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# taz.de -- Die Wahrheit: Nordsee ist Mordsee
> Die Tchibo-Familie ist schon wieder im Anmarsch auf die Promenade. Bitte
> diese nicht mit der praktischen Jack-Wolfskin-Familie verwechseln!
Bild: Verzweifelt an einem Fragebogen, den auch Marcel Proust nicht ausgefüllt…
Alle Mann in Deckung, die Tchibo-Familie ist schon wieder im Anmarsch auf
die Promenade, alle mit gleicher praktischer Haarfrisur und praktischer
Wendejacke ausgestattet, in den Größen XL für die lieben Kleinen und XXL
für die schnaufenden Eltern.
Natürlich gehen sie nebeneinander über die Seebrücke, nicht etwa
hinteeinander, wie es die alten Kulturvölker noch wussten. „An uns kommt
keiner vorbei“, die Kinder haben es schon gelernt. Bitte aber diesen
Aufmarsch nicht mit der praktischen Jack-Wolfskin-Familie verwechseln! Die
Jack-Wolfskin-Familie ist schlanker, ein Ideechen weniger
quengelarschig-raumgreifend in der Gesamtanmutung aufgestellt, trägt aber
ebenfalls die gleiche Frisur, freilich länger und mit Pferdeschwanz.
Auch sie dominiert den öffentlichen Raum in mehreren
Quadratkubikkilometern. Bei den männlichen Familienmitgliedern lassen sich
alle Stadien beginnender und vollendeter Stirnglatzen studieren, darin
lassen sie sich immerhin von den weiblichen Mitgliederinnen halbwegs sicher
optisch unterscheiden.
Die feinen Unterschiede? Nun, die Tchibo-Familie hat einen Plastikdrachen
made in Hongkong mitgebracht, die Wolfskin-Familie einen selbst gebauten
Lenkdrachen mit original Zwickauer Nähmaschinenmotor. Beim Mittagsbuffet
bestellen beide Familien die Sparplatte „Aus Neptun’s Reich“. Die
Tchibo-Familie bespricht bei der Bestellung das Prozedere der
Reste-Mitnahme („ist ja auch ’ne finanzielle Frage“), während die
Wolfskin-Familie schon gebrauchtes Alupapier mitgebracht hat, ach was:
einfach immer dabeihat – „für alle Fälle“.
## Mit Badehose untenrum
Die Kinder der Tchibo-Familie spielen mit quäkenden Geräten, die sie
„Kinda-Eifon“ nennen, die Wolfskin-Kinder schnitzen à table einen
Stockbrotstock aus nachwachsenden Rohstoffen. Ja, auch Dreijährige müssen
lernen, verantwortungsvoll mit fair gefertigten Waffen umzugehen, zur
Selbstverteidigung, sagt Vater, während Mutter die pazifistischen Augen
verdreht.
Es ist später Nachmittag geworden. Im Wellenbad „Friesenkönig“ haben sich
beide Familien mit Spaßpommes und Käpt’n Cola vollgepumpt, um sich
anschließend in der Teufelsrutsche die Röhre zu verstopfen. Die Wolfskins
schwimmen nach draußen und feiern bei 2 Grad Celsius ihre
Naturburschen-Katharsis mit spontaner Blitzvereisung. Die Tchibos sind da
schon unter der Dusche – mit Badehose untenrum an.
Am Ende des Tages sehen wir schließlich beide Familien im
„Klabautermann-Erlebnispark“ ein demokratisches Zwiebelbrötchen mit
Fischresten bestellen. Ja, hier treffen sich alle Volksgruppen und
Wenigverzärtelten, vom Hochschulprofessor bis zum Kotelettenträger aus
Meck-Pomm. Die Tchibo-Familie und die Jack-Wolfskin-Familie haben ihre
Wendejacken abgelegt, nun können sie einfach mal abschalten. Denn auch
morgen ist wieder ein Tag, an dem alle Beteiligten dieser Geschichte beim
Frühstück wieder durch Analogkäsescheiben-Zählen friedlich vereint werden.
Die Sonne geht unter, wir winken lange.
29 Oct 2013
## AUTOREN
Gerald Fricke
## TAGS
Familie
Nordsee
Kolumne Die Wahrheit
Schriftsteller
Fifa-Ethikkommission
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