# taz.de -- Neun Jahre "Dummy"-Magazin: Gut, wenn der Autor brennt | |
> Das Gesellschaftsmagazin "Dummy" feiert sein Neunjähriges mit dem 32. | |
> Heft zum Thema "Scheiße" und einem Sammelband. Eine Würdigung. | |
Bild: Ziemlich gute Geschichten: in der Dummy. | |
Es gibt Leute, also Kollegen, die den Journalisten Oliver Gehrs für einen | |
selbstbegeisterten Angeber halten. Aber erstens gibt es da noch ganz andere | |
und zweitens muss man sich Neid erarbeiten. | |
Gehrs, 43, hat nach einer pfeilschnellen beruflichen Reißbrettkarriere | |
(taz, Berliner Zeitung, Spiegel, SZ) etwas Ungewöhnliches gemacht: Er ging | |
ökonomisch und journalistisch ins Risiko, schrieb eine sehr kritische | |
Biografie über Stefan Aust, als der noch Spiegel-Chef war und gründete 2003 | |
mit Heike Blümner und Jochen Förster ein narratives Gesellschaftsmagazin | |
namens Dummy. | |
Begründung: Das Land schreie danach, weil Online die Nachrichten übernommen | |
habe und trotzdem in den Zeitungen und Zeitschriften doch weitgehend | |
identische Geschichten und Kommentare stünden. Haltung ist ein | |
entscheidendes Wort für Gehrs. Haltung vermisst er am meisten in einer Welt | |
kungelnder Verlage und kuschender Journalisten. Dabei sei es so einfach, | |
sein eigenes Heft zu machen. | |
Große Worte. Mancher wird gehofft haben, dass sie ihm im Hals stecken | |
bleiben, aber nun gibt es das Magazin schon neun Jahre. Selbstverständlich | |
lässt Gehrs es sich nicht nehmen, ein opulentes Jubiläumsbuch namens "Das | |
große Dummy-Buch" herauszugeben, einen Sammelband mit den "besten und | |
schlimmsten" Geschichten (Kein & Aber, 492 S., 24.90 Euro). | |
## Ohne Verlag im Rücken | |
Dummy erscheint vierteljährlich und verkauft nach eigenen Angaben 45.000 | |
Exemplare, die Hälfte ist Abo und Kiosk, die andere "besondere Verkäufe". | |
Das Magazin ist "unabhängig", das heißt, dass es ohne großen Verlag im | |
Rücken klarkommt und sich nicht zum Zwecke des Anzeigensverkaufs | |
korrumpieren lässt. Gehrs findet, dass ein "journalistisch qualitätvolles | |
Umfeld" für Qualitätsproduktwerbung eh viel besser sei als all die | |
Magazine, bei denen Redaktion und Werbung kaum mehr zu trennen seien. | |
Aber viele Medienplaner setzten aus Bequemlichkeit immer noch lieber auf | |
die größte Auflage anstelle eines kleineren, anspruchsvollen Lesermilieus. | |
Dummy muss sich aber nicht für jede Anzeige verbiegen, weil es durch andere | |
Verlagsprojekte querfinanziert wird. Ein Heft widmet sich immer nur einem | |
Thema und wird von stets neuen Grafikern neu gestaltet. Gerade ist die 32. | |
Ausgabe erschienen mit dem schönen Titel "Scheiße". | |
## Gute Geschichten | |
Sicher kann man fragen: Wozu braucht man Dummy? Man erfährt doch gar nichts | |
darüber, was Journalisten denken, was Angela Merkel denkt. Wo ist die | |
Schablonenbetroffenheit der SPD-Reporter, wo der langweilige | |
Zackigzynismus? Fehlt alles. Dafür steht knallhart drin, dass die Deutschen | |
den Flachspüler erfunden haben, um ihren Stuhlgang medizinisch beschauen zu | |
können. Dass es Pornoproduzenten gibt, die gern mal eine Rolle mit Veronica | |
Ferres besetzen würden. | |
Man muss sagen, dass die Wahrscheinlichkeit nicht klein ist, gute | |
Geschichten zu finden. Gute Geschichten, sagen wir mal, falten die Welt | |
nicht nach Schema "Hänschen klein" zusammen, sondern werfen gut erzählt | |
neue Fragen auf und machen sie damit größer und noch unübersichtlicher. | |
"Realitätskonfrontation" nennt Gehrs das Prinzip. Im Dummy-Buch etwa: "Die | |
Stadt hat mich in den Arsch gefickt"; das wunderbare Porträt eines wirklich | |
bemitleidenswerten Heilbronner Zuhälters. So lässt man sich | |
Opferberichterstattung gefallen. | |
Der schwächste Text im Buch ist von Paul Sahner, dem relativ legendären | |
Bunte-Prominentenschüttler. Der hat einfach das geschrieben, was er immer | |
schreibt. Das repräsentiert journalistischen Alltag. Dummy ist deshalb und | |
dann gut, wenn der Autor brennt. Es gibt in Dummy grandiose Stücke von | |
Kollegen, die bei ihrem Hauptarbeitgeber eher so vor sich hinschlumpfen; | |
interessant. Wie lange kann Dummy noch brennen? "Superfrage", sagt Gehrs. | |
Sie hätten sich das auch schon mal gefragt. Aber: "Mit dem Thema Scheiße | |
haben wir wieder Fahrt aufgenommen." | |
22 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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