zuneigungsgesten. | |
Das Stück, das hier gegeben wird, ist „Die Räuber“ von Friedrich Schiller. | |
Regisseurin Ruth Messing inszeniert das Stück am Jungen Schauspiel Hannover | |
stumm, aber mit akustischer Untermalung durch einen Geräuschemacher. | |
Entstanden ist eine Oper auf Orchesterentzug, ein von Sprechakten befreites | |
Live-Hörspiel, ein Stummfilmtheater. | |
Karl zum Beispiel kämpft für das Gute, Wahre, Schöne, sagt aber ebenfalls | |
nichts. Der alttestamentarische Bruderzwist zwischen ihm und Franz wird | |
schweigend in die Stille hineingeformt. Wo auch der Vater tattergreisig | |
schweigsam unter dem Intrigenspiel leidet und dann vollends verstummt, | |
also: körpersprachlich stirbt. | |
Der Geräuschemacher begleitet das Geschehen mit perkussiv forciertem | |
Geklimper, Geklöter, Getrommel, er lässt Backpfeifen knallen und Herzen | |
pochen und erzeugt klangmalerisch Atmosphärewolken, vom impressionistischen | |
Surren, Rauschen, Blubbern bis hin zu expressionistischem Hämmern, | |
Schleifen, Schmirgeln, Kratzen. | |
Für Charaktere und Situationen werden zudem kleine melodische Motive | |
vorgestellt, mit denen szenengerecht auf einem präparierten Klavier | |
improvisiert wird. Damit ergibt sich eine chaotische Parade der Typen, wie | |
man sie aus Herbert Fritschs Extremkomikinszenierungen kennt. | |
Wie auch die entzückenden Barockfantasien der Ausstattung: In Bällebädern | |
und Praliné-Abteilungen gesammelte Kugeln sind zu Lockenperücken | |
verarbeitet, Sackleinenfetzen zu Narrengewändern geschneidert und mit | |
pittoresken Häkel und Strickapplikationen versehen. | |
Die Inszenierung klingt faszinierend und sieht auch hervorragend aus, aber | |
sie skelettiert das komplexe Textgefüge auf wenige zentrale Szenen, mit | |
denen Schiller dramatische Konventionen bediente. Alles genial Originäre | |
des Werks bleibt außen vor. Regiehandwerk spielt lustvoll mit | |
Dichterhandwerk. Wer das Stück nicht kennt, lernt es nicht kennen. Wer es | |
kennt, muss auf Erkenntniszuwachs verzichten. | |
Als Ersatz prunken hübsche Regieeinfälle. Wenn sich beispielsweise Franz | |
empört, warum das Leben seines Vaters seit Ewigkeiten nicht enden will, | |
hört er auf zu spielen – und guckt eine gefühlte Ewigkeit untätig genervt | |
ins Publikum. | |
## Ein zentraler Aspekt | |
Inhaltlich bleibt immerhin ein zentraler Aspekt Schillers erhalten: Wie | |
viel Freiheit ist dem Menschen zumutbar? Karl entdeckt in | |
Schattenspielszenen Beispiele sozialer Ungerechtigkeit, schmeißt daraufhin | |
all seine Studierbücher auf den Boden und wird Hauptmann einer Räuberbande. | |
Diese Jugendbewegung wurde auf deutschen Bühnen schon als RAF-Kommando, | |
Neonazi-Truppe und Taliban-Verein inszeniert. Sie wurde schon ganz | |
romantisch genutzt zur Illustration der Zuneigung des Wutbürgers zu allem | |
Rebellischen oder zur Illustration der urmenschlichen Sehnsucht nach | |
Führerfiguren. | |
An den norddeutschen Theatern kämpften in den letzten Jahren beispielsweise | |
„Räuber“-Kids der Anarchoszene gegen die Alt-68er-Generation (Regie: Volker | |
Lösch, Bremen), quietschfidel gegen Pubertät und die Schmerzen der | |
Identitätssuche (Regie: Marc Becker, Oldenburg), gegen ihr aufgeblähtes | |
Ich-Design (Regie: Eva Lange, Wilhelmshaven), gegen die | |
Aufführungstradition des Stücks (Regie: Nicolas Stemann, Hamburg) und gegen | |
die Vergnügungsindustrie (Regie: Felix Rothenhäusler, Bremen). | |
In Hannover beginnt das austobende Aufbegehren mit Lokalkolorit, nämlich | |
mit dem Diebstahl des Leibnizkekses. Dann aber entbietet ein Räuber den | |
Hitlergruß und die Kollegen sind als dumpfbackig herumballernde | |
Waffennarren kenntlich: eine marodierende Schurkenbande, die endlos Säcke | |
mit der Aufschrift „Beute“ davonschleppt. Als Karl im Tohuwabohu der | |
Räuberpistole erkennt, das dabei auch Kinder umkommen, gibt er den einzigen | |
menschlichen Laut der Aufführung von sich: ein Schreigeräusch. | |
Bitte nachdenken, soll das wohl heißen, Widerstand aus Freiheitsidealismus | |
rechtfertigt nicht alle Mittel. Mehr Inhalt wird den Zuschauern nicht | |
zugemutet. So sind Schillers „Räuber“ vor allem ein hochtourig | |
beschleunigter Theatercomic nonverbaler Ausdrucksmittel. Sie werden | |
imitiert, Gefühle werden nur grob visualisiert, also nie erspielt. Cool | |
könnte das sein. Hektisch unterhaltsam ist diese ästhetische Fingerübung. | |
## nächste Aufführungen: 30. 10., 7. 11. und 10. 11. | |
22 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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