# taz.de -- Springer-Vertrieb warnt vor „Dummy“: Gefährliche Penisse | |
> Das Magazin „Dummy“ muss geschwärzt, Seiten müssen herausgerissen werden | |
> – und das nur, weil drei Anwälte es empfehlen. | |
Bild: Was Dummy kann, kann die taz schon lange – ganz ohne Zensur. | |
Über den Penis an der Schnur auf Seite 83 kommt ein dicker Edding-Strich. | |
Der Stalin mit dem großen Penis und dem Hakenkreuz auf der Schulter wird | |
herausgerissen. Auf das Cover kommt ein runder Aufkleber: „Zensiert! Warum | |
in diesem Heft die Seite 93–96 fehlen, steht auf www.dummy-magazin.de“. | |
In einer großen Lagerhalle im Süden von Berlin stehen fünf Studierende am | |
Fließband und vernichten einige Seiten der aktuellen Ausgabe des | |
[1][Gesellschaftsmagazins] [2][Dummy]. Die freiwillige Selbstkontrolle des | |
Pressevertriebs findet die Bilder von einer Schlange, die an einer Vagina | |
züngelt, und den Penis an der Schnur pornografisch und | |
gewaltverherrlichend, das Hakenkreuz auf Stalins Brust strafrechtlich | |
problematisch. Deswegen müssen diese Stellen geschwärzt und vernichtet | |
werden – und das, noch bevor das Heft in den freien Verkauf kommt. | |
Dummy-Herausgeber Oliver Gehrs steht am Mittwochmorgen selbst mit dem | |
Edding in der Hand am Fließband. „Was hier passiert, ist Zensur und kommt | |
einem Betriebsverbot gleich“, sagt er laut und aufgeregt. Die Wut ist ihm | |
anzuhören. Letzte Woche erfuhr er durch einen Anruf vom | |
Axel-Springer-Vertrieb, dass das Heft nicht in den Verkauf darf, obwohl es | |
schon ausgeliefert worden war. 10.000 Hefte musste Gehrs zurückholen. | |
Lediglich die, die an die Abonnenten gingen, sind nun noch unzensiert auf | |
dem Markt. | |
Hefte auf den Index setzen und damit verbieten kann nur die | |
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Sie schreitet allerdings | |
erst ein, wenn ein Magazin schon auf dem Markt ist und Leser Anzeige | |
erstatten. Die freiwillige Vorkontrolle der Pressevertriebe soll | |
verhindern, dass es überhaupt so weit kommt. Allerdings ist sie weder eine | |
staatliche Stelle noch rechtlich befugt, ein ganzes Magazin zu kippen. | |
## Drei Anwälte mit Macht | |
Wer versucht, herauszukriegen, wie die freiwillige Selbstkontrolle | |
funktioniert, stößt auf [3][eine Website von DT-Control], die aussieht, wie | |
den 90er Jahren entsprungen. „DT-Control prüft neue Medien, die im | |
Pressevertrieb als Cover-CD-ROM oder selbständiges Produkt angeboten | |
werden“, steht dort, aber nichts von der Überprüfung von Zeitschriften. Als | |
Kontaktadresse ist die Kanzlei von drei Münchener Anwälten aufgeführt. Drei | |
Anwälten, die die Macht haben, ein Magazin zu verhindern? | |
Einer ihrer Kunden ist der Bundesverband Deutscher Buch-, Zeitungs- und | |
Zeitschriftengrossisten – der Zusammenschluss der Vertriebsfirmen und | |
Grossisten, die in ihren Regionen zumeist Monopolisten sind. Ein Grossist | |
steht zwischen Verlag und Einzelhändler und sorgt dafür, dass auch kleine | |
Magazine im Zeitschriftenladen liegen. | |
Kai-Christian Albrecht ist Geschäftsführer beim Bundesverband. „Die | |
unabhängige Münchner Fachkanzlei für Medienrecht bekommt von den | |
Pressegroßhändlern den Auftrag, bestimmte Hefte zu überprüfen. Es geht | |
dabei nicht darum, die Hefte zu zensieren, sondern lediglich darum, zu | |
überprüfen, ob sie mit dem Kinder- und Jugendschutz vereinbar sind.“ Die | |
Anwaltskanzlei spricht den Vertrieben dann eine Empfehlung aus, rechtlich | |
bindend ist die aber nicht. | |
So wie Dummys Vertrieb, Axel Springer, das an seine Grossisten | |
weitergegeben hat, klingt es allerdings eher nach Befehl als nach | |
Empfehlung: „Wir möchten Sie dringend darauf hinweisen, dass diese Ausgabe | |
auf keinen Fall an den Handel ausgeliefert werden darf, da es | |
Klärungsbedarf zu Inhalten des Heftes gibt“, schrieb der | |
Axel-Springer-Vertrieb in einer Mail, die der taz vorliegt, an seine | |
Grossisten. Wieso der Springer-Vertrieb solch eine Mail schrieb und wie die | |
Zusammenarbeit mit der Anwaltskanzlei funktioniert, dazu will sich der | |
Vertrieb nicht äußern. | |
## Ist das Kunst? | |
Julia Bezzenberger ist Medienanwältin und berät die Redaktion von Dummy. | |
Auch sie ist überrascht, dass eine kleine Anwaltskanzlei so viel Macht hat. | |
Aber: „Man kann Presse-Grosso nicht verbieten, sich anwaltlichen Rat zu | |
holen. Und wenn die Juristen empfehlen, das Magazin nicht auszuliefern, | |
spricht rechtlich erst einmal nichts gegen die Empfehlung.“ Wo Kunst | |
aufhört und Pornografie anfängt, das sei ein Graubereich, sagt sie. Sie | |
selbst sehe die Abbildungen aber durch die künstlerische Freiheit gedeckt. | |
Dummy-Chef Oliver Gehrs sagt, er sei gern bereit, über diese Frage zu | |
diskutieren, „aber in einem vernünftigen gesetzlichem Rahmen und nicht im | |
E-Mail-Kasten von dubiosen Anwälten, Grossisten und Vertriebsfirmen.“ | |
Immerhin, einen positiven Effekt hat die Geschichte. Seit Gehrs auf der | |
Website und bei Facebook geschrieben hat, was passiert ist, schnellen die | |
Abozahlen in die Höhe und bestellen Hunderte Leute das Heft vor. Wer es | |
nämlich direkt auf der Website von Dummy ordert, bekommt es mit Stalins | |
Hakenkreuz und dem Penis an der Schnur. | |
18 Dec 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.dummy-magazin.de/issues/41-schmerz | |
[2] http://www.dummy-magazin.de/issues/41-schmerz | |
[3] http://www.dt-control.de/ | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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