# taz.de -- Literatur: Frei im Freundeskreis | |
> Der kleine Hamburger Independent Verlag Minimal Trash Art wurde vor 15 | |
> Jahren von Leuten gegründet, die ihre Bücher und Tonträger unabhängig von | |
> wirtschaftlichen Überlegungen veröffentlichen wollten. | |
Bild: Gerrit Jöns-Anders: 2003 erschien bei Minimal Trash Art sein Romandebüt… | |
HAMBURG taz | MTA – drei Initialen, die vieles abkürzen können. Den | |
Verkehrsbetrieb des Staates New York zum Beispiel oder Berufsbezeichnungen | |
im medizinisch-technischen Bereich. MTA steht aber auch für einen kleinen | |
Independent Verlag, für vier Menschen um die 40 und für eine Altbauwohnung | |
in Hamburg-St. Georg mit Holzdielen, Flohmarktmöbeln, schwedischen | |
Pressspan-Regalen und einem abgesackten alten Küchenboden. | |
Auch wenn Minimal Trash Art keine medizinische Lehr-Literatur | |
veröffentlicht, so beginnt die Geschichte dieses Verlags dennoch im | |
Universitätsklinikum Eppendorf, wo sich die damaligen Krankenpfleger Jan | |
Billhardt, Marc Frese und Melanie Reiling in den 1990ern kennenlernten. | |
Jeder von ihnen suchte eine Art Gegenpol zum harten Krankenhausalltag. „Wir | |
steckten voller Ideen und waren unheimlich erpicht darauf, etwas zu tun. | |
Nicht, um berühmt zu werden. Es entstand einfach so viel, Geschriebenes und | |
Musik. Das sollte nicht in der Schublade landen“, sagt Melanie Reiling. Sie | |
schrieb und Jan Billhardt und Marc Frese machten elektronische Musik mit | |
Waldhorn und Akkordeon-Einlagen. | |
1998 gründeten die drei dann Minimal Trash Art, die Verlagsbesprechungen | |
fanden zumeist in Kneipen statt. Am Anfang ging es vor allem um | |
Kurzgeschichten. Der gemeinsame Freundeskreis saß zusammen und las sich | |
gegenseitig selbst geschriebene Texte vor, um dann zu entscheiden, welche | |
es in die veröffentlichten Anthologien schaffen sollten. Während Reiling, | |
Billhardt und Frese in den ersten Jahren auch Musikkassetten | |
veröffentlichten, verschob sich der Schwerpunkt mit der Zeit mehr und mehr | |
auf Bücher. 2003 veröffentlichte MTA mit „Jugendstil“ den viel beachteten | |
Erstlings-Roman von Gerrit Jöns-Anders. | |
Danach sprach eine Freundin des Hauses den Hamburger Literaten und | |
diesjährigen 3sat-Preisträger Benjamin Maack auf einer Lesung an. Sein 2004 | |
im Minimal Trash Art Verlag erschienener Gedichtband „Du bist es nicht, | |
Coca Cola ist es“ ist heute vergriffen. Eine Neu-Auflage lehnt Maack ab: Er | |
findet es gut, ein vergriffenes Buch geschrieben zu haben. 2006 erhielt | |
Minimal Trash Art von der Hamburger Kulturbehörde einen Verlagspreis. | |
Jan Billhardt und Melanie Reiling führen in besagter Altbauwohnung auch | |
eine Internet-Agentur zum Geldverdienen. Zu ihren Kunden gehören kulturelle | |
Einrichtungen, Ärzte und Bonbon-Fabriken. „Unsere Agentur mietet die Räume | |
und der MTA stellt die Räume zu“, so Reiling. Marc Frese arbeitet | |
hauptberuflich noch immer im Uniklinikum, als Qualitätsmanager. Jasmin | |
Kickrehm, die mittlerweile die Buchcover und Flyer gestaltet, ist als | |
freiberufliche Grafikerin und Webdesignerin tätig. | |
Die Tatsache, dass die Betreiber in keinster Weise vom Verlagsgeschäft | |
leben können, bietet einige Freiheiten: Die Texte dürfen unkonventionell | |
sein, es fasziniert Literatur, die aus der Reihe fällt. „In einigen Büchern | |
stehen Sätze, die würden sicherlich viele Lektorate nicht überleben. Aber | |
genau diese Sätze haben einen eigenen Charakter, und das macht es aus. Wer | |
die Bücher nicht mag, muss sie nicht lesen“, sagt Reiling. | |
Gemeint sind damit Passagen wie folgende aus dem Erzählband „Der Kampf der | |
Mähdrescher“ von Ina Bruchlos: „Einer meiner Kunstprofs wirkte jung, viel | |
jünger, als er aussah, sah aber auch älter aus, als er war, wirkte so | |
gesehen so jung, wie er auch wirklich war, vielleicht ein bisschen jünger, | |
aber so alt, wie er aussah, war er einfach nicht.“ | |
Vertrieben werden die Bücher im Onlineshop des Verlags, auf Lesungen sowie | |
über einschlägige Hamburger Buchhandlungen. Grossisten listen die Bücher. | |
Ebenso ist eine Lieferung durch ein großes Online-Versandhaus möglich. „Der | |
Freundeskreis wird natürlich angehalten, Bücher zu kaufen“, sagt Billhardt. | |
Während große Verlagshäuser Wert auf Corporate Design legen, befindet sich | |
auf dem alten Holztisch in St. Georg eine heterogene Ansammlung der letzten | |
15 Jahren: Bücher, Pappschachteln und Kassetten, Romane, Anthologien und | |
Erzählungen, Siebdruck, Foto-Cover und ein Musik-Cover aus hellem Tuch. Die | |
Verlags-Auflagen bewegen sich zwischen 500 und 2.000 Exemplaren, | |
veröffentlicht werden ein oder zwei Bücher im Jahr. Es sind Bücher, „die | |
alle Beteiligten toll finden“. | |
Eine Pappschachtel mit 27 losen Blättern ist wohl eine der Besonderheiten | |
im Verlagsprogramm, und das im doppelten Sinn. Es handelt sich um 27 lose | |
Seiten, gefunden von in einem alten Flohmarkt-Schrank. Auf diesen 27 Seiten | |
berichtet ein gewisser Josef Voss von seinem Leben, dem Leben eines | |
alleinstehenden Angestellten in den 1970ern. Voss ist ein unbekannter | |
fränkischer Angestellter und schreibt über sein unbekanntes fränkisches | |
Leben, und zwar mit einer mechanischen Schreibmaschine und einem immer | |
schwächer werdenden Farbband. Zwischendurch versucht er ein paar ungelenke | |
Schreibübungen. 2004 verlegte MTA diese Seiten genau so: lose, mit | |
schwachem Farbband und ungelenken Schreibübungen. | |
Auch wenn Minimal Trash Art noch nie einen großen Gewinn erwirtschaftet | |
hat, die Druckkosten sollten schon gedeckt sein. So passt auch der im | |
November veröffentlichte zweite Roman von Gerrit Jöns Anders „Kunststoff“ | |
ins Verlagsbild. „Kunststoff“ thematisiert die ständige Reibung der Kunst | |
am Kommerz und ist in einer Auflage von 500 Exemplaren erschienen – das | |
kostspielige Siebdruckcover ließ keine höhere Auflage zu. | |
6 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Doris Brandt | |
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