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# taz.de -- Die Wahrheit: Concerto dubioso
> Wie zwei Tunichtgute bei einem Nick-Cave-Konzert einmal in einen Sturm
> der Gewalt gerieten.
Bild: Bei Nick Caves mörderischen Balladen lassen manche Kräften vor und hint…
„When you’re sad and when you’re lonely / And you haven’t got a friend /
Just remember that death is not the end.“
## Präludium
Ein ungastlicher Herbstabend. Der Hamburger Sprühregen kriecht durch Schal
und Kragen nasskalt in den Nacken. Umschlungene Paare um die fünfzig
huschen in Richtung Sporthalle, wo Nick Cave und die Bad Seeds ein Konzert
geben. „Ich freu mich auf Stagger Lee“, hauchen die Damen ihren Galanen ins
Ohr. „Murder Ballads“ brummen diese neunmalklug. Das ist Herrn Caves
berühmteste Platte aus dem vorigen Jahrtausend.
## 1. Satz: Adagio
Der Sound ist besser als erwartet. Unter Kennern gilt die Sporthalle
Hamburg als besonders scheiße, Scheißsound, Scheißatmo. Doch die Bad Seeds
und ihre Tontechniker bekommen das erstaunlich gut hin. Der Maestro strahlt
morbide Eleganz aus im seidenmatten Maßanzug, dürr wie alle Rockstars, die
bis fünfzig durchgehalten haben, knabenhaft drahtig wie Mick Jagger,
knorpelig wie Iggy Pop, dandyhaft wie Brian Ferry. Allein die Stimme ist
einzigartig. Die Pärchen lauschen gebannt den schaurig schönen Weisen.
## 2. Satz Andante
Der Maestro plaudert aufgeräumt. Nur zwei Trunkenbolde stören die Andacht
und blöken kindisches Zeug in Richtung Bühne. Herr Cave geht sogar auf die
Suffköppe ein, fragt sie, was sie wollen und wo sie herkommen. Die Damen im
Publikum fixieren mit dem „Jetzt tu doch was“-Blick ihre Begleiter, die
verdrehen die Augen in Richtung Decke und mischen sich selbstverständlich
nicht ein.
## 3. Satz Allegro non troppo
Stagger Lee erklingt. Die Bad Seeds musizieren pianissimo, Herr Cave brummt
sonor die Geschichte zweier notorischer Spieler, die Trunkenbolde nerven
mit sinnlosem Geplärr. Gesang und Gitarren schwellen an, die Scheinwerfer
fluten die Bühne, im Publikum wird es zappenduster. Mit bloßem Auge kaum zu
erkennen, öffnet sich zum Crescendo der Bad Seeds eine Gasse im Publikum,
vom Zentrum hin zum Bühnenrand, als würde eine riesige Geisterhand einen
Reißverschluss öffnen, dessen Zähne aus Menschen bestehen, und mit einem
zweiten Zipper sogleich wieder schließen. Drei schwarz gekleidete
Muskelmänner haben sich einen der beiden Tunichtgute geschnappt und zerren
ihn nun ohne Federlesens durch die Menge hinter die Bühne.
## 4. Satz Forte arrabiato
Durch einen Spalt im Vorhang ist der verblüffte Gesichtsausdruck des
Verschleppten erkennbar, derart ungläubig, als wäre ihm gerade ein U-Boot
auf die Füße gefallen. In grotesker Verkennung seiner Lage hat er sich als
belebendes Element der Show empfunden, als Sidekick des s der dunklen
Gesangeslyrik. Die Ordnungskräfte lassen sich allerdings von seinem
paralysierten Zustand nicht provozieren und bearbeiten ungerührt Arme,
Beine und Solarplexus mit Füßen, Fäusten und Knien, während im Murdersong
die Patrone von Stagger Lees Blue Steel Fourtyfour durch den Körper seines
Freundes hindurch den Tresen der Spielhölle zerschmettert, weil er beim
Würfeln geschummelt hat.
Es ist nun merklich ruhiger bei den Ansagen, der zweite Trunkenbold aber
erwacht wieder, ausgerechnet bei „The Mercy Seat“. Sein Schicksal ist
längst schon besiegelt. Gnadenlos muss er den dunklen Weg seines
Gesinnungs- und Leidensgenossen gehen und hinter der Bühne den verheerenden
Sturm der Gewalt über sich ergehen lassen.
## Abgesang
Auf dem Nachhauseweg hauchen die Damen ihren Galanen ins Ohr, wie erotisch
des Meisters Stimme sei, und wie angenehm, dass die nervigen Suffköppe sich
während des Konzerts beruhigt hätten, damit es so richtig schön schaurig
werden konnte. Der Regen ist noch nasser und kälter geworden, ein besseres
Wetter aber wäre unpassend.
2 Dec 2013
## AUTOREN
Joachim Frisch
## TAGS
Konzert
Security
Integration
Supermarkt
Gemüse
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