# taz.de -- Beschäftigungsverhältnisse von Lehrern: Verbeamtung abschaffen! | |
> Unser Autor wurde kurzerhand verbeamtet – und verzichtete anschließend. | |
> Seine These lautet: Der Status schadet den Lehrern. | |
Bild: Beamter oder Angestellter? Beide gehen ins Lehrerzimmer. | |
Kurz vor meinem 40. Geburtstag wurde ich in Nordrhein-Westfalen „einfach | |
so“ verbeamtet. Noch während ich die Glückwünsche annahm – schließlich | |
hatte ich durch die Verbeamtung einen gefühlt hundertzehnprozentig sicheren | |
Job und verdiente plötzlich auch mehr als zuvor als Angestellter –, | |
erinnerte ich mich an folgendes Gespräch in einem Lehrerzimmer irgendwo in | |
Westdeutschland: „Ich war jetzt zum zweiten Mal beim Amtsarzt. Und jetzt | |
werde ich doch noch verbeamtet!“ | |
„Verstehe ich nicht.“ – „Ich müsste abnehmen, hatte es beim ersten Mal | |
geheißen. Mein Body-Mass-Index sei zu hoch. Wenn ich nach einem Jahr nicht | |
deutlich abgenommen hätte, könnte man mich wohl nicht auf Lebenszeit | |
verbeamten.“ | |
„Na dann – Glückwunsch.“ | |
Damals fing ich an, über das Thema Verbeamtung nachzudenken. Und ich hatte | |
viel Zeit zum Nachdenken, denn nach dem Referendariat habe ich jahrelang | |
keine feste Stelle erhalten und mich in mehreren Bundesländern als | |
Vertretungslehrer durchgekämpft. Das Thema Verbeamtung holte mich überall | |
ein. (Auch in Berlin, obwohl in Berlin nicht verbeamtet wird. Dort bin ich, | |
kaum hatte ich das Lehrerzimmer betreten, bestürmt worden, ob ich bei der | |
Aktion „Verbeamtung jetzt“ mitmache.) | |
## Body-Mass-Index als Kriterium | |
Lehrer werden übrigens verbeamtet – nicht allen Menschen ist das bekannt –, | |
weil sie hoheitsrechtliche Aufgaben wahrnehmen. Schließlich entscheiden sie | |
über die schulische Laufbahn von Heranwachsenden. Warum ist, wenn dem so | |
sein sollte, ein akzeptabler Body-Mass-Index aber ein Kriterium, ob ein | |
Lehrer verbeamtet wird oder nicht? Die offizielle Antwort lautet: weil | |
dicke Menschen krankheitsanfälliger sind und eventuell früher pensioniert | |
werden müssen. Aber leisten müssen sie als angestellte Lehrer trotz | |
niedrigeren Verdienstes dasselbe wie ihre verbeamteten Kollegen. | |
Bei allem Respekt meinen Dienstherren gegenüber: Das ist nichts weniger als | |
ein Angriff auf die Würde des Menschen, die der Staat eigentlich schützen | |
sollte. Es handelt sich genau genommen um eine Diskriminierung, die auch | |
deshalb grotesk ist, weil der „dicke“ Lehrer dicke Kinder vor Mobbing | |
schützen soll. Die hehren Prinzipien der Bestenauslese, die bei der | |
Verbeamtung gelten sollten, werden durch diese Regelung schlicht ad | |
absurdum geführt. Körpergewicht (und auch Alter – es gibt ja eine | |
Verbeamtungsdeadline) sind wesentlich entscheidender als fachliche | |
Kompetenz. Das ist eine Wahrheit, die so bitter ist, dass sie niemand hören | |
möchte. | |
Dabei kennen die meisten Lehrer Kollegen, die aus den genannten Gründen | |
nicht verbeamtet worden sind. Ich kenne sowohl Kollegen, die – siehe das | |
eingangs beschriebene Beispiel – ein demütigendes „Abspeckjahr“ in Kauf | |
genommen haben, als auch Kollegen, die gar nicht verbeamtet worden sind, | |
weil sie ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hatten. Im Kollegium wird | |
selten darüber gesprochen. Und wenn, dann laufen die Gespräche so ab wie | |
oben beschrieben. (Meistens ist das Thema beiden Seiten peinlich.) | |
Fest steht: Wenn man sich trotzdem ohne Wenn und Aber verbeamten lässt, | |
erkennt man diese Regelung stillschweigend an. Nur wenige Lehrer werden | |
bestreiten, dass die Verbeamtung so, wie sie ist, unausgegoren ist. | |
Entweder müssten alle Lehrer alters- und körpergewichtsunabhängig | |
verbeamtet werden. Oder aber die angestellten Kollegen, die ja rein formal | |
keine hoheitsrechtlichen Aufgaben wahrnehmen, müssten konsequenterweise von | |
allen Bereichen, die mit der Vergabe von Noten zu tun haben, befreit | |
werden. | |
## Entmündigung des Pädagogen | |
Am sinnvollsten wäre es aber, die Verbeamtung ganz abzuschaffen. | |
Langfristig würden wir Lehrer uns damit einen riesigen Gefallen tun, denn | |
(abgesehen von den offensichtlichen Fehlern im System): Die Verbeamtung | |
schadet den Lehrern. | |
Fast alle leisten hervorragende Arbeit. Dennoch werden sie entmündigt, | |
indem man ihnen nicht zubilligt zu streiken. In diesem Jahr betrug die | |
Gehaltserhöhung für verbeamtete Gymnasiallehrer in Nordrhein-Westfalen zum | |
Beispiel 0 Prozent. Das ist aufgrund der Inflation eine Gehaltskürzung und | |
ein verheerendes Signal: Den Politikern scheint die Arbeit der verbeamteten | |
Lehrer nichts wert zu sein. Wehren durften sich meine Kollegen, die in | |
Stoßphasen sechzig Stunden arbeiten, aber nicht. | |
Ich werde den Eindruck nicht los, dass viele Bundesländer auch deshalb an | |
der Verbeamtung festhalten, um den sehr mächtigen „Lehrerstand“ zu spalten. | |
Man möge sich das Chaos vorstellen, gäbe es einen Generalstreik, wenn | |
irgendein Erlass uns mal wieder Mehrarbeit aufzwingt. Aber der Staat muss | |
sich nicht fürchten. Denn die Sehnsucht nach der Verbeamtung nimmt nicht | |
ab. | |
Last but not least: Die Verbeamtung schadet den Lehrern auch deshalb, weil | |
sie das hässliche Klischee vom faulen Lehrer nährt: „Lehrer müssen ja | |
nichts tun – schließlich sind sie auf Lebenszeit verbeamtet.“ So denken, | |
alle Lehrer wissen das, viele Nichtlehrer. Wenn man die Verbeamtung | |
abschaffen würde, würde ein Teil der Lehrerklischees, unter denen viele | |
Lehrer leiden, einfach verschwinden. | |
Aus den genannten Gründen habe ich meinen Beamtenstatus, kurz nachdem ich | |
verbeamtet worden bin, in ein Angestelltenverhältnis umwandeln lassen. | |
6 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Arne Ulbricht | |
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