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# taz.de -- Literatur von Hakuri Murakami: Global anschlussfähig
> Er ist der Neoromantiker unter den Welt-Schriftstellern. Was macht die
> Romane des Haruki Murakami eigentlich so erfolgreich?
Bild: Literaturstar aus Japan: Hakuri Murakami.
Auch Haruki Murakamis neuem Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn
Tazaki“ folgte fast schon reflexhaft die Beschwerde. Jetzt sei es nun aber
langsam mal Zeit mit dem Literaturnobelpreis. Jedes weitere Jahr vergrößere
ja nur die Blamage des Stockholmer Komitees. Warum eigentlich? Weil sich
seit geraumer Zeit das gemeine Lesevolk und die gebildeten Stände bei
diesem Autor die Hand reichen?
Weil er nicht nur die Kluft zwischen E und U zuschüttet, sondern gleich
auch noch alle Sprach- und Landesgrenzen hinter sich lässt? Weil er
insofern wirklich einmal Weltliteratur schafft, nämlich Bücher, die überall
in der Welt Bestseller werden? Auf der Spiegel-Bestsellerliste steht er auf
Platz zwei.
So gesehen. Man kann es allerdings auch ganz anders sehen. Murakamis
Anschlussfähigkeit und globale Kompatibilität ist nämlich zugleich auch
sein literarisches Defizit. Womöglich stören sich die Schweden ja daran.
Oder es ist nur ihr menschlich-sympathisches Gespür für poetische
Gerechtigkeit? Murakami – der hat doch schon alles!
Man kann so einen internationalen Erfolg schwerlich planen, aber wenigstens
nachträglich zu erklären versuchen. Murakami schreibt eine Literatur des
kleinsten gemeinsamen Nenners. Seine Helden entstammen auffällig oft der
gehobenen Mittelschicht, sind gebildet, beruflich erfolgreich,
Subsistenzsicherung stellt kein Problem für sie dar. Und sie sind
körperlich „gesund“. Das scheint dem Marathonläufer Murakami wichtig zu
sein.
Immer wieder kommt er in seinem neuen Roman zustimmend darauf zu sprechen:
„Du bist ein gesunder sechsunddreißigjähriger Bürger, hast Wahlrecht,
zahlst deine Steuern …“ Die wirklich kranken Typen vom sozialen Rand findet
man eher bei seinem Namensvetter, dem rabiaten Ironiker Ryu Murakami.
## Exotische Aura
Die Handlungsorte sind eher nebensächlich und auch nicht besonders üppig
koloriert. Murakamis Geschichten könnten letztlich überall spielen.
Gleichzeitig aber evozieren die japanischen Orts- und Personennamen eine
gewisse exotische Aura für die hiesige Leserschaft – und das erzeugt eine
heimelige Atmosphäre, man erkennt das Eigene im Fremden. Murakami gilt
nicht zu Unrecht als der westlichste japanische Autor. Dafür spricht auch
der kosmopolitische kulturelle Resonanzraum seiner Erzählungen, es sind die
Referenzwerke abendländischer Kultur, auf die er in seinen Büchern
verweist.
Oft liefern ihm angloamerikanische Jazz- und Popstandards das
leitmotivische Unterfutter. Hier ist es mal die europäische Klassik,
untermalt Franz Liszts Klavierstück „Le mal du pays“ aus den „Années de
pèlerinage“ Herrn Tazakis Sehnsucht nach Freundschaft und Farbe im Leben.
Vor allem aber bedienen seine Stoffe ein offenbar breites Leserbedürfnis
nach Weltflucht. Die meisten seiner Geschichten kippen irgendwann aus der
profanen Wirklichkeit in den Traum, ein surreales oder mythisches
Zwischenreich oder gleich in ein Märchenszenario. Murakami ist ein
Neoromantiker. Es gibt keine Poesie mehr in der ratiokontrollierten,
leistungsoptimierten Realität, folglich braucht man als Palliativ und
transitorischen Ausweg die Phantasmagorie. Offenbar ist das eine suggestive
Ästhetik zurzeit.
## Gepflegt, mitunter betulich
Die Ikea-Qualitäten dieses Autors manifestieren sich letztlich auch im
Stil. Murakamis Diktion ist gepflegt, gebügelt, mitunter etwas betulich; in
weniger gelungenen Passagen hat er einen Besen im Arsch. Seine Sprache ist
eher unambitioniert, Fremdwörter und Neologismen findet man ebenso wenig
wie gewagte Metaphern.
In der Regel gar keine Metaphern, sondern allenfalls Vergleiche. „Vom Juli
seines zweiten Jahres an der Universität bis zum Januar des folgenden
Jahres dachte Tsukuru Tazaki an nichts anderes als den Tod“, beginnt sein
neuer Roman. „Bis heute wusste er nicht, warum er den letzten Schritt nie
vollzogen hatte. Denn die Schwelle vom Leben zum Tod zu überschreiten wäre
damals so leicht für ihn gewesen, wie ein rohes Ei zu schlucken.“
In einem solchen ruhigen, quasi klassischen Berichtsstil ohne
Forciertheiten und expressive Ausreißer schwebt diese Prosa dahin. Immer
leicht melancholisch gestimmt, Ironie und Komik sucht man hier vergeblich.
Murakami verlässt diesen stilus mediocris, die Mittellage der klassischen
Rhetorik, nicht einmal bei den Gedankenprotokollen und Dialogen seiner
Protagonisten. Sie denken so aufgeräumt und sprechen so abgeklärt wie der
Erzähler selbst. Das Szenische ist denn auch nicht unbedingt Murakamis
Stärke. Die wörtliche Rede klingt manchmal so, als würde sich das Personal
Zettelchen schreiben oder Spruchbänder hochhalten.
## Das große Geheimnis
Der Held des neuen Romans, Tsukuru Tazaki, ein einsamer Bahnhofsarchitekt,
der an Minderwertigkeitskomplexen leidet, weil er vor vielen Jahren ohne
jede Erklärung aus der unzertrennlichen Schülerclique verstoßen wurde,
lernt Sara kennen. Sie ist nicht nur eine neue Frau in seinem Leben, sie
hat eine besondere Aufgabe in diesem Roman, soll Tazaki nämlich dazu
bringen, sich der Vergangenheit zu stellen, seine Freunde von einst
aufzusuchen und das große Geheimnis zu lüften. Und sie trägt schwer an
dieser Aufgabe, wird zur bloßen Erfüllungsgehilfin des Autors fast ohne
eigenes Profil. Vor allem muss sie sprechen wie eine Mischung aus
Gouvernante und Therapeutin.
Wobei hier immer der Einfluss seiner Übersetzerin Ursula Gräfe in Rechnung
zu stellen ist. Ich befürchte allerdings, so groß ist der gar nicht. Gerade
die Dialoge der beiden Liebenden sind denn auch von einer Formelhaftigkeit
und mitunter erlesenen Banalität, dass sie garantiert überall auf der Welt
verstanden werden.
„’Natürlich würde ich dich gern sehen. Aber ich glaube, es ist besser, we…
ich vorher nach Finnland reise‘, meldet sich Tsukuru bei Sara ab, um die
letzte Schulfreundin in der Emigration zu besuchen und sich dadurch
endgültig von seiner neurotischen Fixierung auf die Vergangenheit zu
befreien.
’Das sagte wohl auch dein Instinkt?‘
’Ja.‘
’Gehörst du zu den Menschen, die sich auf ihre Intuition verlassen?‘
’Nein, eigentlich bin ich bei meinen Entscheidungen bisher nie meiner
Intuition gefolgt. Bahnhöfe werden ja auch nicht intuitiv gebaut. Ich weiß
nicht einmal, ob Instinkt das richtige Wort ist. Es ist einfach so ein
Gefühl, das ich habe.‘
’Aber im Augenblick hältst du es jedenfalls so für das Beste. Ob aus
Instinkt oder was auch immer.‘
’Als ich kürzlich im Schwimmbad war, habe ich nachgedacht. Über dich und
über Helsinki. Ich kann es nicht erklären, aber ich hab das Gefühl, als
würde ich mich instinktiv stromaufwärts bewegen‘, sagte Tsukuru.
’Das ist dir beim Schwimmen eingefallen?‘
’Ja, dabei kann ich ausgezeichnet nachdenken.‘
Sara schwieg einen Moment. Sie schien erstaunt. ’Stromaufwärts wie ein
Lachs?‘
’Ich weiß nichts über Lachse.‘
’Die Lachse machen lange Reisen und folgen dabei einem bestimmten
Instinkt‘, sagte Sara. ’Hast du Star Wars gesehen?‘
’Als Kind.‘
’Möge die Macht mit dir sein‘, sagte Sara. ’Wenn die Lachse das schaffen,
schaffst du es auch.‘“
## Zen und Stille
Das geht bei den Fans offenbar als Zen-Weisheit durch. Es ist diese Tendenz
zum gravitätischen Pipifax, die einem diese Prosa noch zusätzlich
verleidet. „Eifersucht war […] das trostloseste Gefängnis, das es auf der
Welt gab. Denn es war ein Gefängnis, in das der Gefangene sich
gewissermaßen selbst einsperrte. Niemand zwang ihn dazu. Er ging aus freien
Stücken hinein, schloss von innen ab und warf den Schlüssel durch das
Gitter nach draußen. Niemand auf der ganzen Welt wusste, dass er dort
eingekerkert war. Nur wenn er sich selbst dazu entschloss, konnte er es
verlassen. Denn das Gefängnis befand sich in seinem Inneren.“
Um auf solche tiefe Gedanken zu kommen, braucht es Stille. Stille gehört zu
Murakamis Lieblingswörtern. Er kennt diverse Aggregatzustände. Etwa die
„dichte, undurchdringliche Stille“ oder die „tiefe, vielsagende Stille“.
Manchmal ist die Stille allerdings auch tief und nichtssagend.
„Tiefe Stille senkte sich über den Raum. Nicht der geringste Laut war zu
hören. Es war ohnehin ein ruhiges Zimmer.“ Und dann gibt es noch die
„unendlich tiefe Stille“, bei der hört man sogar Sachen. „Es war ein
besonderer Laut, der nur in unendlich tiefer Stille zu vernehmen war. Er
kam nicht von außen, sondern entstand tief in seinem Innern. Jeder Mensch
trägt solch einen eigentümlichen Laut in sich. Doch nur selten hat man
Gelegenheit, ihn zu vernehmen.“
Also ich kann die Schwedische Akademie verstehen.
3 Feb 2014
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Literatur
Japan
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