# taz.de -- Flug zum Mars: Einmal hin, nicht zurück | |
> 2023 soll die erste bemannte Mission zum Mars starten. Hunderttausende | |
> wollen mit – auch ohne Rückflug. Stephan Günther ist einer von ihnen. | |
Bild: Stephan Günther mit einem Modell der „Mars One“-Mission, das er selb… | |
Sie hätte es wissen müssen. Gleich als sie ihn kennenlernte im Flugzeug, | |
Düsseldorf-Miami, in 12.000 Metern Höhe. Sie saßen nebeneinander, zufällig, | |
Reihe 18, Sitze A und C. Sie: blond, 38 Jahre alt, Single, Leiterin eines | |
Lkw-Unternehmens, auf dem Weg zu einem Geschäftstermin. Er: jungenhafter | |
Charme, leicht untersetzt, 39 Jahre alt, ebenfalls Single, auf dem Weg zu | |
einem neuen Leben in Amerika. | |
Sie unterhielten sich, neun Stunden lang. Und irgendwann erzählte er ihr | |
von seiner Leidenschaft fürs Fliegen, von der Sehnsucht nach dem All. Sein | |
Enthusiasmus war einer der Gründe für ihre Liebe. Nie hätte sie gedacht, | |
dass sie ihren späteren Mann deswegen einmal verlieren könnte. | |
Doch genau deshalb sitzt Beate Wieden-Günther sechs Jahre später in einem | |
Hörsaal der Universität in Enschede und lässt sich von einem | |
österreichischen Fernsehteam begleiten. Anlass ist die „Living on Mars | |
Convention“, eine Veranstaltung rund um das Projekt „Mars One“. Oben auf | |
der Bühne redet ihr Mann, Stephan Günther. Ein TV-Held noch vor der Tat. Er | |
will als Teil der privaten Mission freiwillig auf den roten Planten | |
fliegen. | |
40 Laien-Astronauten sollen ab 2022 nach und nach auf den roten Planeten | |
entsandt werden. Kosten für den ersten bemannten Marsflug mit zunächst vier | |
Astronauten: 6 bis 7 Milliarden Euro. | |
Experten halten die Idee, zumindest aus technischer Sicht, für machbar. | |
Finanzieren soll sich das Projekt über Spenden, Sponsorengelder – und über | |
den Verkauf von Medienrechten: Der Auswahlprozess der Astronauten, der | |
Start, die Landung, das Leben der menschlichen Marsianer – all das soll | |
gefilmt und auf die Erde gefunkt werden. | |
Über 200.000 Menschen aus der ganzen Welt haben sich für die Mission | |
beworben; für viele scheint das All eine größere Anziehungskraft zu | |
besitzen als die Erde – oder sogar als das eigene Leben. Denn diejenigen, | |
die für die Mission ausgewählt werden, kehren nicht zurück. Zu kostspielig, | |
zu aufwändig, der menschliche Körper würde einen Hin- und Rückflug nicht | |
verkraften. Eine dauerhafte Kolonie auf dem roten Planeten ist zudem das | |
Ziel. Man könnte es daher auch so formulieren: die Marsreise als Todestrip. | |
## Zukunft entdecken | |
Stephan Günther ist einer von ihnen. Ein Medienstar, bevor entschieden ist, | |
ob er fliegt. BBC, Sat1, Bild, alle haben schon angefragt. Mittlerweile | |
kennt Günther die zweifelnden Blicke und ungläubigen Fragen. Ob er denn | |
keine Schuldgefühle habe, seiner jetzigen Frau gegenüber? Ob er sein | |
Verhalten nicht egoistisch fände? Wie seine drei Kinder, die getrennt von | |
ihm bei der Mutter leben, denn später damit zurecht kommen sollen, dass ihr | |
Vater sie für den Mars verlassen hat? | |
Überhaupt, der Mars: äußerer Nachbar der Erde, bei größter Annäherung rund | |
56 Millionen Kilometer von dieser entfernt, mit einer Atmosphäre so dünn | |
wie die irdische in 38 Kilometern Höhe. Kein Sauerstoff zum Atmen, kein | |
flüssiges Wasser zum Trinken, nur roter Staub und Geröll, dazu ein bisschen | |
Eis an den Polkappen. Wieso will einer alles Irdische zurücklassen, um | |
ausgerechnet dort oben den Rest seines Lebens zu verbringen? | |
Günther hat für all diese Fragen seine Antworten parat: | |
„Ich wäre mir selbst untreu geworden, hätte ich mich nicht beworben. Auch, | |
wenn es egoistisch ist.“ | |
„Der Mensch ist dafür geboren, zu entdecken. Wir können nicht anders, wir | |
müssen das tun.“ | |
„Die Mission geschieht im Sinne der gesamten Menschheit.“ | |
Er sagt diese Sätze auch jetzt wieder, oben auf der Bühne, als er über | |
seine Motivation spricht. Ein nicht sehr großer Mann, ganz in Schwarz | |
gekleidet, mit kurzem Haar und einem kindlich freundlichen Gesicht. Er | |
klingt professionell, gleichzeitig bestimmt und enthusiastisch. Manchmal | |
macht er einen Witz, er ist der „nice guy“. Man kann sich gut vorstellen, | |
dass einer wie er ausgewählt wird. | |
## Gegenwart leben | |
Unten im Hörsaal sitzt Beate Wieden-Günther, schwarzes Sakko, weiße Bluse, | |
der Kragen steht, das Schwarz ihrer Absatzschuhe glänzt. Verliebt blickt | |
sie zu ihrem Mann hinauf. Es ist eine große Geschichte, die ihr Mann zu | |
erzählen hat. Sein ganzes Leben schon kreist Stephan Günther um die Idee, | |
ins All zu fliegen, so wie der Mars um die Sonne kreist. Still, beharrlich, | |
in seinem eigenen Tempo: Als Kind bastelt er Raumkapseln aus | |
Pappschachteln, als Teenager baut er ferngesteuerte Flugzeuge und Raketen, | |
lernt fliegen, noch bevor er ein Auto lenken darf. | |
Als erwachsener Mann verdient er sein Geld erst als selbstständiger | |
Vermögensberater, später entwickelt er Software zur Mond- und | |
Spaceflugsimulation. Das Programmieren hat er sich selbst beigebracht. | |
Günther ist ein Macher, einer der anpackt. Es läuft gut für ihn. Doch die | |
Fliegerei und der Traum vom Weltraum lassen ihn nicht los. | |
Es kommt der Tag, an dem er seine jetzige Frau im Flugzeug trifft, ein | |
halbes Jahr später heiraten die beiden, Günther lässt seine Pläne von einem | |
Leben in den USA fallen und zieht nach Leichlingen bei Leverkusen, dem | |
Heimatort seiner Frau. | |
## Seine Frau nicht gefragt | |
Und dann erreicht ihn im Herbst 2012 ein Newsletter zur „Mars One“-Mission. | |
Sofort weiß er: „Das ist mein Projekt!“ Noch am selben Morgen schickt er | |
eine Mail an die Verantwortlichen – ohne sich mit seiner Frau abzusprechen. | |
Nachdem ihr Mann seinen Vortrag im Hörsaal in Enschede beendet hat, ist | |
Beate Wieden-Günther erst mal erleichtert. Sie klatscht, lächelt, steht | |
auf. „Ist doch ganz gut gelaufen“, sagt sie in leichtem Ruhrpottdialekt. Es | |
ist ein anstrengender Tag für sie, all die Informationen, dazu noch die | |
Kameras. Sie verlässt den Hörsaal, sucht ihren Mann. Der erzählt dem | |
österreichischen Journalisten gerade, wie wichtig es für ihn sei, dass | |
seine Frau heute dabei ist. | |
„Nur weil sie mir den Rücken stärkt, kann ich das alles hier überhaupt | |
durchziehen.“ Dabei tut Beate Wieden-Günther dies nicht ohne Skepsis. „Na | |
ja, seine Begeisterung ist schon toll. Aber für mich springt der Funke | |
nicht über“, sagt sie, „ich bleib lieber hier und kümmer mich drum, dass | |
alles klappt.“ Sie wirkt ruhig. Beate Wieden-Günther hat ihren Kopf nicht | |
im Himmel, sondern auf der Erde. Manche würden es Pragmatismus nennen. Doch | |
hat ihr Mann Erfolg und wird am Ende des zweijährigen Bewerbungsverfahrens | |
ausgewählt, bedeutet das für sie, dass sie ihn verlieren wird. Auf immer | |
und ewig. | |
## Liebe und Loslassen | |
Deswegen ist dies nicht nur die Geschichte eines Mannes, der alles daran | |
setzt, seinen Traum zu realisieren. Es ist auch eine Geschichte über die | |
Liebe. Und über das Loslassen. | |
Natürlich sei sie anfangs schockiert gewesen, als ihr Mann ihr von seiner | |
Bewerbung erzählte. Er war vor ihr in den Urlaub nach Alicante | |
aufgebrochen, sie reiste ihm nach. Er empfing sie freudestrahlend, die | |
Sonne schien, ein perfekter Tag. Alles war gut. Dann erzählt Günther seiner | |
Frau, er habe sich für eine Mission ins All beworben. | |
„Da dachte ich noch ’Ja, super!‘, weil das ist ja sein Ding. Das kam für | |
mich nicht überraschend.“ Erst als er weiterredet und irgendwann die Worte | |
„Mars“ und „one way“ fallen, wird ihr die Dimension des Projekts bewuss… | |
„Wir brauchen keine zehn Jahre zu warten, wenn du dich trennen willst“, | |
sagt sie zu ihm. | |
Mittlerweile ist Beate Wieden-Günther entspannter. Und tröstet sich mit der | |
Zeit. „Wir reden hier von neun bis zehn Jahren, bis es wirklich losgeht“, | |
sagt sie, „da kann noch viel passieren.“ Die Zeit schützt das Paar wie ein | |
Kokon. Noch. | |
## Vergangenheit verlieren | |
Trotzdem sieht Beate Wieden-Günther sich nicht als Verliererin. „Weil ich | |
hier bleibe, ich habe mein ganzes Leben noch. Ich habe zwar ihn nicht mehr, | |
wenn er wirklich fliegt – aber er hat mich dann auch nicht mehr“, sagt sie. | |
„Und er hat sonst nichts.“ Die Worte klingen hart, es ist ihre Sicht auf | |
die Dinge. | |
Stephan Günthers Leben auf dem Mars würde streng kontrolliert ablaufen, von | |
medizinischen und physikalischen Größen bestimmt, beobachtet von Kameras, | |
die seinen Alltag mit zwanzigminütiger Zeitverzögerung auf die Erde funken | |
sollen. Er wird nie mehr den Geruch von regendurchtränkter Luft einatmen | |
oder frisch gekochte Miracoli-Nudeln schmecken, sein Leibgericht. | |
Er wird seine Kinder nicht mehr umarmen, nicht mehr übers Haar seiner Frau | |
streichen. Er wird im Tausch ein neues Leben bekommen, das noch kein Mensch | |
vor ihm gelebt hat. Aber ein Leben, das in kalter, technisierter Routine | |
stattfinden wird. | |
Doch bis dahin ist Beate Wieden-Günther Teil des Projekts. Deswegen steht | |
sie jetzt auf und zupft sich die Bluse zurecht. Der Journalist aus | |
Österreich will auch ihr noch ein paar Fragen stellen. Sie wirkt müde, | |
blinzelt kurz wegen des Scheinwerferlichts. Trotzdem lächelt sie in die | |
Kamera. Sie tut’s für ihren Mann. Das Loslassen kommt später. | |
14 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Esther Göbel | |
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