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# taz.de -- Die Wahrheit: Nachbarwitz
> Gedenktage können ganz schön schlauchen. Sie führen einen auf amüsante
> Abwege, manchmal auch auf unlustige.
Angesichts des Kalenderwechsels fühlen sich manche bemüßigt, die Gedenk-
und Aktionstage des frischen Jahres sowie runde Geburts- und Todestage zu
bündeln. Und zwar – grrrr! – vergnüglich oder humorvoll. In dem Subgenre
habe ich bestimmt irgendwann bereits gewetteifert. In meiner
Anpassungssucht reihe ich mich abermals ein.
Sofort greife ich aus der Liste den 100. Geburtstag des großen
Schriftstellers Arno Schmidt heraus. Bald danach liegt es nahe, auf den
Essay von Oswald Wiener zu verweisen: „Wir möchten auch vom
Arno-Schmidt-Jahr profitieren“ lautet der Titel. Der Text ist 1979
erschienen, ich habe ihn bis heute nicht gelesen.
Als penibler Rechercheur erwarte ich von mir, das Büchelchen rechtzeitig zu
beschaffen und zu studieren. Es misslingt. Stattdessen stoße ich auf eine
zeitliche Nachbarschaft vor einhundert Jahren, die es in sich hat: Arno
Schmidt wird am 18. Januar 1914 geboren und nur wenige Tage später, am 2.
Februar, hat Charlie Chaplin seinen allerersten Kinoauftritt! In dem
Einakter „Making a Living“ spielt Chaplin noch nicht den kleinen Tramp,
sondern einen Schwindler. Man kann sich das bisweilen wüste Geraufe auf
[1][archive.org] und Youtube anschauen.
Was ich tat. Ja, dank meines gigantischen Einfühlungsvermögens stieg ich so
vehement ein, dass mir die Puste ausging. Erschöpft schleppte ich mich vom
Textkontor zu meiner Mansarde.
Im Treppenhaus überkommt mich eine Erleuchtung, als ich vor Schwäche
gebeugten Kopfes Folgendes entdecke: Einer der Hausnachbarn hat zum
Wendepunkt des Jahres sich eine neue Fußmatte gegönnt. Schlicht und
ergreifend veröffentlicht er nun seine Werteskala auf dem Abtreter aus
Kokosfaser: „Kumpels: 1 x klingeln, Topmodels: 2 x klingeln, Pizza-Service:
3 x klingeln. Alle anderen: Tschüss!“
Bin ich der Letzte, dem diese extrem ulkige Abtreter-Variante auffällt?
Jedenfalls brachte mich das Statement nicht nur ins Grübeln, sondern ich
kundschaftete in meiner Eigenschaft als Autodidakt in Gender Studies durchs
Netz. Der einzige direkte Versender dieser Fußmatte, interpretiere ich das
Ergebnis korrekt, ist [2][weltbild.de], der Händler, der zu 100 Prozent der
römisch-katholischen Kirche gehört.
Gibt uns der Werbetext für den „Klingel Knigge“ seitens der
römisch-katholischen Kirche zu denken? „Die Aufschrift … signalisiert, dass
hier jemand mit viel Humor wohnt: auch ideal als Geschenk zum Einzug, für
den Studentenhaushalt oder für WGs! Wetten, dass die Gäste dann schon ein
Lächeln im Gesicht haben, wenn die Tür geöffnet wird?“ Nun ja.
Unermüdlich durchforstete ich das Netz weiter, stieß bei Amazon Marketplace
auf eine Variante: Die Reihenfolge der ersten drei kehrt sich um und statt
des katholischen „Topmodels“ werden „Sexy Girls“ willkommen geheißen.
Improvisierend fasste ich meine Erhebung zusammen: Jenseits vom Ausrutschen
auf Bananenschalen und dem Werfen von Sahnetorten gefallen mir die Komik in
Slapstickfilmen und der Witz bei Arno Schmidt eindeutig besser.
7 Jan 2014
## LINKS
[1] http://archive.org
[2] http://weltbild.de
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
## TAGS
Arno Schmidt
Narzissmus
Vampire
Individualisierung
EU-Außengrenzen
Mode
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