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# taz.de -- Sumo-Ringen in der Krise: Nackte Pobacken vor dem Aussterben
> Japans Traditionssport fehlen die Idole. Dem Sumo-Nachwuchs fehlt die
> Perspektive und das Image ist durch Wett- und Gewaltskandale ruiniert.
Bild: Osaka, 2009: Kaio ringt Baruto nieder.
TOKIO taz | Die zwei Kolosse mit den halb nackten Pobacken stehen sich in
einem Ring aus Lehm gegenüber. Sie streuen Salz zur zeremoniellen
Reinigung, nehmen sich ins Visier. Sobald der Schiedsrichter den Kampf
freigibt, stürzen sie aufeinander los, nach einigen Sekunden steht in der
Regel der Sieger fest. Wird einer der beiden Kämpfer aus dem Ring gestoßen,
zu Fall gebracht oder berührt auch nur ein Finger den Boden, jubeln oder
trauern auf den Rängen und vor den Fernsehern unzählige japanische
Zuschauer über Sieg oder Niederlage.
Sumo kommt in Japan fast schon religiöse Bedeutung zu, es entspricht einem
Sozialstaat im Kleinen. Noch vor 20 Jahren war Sumo der wichtigste Sport in
Japan. Japaner erklären ihr Interesse häufig damit, dass es eigentlich viel
komplexer sei, als es aussieht.
Die Boomzeiten in den 1990er Jahren lebten zum Großteil von der Beliebtheit
der Brüder Takanohana und Wakanohana, die sich damals umjubelte Kämpfe mit
dem Hawaiianer Akebono lieferten. Die Duelle des mehr als 230 Kilo schweren
und zwei Meter hohen Akebono und des recht flinken Takanohana ließen sich
als Fehden zwischen Japan und dem Rest der Welt vermarkten. Sumo wurde
weltweit übertragen, in Deutschland waren die Kämpfe am frühen Nachmittag
teilweise live auf Eurosport zu sehen.
Aber als Stars wie Takanohana und Akebono abtraten, schwand die Beliebtheit
des Sports. Umfragen des japanischen Meinungsforschungsinstituts Central
Research Services zufolge hat heute sogar Golf mehr Fans. Es fehlen
heimische Topathleten. Seit Takanohana vor zehn Jahren aufhörte, hat kein
Japaner mehr den höchsten Rang des Yokozuna erreicht.
„Japanische Idole wären gut für den Sport“, sagt der mongolische Ringer
Harumafuji, der im vergangenen Jahr zum 70. und aktuell letzten Yokozuna
berufen wurde. „Aber den Jungen hier fehlt der Erfolgshunger.“ Harumafuji
wird als intelligent und strebsam geschätzt, in Abgrenzung zu vielen
Japanern.
## „Essen, Training, essen, Training“
Seinen Weg zur Spitze beschreibt Harumafuji mit „Essen, Training, essen,
Training“ und einer täglichen körperlichen Verausgabung „bis kurz vor dem
Tod“. In Armut wuchs er in der mongolischen Hauptstadt Ulan-Bator auf und
musste seine Familie ernähren. Die jungen Menschen aus Japans
Wohlstandsgesellschaft hält er für verweichlicht.
Traditionell kamen die erfolgreichsten Ringer aus Japans ärmeren ländlichen
Regionen, meist ohne die Mittel, eine gute schulische Ausbildung zu
bezahlen. Der Weg in einen Sumostall war früher attraktiv, weil Schule dort
keine Rolle spielte und es Essen und ein Bett gab. Solche Leistungen bieten
die Ställe zwar auch heute noch, aber beinahe jedes Kind schließt
mittlerweile die Schule ab.
Japan ist eine Gesellschaft, in der sich fast alle zur Mittelklasse zählen.
Nach Erhebungen der deutschen Japanologin Verena Hopp, die an der Sprach-
und Kulturschule Tokio Riverside School über Sumo lehrt, haben heute sechs
von zehn Ringern zumindest einen Mittelschulabschluss und gehen dann mit 15
Jahren in einen Stall. Nur nimmt deren Zahl seit Jahren ab. Es gibt längst
nicht mehr so viele Bewerber wie früher.
Seine einstige Funktion als soziales Auffangnetz könnte Sumo daher nach und
nach einbüßen. Zumal bekannt ist, dass das für den Erfolg nötige
Körpergewicht mit Risiken einhergeht. Viele Athleten haben nach der
Karriere mit Gelenkproblemen oder der Zuckerkrankheit zu kämpfen, die
Lebenserwartung liegt deutlich unter Japans Durchschnitt. Ein bekannter
Fall ist Takanosato Toshihide, der in den 1980er Jahren zum 59. Yokozuna
befördert wurde und schon während seiner Karriere an Diabetes litt. Vor
zwei Jahren starb Takanosato 59-jährig.
## Verbindungen zur Mafia
Zuletzt machte der Sport auch durch mehrere Skandale von sich reden. Vor
einigen Jahren schrieb der ehemalige Ringer und Stallmeister Onaruto
gemeinsam mit einem anderen Exathleten ein Buch über die Szene. Unter
anderem Drogenmissbrauch, Steuerhinterziehung und Verbindungen zur
japanischen Mafia wurden erwähnt. Kurz vor der Veröffentlichung starb der
Autor auf mysteriöse Weise.
2010 wurde über illegale Wetten von Sumoringern auf Baseballspiele
berichtet. Ein Jahr später gestanden mehrere Athleten, ihre Kämpfe
verschoben zu haben. Durch Japans Öffentlichkeit ging ein Aufschrei, das
öffentlich-rechtliche Fernsehen setzte Sumo ab. Dem Verband droht die
Streichung von Steuervergünstigungen.
Der wohl größte Skandal ereignete sich vor sechs Jahren, als ein
17-jähriger Ringer nach Anweisung des Trainers mit Bierflasche und
Baseballschläger verprügelt, mit glühenden Zigaretten gequält wurde und
schließlich daran starb. Immer wieder ist von Gewalt in den Ställen
berichtet worden – auch von jungen Athleten, die wegen des harten Lebens
hinschmeißen.
Das alles schreckt den Nachwuchs ab. In der Boomzeit 1992 bewarben sich
noch 223 junge Männer um Plätze in den rund 50 Ställen. In den letzten
Jahren bewegte sich der Wert bei knapp über 50. Auch mit der Bezahlung
dürfte das zu tun haben. Durch die Privilegien unterschiedlicher Ränge, die
sich nach Erfolg richten, beziehen nur bis zu 70 Ringer ein Gehalt. Aber
zehnmal so viele leben und trainieren in Tokios Ställen. So könnte sich
Sumo nach und nach ins Abseits manövrieren. Gegen international beliebte
Sportarten wie Baseball und den boomenden Fußball kommt es derzeit schon
nicht mehr an.
25 Dec 2013
## AUTOREN
Felix Lill
## TAGS
Japan
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diese Mentalität das Leben.
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