# taz.de -- Artenschutz weltweit: Schlammpeitzger reloaded | |
> UN ehren ein von Bremer BiologInnen und InformatikerInnen entwickeltes | |
> Geoinformations-System zur Artenvielfalt. | |
Bild: Knallrote Punkte im System: Der Schlammpeitzger fühlt sich pudelwohl in … | |
Als offizielles UN-Projekt zum Erhalt der biologischen Vielfalt wurde ein | |
„Digitaler Biodiversitätsatlas“ der Hochschule ausgezeichnet. Hinter dem | |
Namen verbirgt sich eine Datenbank, in der Tiervorkommen erfasst und mit | |
Geodaten verschnitten werden. Auf diese Weise lassen sich die Lebensräume | |
der Tiere auf einer Landkarte abbilden. Ein Klick auf den Eintrag liefert | |
die Umstände der Sichtung und verweist auf weiterführende Literatur. | |
Diese Technik, die am vergangene Donnerstag öffentlich präsentiert und | |
erläutert wurde, stellt zunächst nur eine Infrastruktur dar, die mit | |
unterschiedlichsten Inhalten befüllt werden kann. Das Projekt versteht sich | |
als hochauflösende Ergänzung globaler Monitoring-Systeme: Das | |
Fischvorkommen in Deutschland ist genauso abbildbar wie zum Beispiel | |
Insektenpopulation einzelner Wälder. | |
Mit Hilfe dieser frei zugänglichen Daten könne Artenschutz in der | |
Raumplanung stärker berücksichtigt werden, erläutert Projektleiter Heiko | |
Brunken, Professor an der Hochschule. Eine erste Anwendung dieser Technik | |
lässt sich auf [1][Fischfauna-Online.de] begutachten: Hier werden | |
Fischvorkommen Deutschlands und Österreichs erfasst. Gemeldet wurden die | |
hier registrierten Tier-Vorkommen von Wissenschaftlern, Anglern und | |
Privatleuten. Bald sollen Funde auch mobil über Web-2.0-Anwendungen zur | |
Verfügung gestellt werden. | |
Gesucht werden können die Vorkommen nach wissenschaftlichem lateinischem, | |
aber auch nach deutschem Trivialnamen: Auf Bremen zentriert, zeigt sie | |
beispielsweise diverse rote Punkte, wenn man nach Aalen oder Flussbarschen | |
fragt, oder auch nach Salzwasserbewohnern wie der Strandgrundel, die sich | |
am Café Sand angesiedelt hat. Etwas weiter nördlich treffen AnwenderInnen | |
auf eine lokalhistorische Größe: Misgurnus fossilis, dem Schlammpeitzger, | |
verdankt das westliche Hollerland, dass es 2004 nicht bebaut wurde. Sein | |
Vorkommen in den Gräben des Feuchtgebiets ist sehr gut dokumentiert. Es | |
scheint ihm gut zu gehen. | |
Konkrete Anwendungen des digitalen Biodiversitätsatlas, die über Fische | |
hinausgehen, sind bereits in Arbeit. Projektpartner aus Brasilien nutzen | |
die Technologie zur Darstellung der Herpetofauna von Pernambuco – für | |
Amphibien und Reptilien. Ein Säugetieratlas für Bremen soll im Januar | |
online gehen. | |
Die offenen Daten stellen allerdings auch ein Risiko dar und könnten dem | |
Artenschutz sogar schaden: Etwa, wenn die Registrierung seltener Arten von | |
Wilderern genutzt würde, um Jagd auf die Tiere zu machen. „Wir haben dieses | |
Problem ausführlich diskutiert und darum die Möglichkeit vorgesehen, | |
entsprechend sensible Daten zu kaschieren“, sagt Brunken. Ein geplanter | |
Einsatz des Systems in Mosambik, woher eine der beteiligten Studentinnen | |
stammt, sei aus diesem Grund sogar ganz gestoppt worden. Hier stößt die | |
Open-Data-Philosophie, der sich das Projekt zugehörig fühlt, an ihre | |
Grenzen. | |
In den nächsten Monaten wollen die WissenschaftlerInnen ihr Projekt mit | |
anderen vernetzen, um den Datenpool zu vergrößern: Naturschutzverbände und | |
staatliche Einrichtungen verfügen über eigene Erhebungen und ein Austausch | |
wäre in beiderseitigem Interesse, so Brunken. So könnte ein Projekt zu | |
Muschelkrebsen, deren Vorkommen wichtige Indikatoren für den Zustand von | |
Gewässer sind, schon bald dabei sein. | |
Am Donnerstag erhielt das Programm die Auszeichnung im Rahmen der UN-Dekade | |
Biologische Vielfalt. Derart geehrt werden Projekte, die sich in | |
nachahmenswerter Weise für die Erhaltung der Artenvielfalt einsetzen. Hier | |
als interaktives Zusammenspiel lokaler Projekte auf der ganzen Welt, die | |
engagierte BürgerInnen und Wissenschaft zusammenbringen. | |
Für die beteiligten Fakultäten Natur und Technik sowie Elektrotechnik und | |
Informatik sieht Brunken die Chance, sich an der Schnittstelle | |
verschiedener Einrichtungen zu positionieren. Es wäre zwar falsch, das | |
Projekt untrennbar an eine einzelne Institution zu binden, aber an der | |
Hochschule sei das Know-how vorhanden, die großen Datenmenge einerseits | |
technisch zu verwalten und andererseits mit biologischem Sachverstand | |
auszuwerten. | |
24 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.Fischfauna-online.de | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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