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# taz.de -- Cannabis-Plantagen in Berlin: Hasch mich!
> Marihuana ist die am meisten konsumierte illegale Droge Berlins – der
> Anbau ist eine große Schattenwirtschaft. Unterwegs mit der Kripo und
> einem Dealer.
Bild: In Uruguay ist der begrenzte Anbau nun legal.
BERLIN taz | Ein unscheinbares Kreuzberger Mietshaus, vor den Fenstern der
Erdgeschosswohnung halten die Jalousien Blicke von außen ab. Der Raum, der
sich hinter den Rollos verbirgt, ist karg; keine Möbel, kahle Wände. Kaum
wahrnehmbar ist das leise Surren von Neonröhren zu hören, zudem brennt 24
Stunden am Tag das normale Deckenlicht. „Neonlicht ist sehr speziell. Wer
Ahnung hat, erkennt das von außen. Also lasse ich das Zimmerlicht an, das
übertüncht alles ein wenig“, sagt Andreas Bergmann* – ein lockerer Typ,
knapp 30, so unauffällig wie die Wohnung.
Was in dieser Wohnung verborgen bleiben soll, sind etwa zehn blaue
Stoffboxen, die im gesamten Raum verteilt stehen und ein wenig wie die
Faltkleiderschränke aussehen, die in der einen oder anderen Studentenbude
zu finden sind. Erst als Andreas Bergmann langsam den Reißverschluss einer
der Boxen öffnet, steigt süßlicher Duft auf. Dann sind die Pflanzen zu
sehen.
Dicht an dicht wachsen sie aus den vorgearbeiteten Stanzlöchern, rund 30
Pflanzen pro Box. Schläuche der Luftfilter scheinen über dem Kleinbiotop
mit den typischen Blättern zu schweben, unter den Wurzeln stehen große, mit
Wasser gefüllte Bauwannen. Erde ist allerdings nirgends zu sehen. „Die
Pflanzen brauchen keine Erde“, sagt Bergmann. „Die Wurzeln hängen quasi in
der Luft und beziehen ihre Dünger und Nährstoffe über die Pump- und
Sprühsysteme.“ Die verbergen sich in den Boxen.
Marihuana ist die am meisten konsumierte illegale Droge in Berlin. Die Zahl
der Kiffer steige seit 1990 kontinuierlich, sagt die
Landesdrogenbeauftragte Christine Köhler-Azara. Rund 265.000 BerlinerInnen
hätten im vergangenen Jahr Cannabis konsumiert. Der Anstieg betreffe in
erster Linie die Gruppe der 30- bis 39-Jährigen, die Jüngeren konsumierten
weniger als in früheren Befragungen.
Neu ist allerdings nicht, dass in Berlin so viele Kiffer leben – neu ist
etwas anderes: In der Vergangenheit wurden Haschisch und Marihuana aus dem
Ausland nach Deutschland geschmuggelt. Inzwischen wird in Deutschland und
Berlin weitaus mehr Cannabis produziert als eingeführt.
57 Cannabis-Großplantagen (siehe Kasten) haben die Beamten des
Rauschgiftdezernats beim Landeskriminalamt dieses Jahr in Berlin
ausgehoben, zwei davon waren Profiplantagen. Mit Kleinkram gibt sich das
Dezernat gar nicht erst ab: Um die Marihuanapflanzen auf Balkonen,
Fensterbänken oder Dachterrassen sollen sich die örtlichen
Polizeidirektionen kümmern. 178 zum Eigenverbrauch bestimmte Miniplantagen
haben diese 2013 entwurzelt.
Um Eigenbedarf geht es bei Andreas Bergmann längst nicht mehr. Ganz
klassisch, sagt er, habe die Sache bei ihm angefangen: mit dem ersten
Joint. Irgendwann jedoch habe er keine Lust mehr gehabt, so viel Geld für
Gras auszugeben, und sich Strategien überlegt.
Letztlich war es nur noch eine Frage der Zeit und Risikobereitschaft. Den
Versuch, selbst mal eine Pflanze hochzuziehen, hat schließlich fast jeder
Kiffer hinter sich – die Frage ist eher, in welcher Größenordnung man
bereit ist zu denken. Wie die Erdgeschosswohnung zeigt: Bergmann ist kein
Freund von halben Sachen.
Sein Equipment ist technisch auf dem neuesten Stand: Für eine der
Stoffboxen, eine sogenannte Growbox, ungefähr einen auf drei Meter, kostet
allein die Hülle rund 400 Euro. Im Gebrauch sind neben Pump-, Sprüh- und
Lüftungssystemen Kohlestaubfilter, Pflanzenschalen, Ventilatoren,
Natriumdampfleuchtmittel, pH-Wert-Messer, die Bergmann beinahe täglich
checkt, Reflektoren mit Luftkühlung, Massen von Dünger und Zeitschaltuhren.
Alles in allem liegen die Anschaffungskosten für eine einzige Box bei 2.500
Euro, in diesem Raum steht also Technik im Wert von mehreren 10.000 Euro.
Ein paar Kilometer weiter südlich, vierter Stock des Landeskriminalamts am
Platz der Luftbrücke, ein nüchternes Büro. Hier sitzt der Leiter des
Berliner Rauschgiftdezernats, Thorsten Kleinert. An der Tür hängt eine Art
Wappen: Der Polizeistern und das Zeichen des Zolls sind darauf abgebildet
und eine behandschuhte Ritterfaust, die ein Schwert umgreift. Dazu der
lateinische Ausspruch: In Hoc Signo Vincemus – in diesem Zeichen werden wir
siegen.
## Coffeeshop in Kreuzberg
Thorsten Kleinert hat den Cannabis-Plantagen den Kampf angesagt – doch die
Zeit arbeitet gegen ihn. Gerade hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung gemacht: Der Plan ist, einen
Coffeeshop nach holländischem Vorbild einzurichten, in dem der Verkauf von
Cannabisprodukten geduldet ist. Der Görlitzer Park, der zu einem
Drogenumschlagplatz geworden ist, soll damit wieder anwohnerfreundlich
werden. Mitte 2014 will der Bezirk beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte einen entsprechenden Modellversuch beantragen.
LKA-Mann Kleinert, ein freundlicher Herr mit kurzen angegrauten Haaren und
gesunder Gesichtsfarbe, hält davon gar nichts: Cannabis sei keine weiche
Droge, sagt der 48-Jährige bestimmt. „Der Begriff ist aus dem
Sprachgebrauch des LKA gestrichen.“ Durch den Einsatz von Dünger und
künstlich verkürzten Tag- und Nachtzeiten werde aus den Pflanzen Extremes
herausgeholt, der THC-Gehalt steige immer weiter. „Weiche Droge“, sagt
Kleinert betont, das suggeriere Kindern, „kiffen ist harmlos.“
Er selbst, sagt der gebürtige Berliner, trinke zwar ab und zu Alkohol –
gekifft habe er aber nie. Wie die Landesdrogenbeauftragte Christine
Köhler-Azara und Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), der gerade mit
Nachdruck daran arbeitet, die Straffreiheitsgrenze für den Eigenverbrauch
von Cannabis auf 6 Gramm abzusenken, ist Kleinert strikt gegen einen
Coffeeshop – und überhaupt gegen alles, was zur Liberalisierung von
Cannabis beitragen könnte.
Wenn das Wappen an Thorsten Kleinerts Tür eine Ermutigung für seinen Kampf
sein soll, kann man nur sagen: die Rauschgiftfahnder haben sie bitter
nötig. Der Anbau von Cannabis hat sich längst zu einer einheimischen
Schattenindustrie entwickelt.
Andreas Bergmann ist Teil davon. Die Samen für seine Produktion erhält er
von speziellen Züchtern, die meist nichts anderes tun, als Stecklinge zu
pflegen und zu verkaufen, eine Grauzone, im Grunde genommen illegal. Die
Growshops wiederum verkaufen nur das Equipment – rein rechtlich gesehen
kann man ihnen nichts vorwerfen, schließlich ist es die freie Entscheidung
der Käufers, was er mit den Produkten anstellt.
Und schließlich bedient sich Bergmann eines gut funktionierenden Netzwerks.
„Wir sind eine Familie“ sagt er. Es gebe Leute, die jeweils beim Aufbau und
den ersten Schritten helfen würden – dafür sicherten sie sich etwa das
Vorkaufsrecht oder einen gewissen Anteil an der Ernte für den Eigenbedarf.
„Da gibt es die verschiedensten Typen“, sagt Bergmann, „vom Labortechniker
bis zum Goa-Hippie“.
Netzwerke und Vertrauen sind in seinem Job mit das Wichtigste: Wenn ihn ein
Kunde bedroht oder übers Ohr haut, kann er nicht zur Polizei gehen oder vor
Gericht ziehen. Sein Umfeld, sagt er, wisse von seinen Aktivitäten – in
Kreuzberg werde man nicht aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen,
nur weil man Gras anbaut. Die WG, in der er wohnt, ist sogar hocherfreut
über seine Tätigkeit. Bergmann hat allerdings keine Möglichkeit, häufig
größere Geldbewegungen auf seinem Konto zu rechtfertigen. Die Miete für
seine WG etwa zahlt er deshalb bar an seine Mitbewohner.
Größere Geldsummen – die fallen an, wenn die Ernten ins Haus stehen und der
Verkauf. „Im Idealfall hat man natürlich einen Abnehmer für die gesamte
Ernte“, sagt Bergmann. Das drücke den Kurs im Vergleich zu
kleinportioniertem Verkauf von etwa 10 auf 2 bis 5 Euro pro Gramm, sei aber
die sicherste Variante. Bestenfalls habe man einen Abnehmer aus Bayern, die
zahlten die besten Preise. In Berlin hingegen seien die Preise im Keller,
weil das Angebot zu groß ist. „Wer an Berliner verkauft“, sagt Bergmann,
„der sollte sich lieber einen ordentlichen Job suchen.“
Im Idealfall gibt es sieben Ernten pro Jahr. Während Bergmann in den
Wachstumsphasen rund 20 Stunden pro Woche mit der Plantage zu tun hat, sind
es während der Ernte mehrere Tage am Stück. Das, sagt er, sei der
gefährlichste Zeitpunkt. Denn dann helfen weder Belüftungssysteme noch
Kohlestaubfilter – „dann stinkt die ganze verdammte Wohnung einfach nur
noch nach Gras. Das geht in deine Kleidung, in deine Haare, in deine Haut.
Du wirst quasi zu einer wandelnden Gefahr.“ Und die Überbleibsel müssen
natürlich auch entsorgt werden – die Blätter und Reste von 300
Marihuanapflanzen machen sich schlecht im Hausmüll.
Wird eine Plantage entdeckt, liegt das oft daran, dass Nachbarn
misstrauisch geworden sind, sagt LKA-Mann Thorsten Kleinert – oder weil die
Anlage einen technischen Defekt hatte. Kurzschluss, Feuer, Wasser,
Überschwemmungen, all das seien verräterische Indizien. Probleme mit der
Stromrechnung kann es auch geben – vor allem, wenn das LKA schon jemanden
auf dem Kieker hat und nach der Verhaftung nachgewiesen werden soll, wie
lange schon angebaut wird. „Der Stromgesellschaft an sich ist aber relativ
egal, wie viel man verbraucht“, sagt Bergmann. Er selbst habe damals
einfach dort angerufen und gesagt, er müsse hochgestuft werden, weil er nun
mit Elektroradiatoren heize.
Die Plantagen, die das Berliner Rauschgiftdezernat hochnimmt, sind nur die
Spitze des Eisbergs. „In Deutschland gibt es ohne Ende leer stehende
Bauerngehöfte“, räumt Kleinert ein. Was Berlin betrifft, weiß er von Fäll…
zu berichten, in denen ganze Einfamilienhäuser angemietet worden sind, um
vom Keller bis zum Dach Marihuana anzubauen.
Bergmann hat Pläne, nach Brandenburg zu expandieren: Er will ein Haus
kaufen, dort leben und im Keller anbauen. Sein Risiko würde sich
minimieren, die Gewinnspanne würde sich beträchtlich erhöhen. Die ist schon
derzeit nicht schlecht: Bei rund zehn Boxen à 30 Pflanzen und einem Ertrag
von 40 Gramm steht am Ende ein Ertrag von etwa 10 Kilo. Bei einem Preis von
4 Euro pro Gramm sind das 40.000 Euro.
Kleinert hält diese Zahlen allerdings für zu hoch gegriffen: Der Umstand,
dass so viel Marihuana auf dem deutschen Markt sei, habe zu einem
Preisverfall geführt, sagt er. 2009 habe es noch 3.000 bis 5.000 Euro pro
Kilo für den Erzeuger gegeben, heute liege der Richtwert pro Kilo bei 2.000
Euro.
Bergmann gönnt sich zwischen den Erntezeiten immer größere Pausen. Zudem,
sagt er, seien die 40.000 Euro natürlich nicht der Gewinn. Es fielen noch
lauter laufende Kosten wie Strom, Dünger, Miete und Transporte an – und der
Anteil für die Helfer nicht zu vergessen. „Aber es reicht“, sagt er und
lächelt. „Ich muss nicht arbeiten gehen, und der ein oder andere Urlaub ist
auch drin.“
Fühlt sich einer wie Kleinert da nicht wie Don Quichotte, der gegen
Windmühlen kämpft? „Nein“, versichert der Rauschgiftfahnder. „Ich trage
meinen Teil dazu bei, die Gefährlichkeit von Cannabis ins richtige Licht zu
rücken“. Er hält es mit der Drogenbeauftragten Köhler-Azara, die sagt: „…
braucht nur einen langen Atem.“
Von Januar bis November dieses Jahres fanden 130 Razzien allein gegen die
Dealer im Görlitzer Park statt. Fast 1.200 Menschen wurden überprüft, 355
Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz
eingeleitet. An der Lage im Park hat sich nichts verändert. In Hoc Signo
Vincemus.
*Name geändert
13 Dec 2013
## AUTOREN
Plutonia Plarre
Juri Sternburg
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