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# taz.de -- Inside Adel: Leben für die Etikette
> Sie soll einen Mann von Stand heiraten. Sie soll nicht wie eine Schlampe
> aussehen. Sie soll Menschen hegen, wie der Schäfer sein Vieh. Sie soll
> eine Adelige sein.
Bild: Spitze im Kindesalter: ein Kleid von Prinzessin Anne im Buckingham Palace.
Ein entspanntes Fest bedeutet: Nur die Hälfte der Gäste ist adlig. Unter
Ahnenbildern hindurch, an präparierten Auerhähnen vorbei, durch einen
blutroten Flur. Augen nach links, zum goldgerahmten Kaiser Wilhelm II.,
hinter dem eine ausgestopfte Albino-Bergziege gereckten Hufes zum
Speisesaal weist.
An den Türen zeigen ausgehängte Führlisten die Tischordnung. Herren im
Smoking ziehen ihrer Tischdame bereits den Stuhl zurück. Ich suche auf der
Liste nach mir. Anhand meines Platzes weiß ich, ob ich in Ungnade gefallen
bin – oder verkuppelt werden soll. Ebenbürtige Ehen anzubahnen, ist auch
Zweck solcher Feste. Die Vermählung meiner Eltern wurde von seinen Eltern
(den Freiherren von Soundso) und ihren Eltern (den Herren von Soundso)
bekannt gegeben. So sollte es weitergehen.
Da bin ich. Freiin von Soundso. Vor meinem Familiennamen steht wie immer
der Titel, der unverdiente, eine Erbkrankheit.
Meine Großmutter sagt: „Ja, das schreiben wir hin. Nicht, weil wir Wert
darauf legen. Das ist wichtig, damit die Gäste nicht in eine missliche Lage
kommen, stell dir vor, jemand spricht einen Grafen mit Freiherr an – das
wär doch nicht schön.“
## Ass im Ärmel
Gäbe es den Gotha, das Nachschlagewerk des Adels, auch als Version für mein
Mobiltelefon, könnte ich spaßeshalber checken, wann es zu genetischer
Kreuzung zwischen meiner Familie und denen anwesender Standesgenossen kam.
Das durchs Blutsbande geknüpfte Netzwerk des Adels ist ein stetes Ass im
Ärmel. Es hilft, wenn nötig, bei der Job- und Wohnungssuche, hilft Leute in
der neuen Stadt zu finden, es hilft ganz allgemein, Kontakte herzustellen.
Die Bedingung dafür ist so klar wie unhaltbar: Mach uns keine Schande!
Über Safranraviolo an Wildtierschäumen sinken wir ins Gespräch. Es geht um
Jagden – in solchen Erzählungen schwelgen sie, die Jagdscheininhaber,
Jagdpächter, Jagdverpächter, Großwildjäger, Trophäenliebhaber und
Selbstschlachter. Meine Wahrheit indes ist, dass der Anblick der
Jagdstrecke, des am Boden aufgereihten Todes mir unerträglich ist, seit ich
ein Kind war. Eine Einladung zur Jagd habe ich natürlich seit Jahren nicht
erhalten. Karnevaleske Autoaffirmation mit Gott für König und Vaterland ist
Wochenendbeschäftigung für Horden enteigneter Herbstfarbenträger.
Mein Onkel sagt: „Eine gute Frau kann auch mal einen Bock schießen und
selbst ausnehmen. Eine gute Frau hat auch mal Dreck in der Fassung ihres
Siegelrings.“
Trotz rund 40.000 adliger Männer in Deutschland habe ich erst ein Mal mit
einem Standesgenossen geknutscht. Wir trafen uns auf einem Ball, doch statt
nett miteinander zu tanzen und das Entzücken in Großmutters Augen zu
wecken, hatten wir Sex in dem VW-Bus, mit dem er und seine Freunde aus der
Burschenschaft angereist waren. Danach richteten wir auf der Rückbank
unsere Kleider und sprachen nie wieder miteinander.
## Erziehung zur Lady Di
Im Dunstkreis dieses Balls würde ich auch die Frau wiedertreffen, bei der
ich als Kind einige Jahre lebte. Sie wird meine Ziehmutter genannt, weil
sie mich ersatzweise erzog. Und maßregelte und zurechtwies und
zurechtstutzte. Sie versucht mit Lockenwicklern und sehnsuchtsvoller
Grandezza noch heute wie Lady Di auszusehen.
Ihre steten Ermahnungen, ich möge nicht wie ein Äffchen, nicht wie
Lieselotte Pumpe, nicht wie eine Schlampe herumlaufen, sondern mich meiner
Rolle als Repräsentantin der Aristokratie entsprechend benehmen, endete in
Resignation. Sie sagte: „Ich habe zwei Jahre lang versucht, einen guten
Kerl aus dir zu machen, aber wenn ich dich ansehe, erkenne ich, dass das
alles umsonst war.“
Widerworte schrieb ich in mein Tagebuch. Und ich fing an, die einfachen
Leute zu romantisieren, die Lieselotte Pumpes der Welt, von denen ich mich
abgrenzen sollte, weil uns angeblich etwas unterschied. Ich sehnte mich
nach dem Rinnstein der Freiheit. Als Teenager lebte ich wieder bei meiner
Familie, wo mir erlaubt war, mich zu kleiden und frisieren, wie es mir
gefiel. Das ist unüblich.
Die optische Einheitlichkeit beginnt in der Wiege. Anständig sind Hemd oder
Bluse, bloß kein nackter Hals. Keine grellen Farben, aber Matrosenanzüge an
Kleinkindern; ach des Kaiserreichs glorreiche Flotte. Goldene Stretchhosen
und Kunsthaar-Rastazöpfe haben beim großen Sommerfest im kleinen
Wasserschloss nichts verloren. Man hielt mich ungeachtet meiner
geschliffenen Umgangsformen für das Au-pair-Mädchen meiner Mutter. Ich
wiederum dachte damals, ich erkenne ein Adelskind aus 200 Metern
Entfernung. Denn alle sehen gleich aus. Es gibt keine Mode, sondern einen
Kanon der Formen, aus dem zitiert wird.
## Konkrete Codes
Ein Blender bräuchte eine aufrechte Haltung, Manieren, den Gebrauch des
Präteritums, die Vermeidung bestimmter Begriffe. Also nicht sagen: „Das
erbte ich von meiner Oma.“ Niemand nennt seine Großmutter „Oma“. Schneid…
jemand eine Kartoffel mit dem Messer oder entschuldigt sich, weil er auf
die „Toilette“ muss, liegt die Abwesenheit von Schliff offen. Kartoffeln
bricht man mit der Gabel und der Ort heißt „Klo“.
Treffe ich Menschen, die die Codes wie besessen pflegen, stellen sie sich
oft als Burschenschaftler heraus, mit Ernst-Jünger-Buch in der Innentasche
der Wachsjacke, gleich am Herzen, solche, die vom „ehrenhaften Tod durch
Erschießen“ faseln. Sie wollen nach oben oder oben bleiben.
Wer wirklich von innerer Haltung ist, der tritt bescheiden auf, scheut
nicht die Arbeit, der pflegt seine Gemeinschaft, handelt karitativ, bemüht
sich um Gedeih. Wie der Jäger euphemistisch Wildpfleger genannt wird, so
hegt der Hochgeborene die einfachen Leute. Wir müssen Vorbild sein, heißt
es. Den höchsten Anspruch an uns selbst haben.
Jene gegen uns selbst gerichtete Strenge gilt aber auch den anderen, und
sie verwandelt sich schnell in Überheblichkeit, Verbitterung und
Entfremdung. Wo gesellschaftliche Veränderungen die dynastische Kontinuität
bedrohen, erstarren Lebensumstände zu Zwängen.
## Leben unter sich
Witze über rückständige Landadlige in klappernden Karren zu machen, ist
wenig mühevoll. Je größer der materielle Verlust und dadurch bedingte
Ansehensschwund, umso fester wird der Siegelring auf den Finger geschraubt.
Eine Freundin sagt: „Die Männer haben Schulden und die Frauen sitzen zu
Hause und füttern ihre neun Kinder vom Ikea-Löffel. Kein Geld für die neue
Waschmaschine, aber schön unter sich bleiben wollen.“
Zu Hause, hinter Zugbrücken, wo wir unter uns waren, glaubte ich mangels
Umgang mit Dorfkindern noch, da sei etwas anders bei denen, deren Vorfahren
nie in Rüstung den Hügel verteidigten. Inzwischen sorge ich mich eher um
all die Kinder auf Hügeln, die jungen Namensträger, die in solch ein
Gedankenkorsett hineingeboren werden, das abzulegen so häufig erst einmal
den Bruch mit der Familie erfordert.
Zum Glück besuchte ich kein Internat. Ein abtrünniger Onkel riet mir, Orte
zu meiden, an denen ich auf mehr als zwei Prinzessinnen treffen könnte.
Segensreich war die ostwestfälische Provinz.
Kiffend in Gartenhütten abhängen, Metal hören, über Wrestling und Mopeds
reden war für meine Freunde aus strengen katholischen Familien genauso
befreiend wie für mich, auch wenn es an tiefem gegenseitigem Verständnis
mangelte: Die Autorität, die es niederzuringen galt, war dem jeweils
anderen zu abstrakt.
## Fesseln der Familie
Ob ich mit dem englischen Königshaus verwandt sei, fragte mich ein Mädchen
– als sei der europäische Adel ein Kreis aus 200 Personen. Dabei hatte fast
jedes Dörfchen seinen Junker.
Auch die Guttenbergs haben einen Hügel, Karl-Theodor war kurz Deutschlands
fleischgewordener Arztroman. E stürzte über die Erwartung, seiner Familie
gerecht zu werden. Nur keine Schande machen. Ich hörte die ganze Kindheit
hindurch: „Wenn deine Vorfahren dich sehen könnten, sie würden sich im Grab
umdrehen.“
Die Mär vom guten Betragen ist mir Gewissheit geworden. Ich glaube, dass
wir Menschen gut zueinander sein, dass wir uns den Himmel auf Erden
bereiten können.
Ich sitze beim Abendessen und würde so gern aufstehen, eine Rede halten:
„Liebe Standesgenossen: „Das war’s. Ich leiste keine guten Werke an
Schutzbefohlenen, die einen gesellschaftlichen Stand rechtfertigten. Ihr
übrigens auch nicht. Bauen wir ab. Fangen wir etwas Neues an!“ Aber ich
schweige. Dies ist meine Familie. Sie hat mich gut erzogen.
14 Jan 2014
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