# taz.de -- Musik für Kinder: Ungesüßt und unversäuert | |
> Das Münchner Café Unterzucker belebt mit Songs für Kinder anarchische | |
> Kasperletheatertraditionen mit neuem Pop und Jazz. | |
Bild: Die Räterepublik der Kasperltheater: Dr. Döblingers Puppen. | |
Am Anfang war das Kasperletheater. Der Münchner Autor und Puppenspieler | |
Richard Oehmann betreibt zusammen mit Josef Parzefall seit 1994 „Doctor | |
Döblingers geschmackvolles Kasperltheater“. Mit einer portablen Bühne, | |
einem kauzigen Puppenensemble, in dem die Prinzessin Heike heißt und der | |
Prinz Jochen, der Seppl, herrlich debil ist und die Hexe Strudlhofer | |
aussieht wie Alexis aus dem Denver Clan, hat sich das Duo in und um München | |
herum eine solide Fangemeinde ertingelt. | |
Das liegt selbstverständlich an den angenehm anarchischen | |
Kasperlegeschichten, die auch Erwachsene ohne Kinderbegleitung in die | |
Aufführungen locken. Und an der Musik. Auf dem Album „Xingel-Xangel – | |
Etliche Kasperlieder“ gibt Doctor Döblinger Einblick in sein | |
geschmackvolles Kasperltheater. Prächtige, akustisch instrumentierte | |
Lieder, in denen sich die Großmutter im Karl-Valentin-Duktus beschwert, | |
dass die Enkel so anstrengend sind. | |
Und der Wachtmeister den Kasperl zu den Klängen einer bayrischen | |
Festtagspolka verhaftet, dabei aber nicht weiß, wo er am Sonntag das Brot | |
herbekommt. Oder Kasperl dem Tod von „der Schippn hupft“ und im | |
Hillbilly-Beat skandiert: „Hau ab, du Tod, i mag no net sterbn, i lass mir | |
doch von dir den Spaß net verderbn.“ | |
Nun hat Oehmann zusammen mit dem Multiinstrumentalisten und Theatermusiker | |
Tobias Weber das Café Unterzucker gegründet, ein „Institut für ungesüßte | |
Kinderkultur und unversäuerten Erwachsenenschmarrn“. Folgerichtig wird hier | |
kein Süßkram angeboten, sondern mit „Leiser! – Kindische Lieder aus der | |
Nachbarschaft“ ein Konzeptalbum mit herzhafter Textur. | |
Das soziale Panoptikum einer Straße wird liebevoll beäugt: der ewig | |
nörgelnde Nachbar Ahnfried, die absolut gleichen Zwillinge Ruth und Grit | |
oder wer alles welchen Lärm macht. In keinem Takt wird sich hier ans Kind | |
angebiedert. Trotzdem haben Kinder ihren Spaß und Erwachsene erfreuen sich | |
an manch hintergründigem Gag, der sich Kindern eventuell nicht erschließt. | |
## Erwachsenenschmarrn | |
Die Texte stammen von Oehmann, die Musik ist von Weber, für die | |
musikalische Umsetzung standen große Teile des illustren | |
„Xingel-Xangel“-Ensembles bereit. Micha Acher, über die Grenzen Bayerns | |
hinaus bekannt als einer der beiden Strippenzieher von The Notwist, lebt | |
hier seine Liebe zum Jazz aus, den er sonst auch bei den New Orleans Dixie | |
Stompers spielt. | |
Die Bierruhe, die von seinem Tuba-Spiel ausgeht, rührt gewiss vom | |
jahrelangen Beschallen sonntäglicher Frühschoppen, etwa im Münchner Lokal | |
„Zum Fraunhofer“. Greulix Schrank hat den Metal-Hammer, den er vormals bei | |
der Band Die Schweisser schwang, aus der Hand gelegt und klöppelt hier gut | |
aufgelegt am Schlagzeug. | |
Stilistisch wird vor nichts haltgemacht, das Rad auch nicht neu erfunden, | |
von Beliebigkeit dennoch keine Spur. Es wird der Blues gespielt, auch ein | |
Wienerlied mit Schmäh ist dabei. Vorgetragen wird es vom Schneekönig aus | |
Doctor Döblingers geschmackvollem Kasperltheater und handelt von einem | |
greisen DJ, der furchtbar unter seinen Kreuzschmerzen leidet. Und – die | |
trauen sich was! – Seemannslieder mit Westernschlagseite. | |
## Ode an den Bolzplatz | |
Das Lied vom Eismann, der einmal ein Seemann war, schwingt mit Banjo im | |
Schindmährentrapp. Der begleitende breitbeinige Shanty-Gesang des Chores | |
der Romantiker e. V. lässt jedes Gerede vom trennenden Element eines | |
Weißwurstäquators absurd erscheinen. | |
Die Jazzsängerin Anna Herrmann lässt eine Ode an einen Bolzplatz vom | |
Stapel, die im Fußballsuperjahr 2014 noch öfter zu hören sein wird. | |
Außerdem swingt sie mit „Regenreiner“ Andrew-Sisters-gleich dreistimmig ein | |
Lied von einem, der sich nur bei Regen wohl fühlt. Am stimmigsten tönt es | |
allerdings immer, wenn im breiten Bayrisch agiert wird. Außerdem ist ein | |
charmantes: „I hab koa Lust“ auf Bayrisch leichter hinzunehmen als in | |
schlecht gelauntem Hochdeutsch. | |
Und die renitente Starrköpfigkeit der donnerstäglich probenden Dixie-Opas | |
ist eindeutig sympathischer, weil sie auf die Frage, ob es nicht ein | |
bisschen leiser ginge, antworten: „An sich scho, das geht, aber des fang’ | |
mer’ gar ned o.“ | |
19 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Sylvia Prahl | |
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