# taz.de -- Weltwirtschaftsforum in Davos: Junge, wilde Weltelite | |
> Beim Weltwirtschaftsforum treffen sich die mächtigsten Konzerneliten und | |
> neuerdings auch junge Kreative, die eine bessere Welt wollen. | |
Bild: Die Alten haben ausgedient – US-Außenminister John Kerry und Gründer … | |
DAVOS taz | Mit gerade mal elf Jahren hat Apurv Mishra seine erste | |
Erfindung gemacht. Es war ein kleiner Stift, den man leicht am Hals einer | |
Flasche befestigen konnte. Auf das Kinn des Durstigen aufgesetzt, | |
gewährleistet dieser Abstandshalter, dass die Flasche nicht mit dem Mund in | |
Kontakt kommt – ein Schutz gegen die Übertragung von Krankheiten. | |
Jetzt sitzt Mishra in der Bar des Hotels Schweizerhof in Davos. Der junge | |
Inder ist eingeladen vom Weltwirtschaftsforum (WEF), dem Club der größten | |
Konzerne des Globus. Es gibt wohl kaum eine andere Veranstaltung, zu der | |
mehr Vertreter der Wirtschafts- und Politikelite erscheinen. Mishra mit dem | |
sanften Händedruck scheint hier nicht so richtig reinzupassen. | |
Mit 14 Jahren entwickelte Mishra für seinen Opa, der an Paralyse litt und | |
sich kaum bewegen konnte, ein Brillengestell ohne Gläser, das mit Sensoren | |
die Stirnmuskeln abtastete und mit einem Display verbunden war. Sein | |
Großvater konnte sich nun also mit seiner Familie mittels der Bewegung | |
seiner Augenbrauen verständigen. Für sein Gerät erhielt Mishra ein | |
US-Patent. Der Computerkonzern Intel wurde auf ihn aufmerksam. In Serie | |
hergestellt und verkauft wurde es aber trotzdem nicht. | |
Trotzdem freut Mishra sich wie ein Kind, wenn er von diesem Apparat und | |
seinen weiteren Plänen berichtet: „Mein Traum ist es, dass Menschen mittels | |
Technologie zusätzliche Fähigkeiten erwerben.“ Er beschreibt sich als | |
„passionate“, als leidenschaftlicher Arbeiter. Tatsächlich kann man ihn | |
fast immer auf Skype erreichen, auch wenn es an seinem Wohnort vier Uhr | |
morgens ist. Leute, die es wissen müssen, glauben an Mishras Potenzial. So | |
bekommt er Förderdollars von einem Fonds, in dem Geld der US-Familie Draper | |
steckt, die auch die Entwicklung der Tesla-Elektro-Autos mitfinanzierte. | |
## Heute arbeitet Mishra im Silicon Valley | |
Mishra ist mittlerweile 23 Jahre alt. Er hat Indien verlassen und arbeitet | |
in San Mateo im kalifornischen Silicon Valley. Bald soll endlich eine | |
seiner Erfindungen auf den Markt kommen: Gloveo, ein kleiner, | |
umschnallbarer, knapp 100 Dollar teurer Sensor, der Körperbewegungen | |
registriert. An der Hand des Karate-Schülers befestigt, kann das Gerät | |
mitteilen, ob der Handkantenschlag richtig ausgeführt wurde. Unfallopfer | |
könnten mithilfe von Gloveo die Bewegungen ihrer Gliedmaßen neu erlernen, | |
sagt Mishra. Ob Gloveo das nächste heiße Ding der Hightech-Branche wird? | |
Wer weiß das schon. | |
Dass Leute wie Apurv Mishra aus aller Welt zum WEF eingeladen werden, bei | |
freier Kost, Logie und anderen Annehmlichkeiten, ist ein relativ neues | |
Phänomen; der Wirtschaftsgipfel von Davos hat sich verändert. Früher trafen | |
sich hier nur die wirklich Mächtigen, die Vorstandsvorsitzenden und | |
Politiker jenseits der 60. | |
Zu Beginn der Jahrtausendwende gab es heftige Auseinandersetzungen in dem | |
beschauliche Bergstädtchen. Jungsozialisten, Autonome, Anarchisten und | |
Gewerkschafter forderten die Elite heraus. Sie wollten in Davos gegen das | |
WEF demonstrieren. Die Polizei verhinderte das mit Gummigeschossen. | |
Weltweit formierte sich damals eine globalisierungskritische | |
Protestbewegung, in Frankreich entstand die Organisation Attac und im | |
brasilianischen Porto Alegre das Weltsozialforum – die globale | |
Gegenveranstaltung zu Davos. | |
## Die jungen Kreativen treten als globale Gestalter auf | |
Deshalb mussten sich die Macher des WEF um Klaus Schwab in Genf bewegen, | |
wollten sie nicht als stur und kritikresistent dastehen. Und also öffneten | |
sie das Forum: Ehrgeizige junge Leute wurden ausfindig gemacht, | |
mittlerweile sind es 3.000. Sie wurden „Global Shapers“ – globale Gestalt… | |
– genannt. Apurv Mishra ist einer von ihnen. | |
Diese Youngster sind so neugierig wie mutig. Auf eine sympathische Art | |
meinen sie, das Individuum könne quasi alles schaffen, egal wie mies seine | |
Ausgangsposition ist. Die Shapers sind keine Schluffis, sie wollen Karriere | |
machen, indem sie ihr eigenes Leben in die Hand nehmen. Fast alle streben | |
danach, ein Besseres für die Gemeinschaft zu erreichen. Und viele stellen | |
die herrschende Ordnung infrage, wenngleich nicht in einem primär | |
politischen Sinn. | |
Doreen Noni aus Daressalam, der Hauptstadt Tansanias, muss erst mal | |
überlegen, wenn sie gefragt wird, ob ihre Tätigkeit, für die sie Global | |
Shaperin geworden ist, die Gesellschaft ihres Heimatlandes verändern wird. | |
Sie ist 24 Jahre, hat einen Abschluss für Multimediadesign einer britischen | |
Universität, betreibt eine Produktionsfirma für Werbefilme und entwirft | |
Mode für ihr eigenes Label, das Eskado Bird heißt. | |
Unlängst, erzählt sie, hat sie mit ihrer Geschäftspartnerin eine neue | |
Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, bei der 20 junge Tansanierinnen mit | |
einer einheimischen Bankerin zusammentrafen. Eine Art Karriereberatung für | |
die Berufsanfängerinnen. Das Ziel: Frauennetzwerke stärken. | |
Außerdem gründet Noni gerade eine Stiftung, eine selbstorganisierte Schule | |
für bildende Kunst, auf die sie später junge Landsleute einladen will. Ihr | |
Motto: „Wenn du einen Traum hast, versuche ihn zu verwirklichen“. Sie sagt: | |
„Ich möchte, dass jedes Kind die Chance hat zu träumen.“ Ist das politisc… | |
Sicher in dem Sinne, dass selbstbewusste, aufgeklärte, junge Leute | |
Althergebrachtes infrage stellen und damit potenziell auch Institutionen | |
und Regierungen herausfordern. | |
## Mit konstruktivem Störfeuer gegen das Establishment | |
Indem das WEF solche Leute einlädt, riskiert die Organisation, dass ihr | |
eigenes Motto „Den Zustand der Welt verbessern“ vielleicht doch mal ein | |
wenig Realität wird. WEF-Sprecher Georg Schmitt sagt: „50 Prozent der | |
Weltbevölkerung sind jünger als 27 Jahre alt. In internationalen | |
Organisationen, in Politik und Wirtschaft sind sie jedoch krass | |
unterrepräsentiert. Um diesen Gegensatz aufzulösen und die etablierten | |
Entscheider aus Politik und Wirtschaft unter ein konstruktives Störfeuer zu | |
nehmen, hat das Forum die Shapers ins Leben gerufen.“ | |
Andreas Cassee (31) allerdings ist dieser Ansatz viel zu wenig | |
grundsätzlich. Auch er gehört zum WEF von Davos – als Gegenpart. An der | |
Universität Zürich hat er gerade seine Dissertation im Fach Philosophie | |
abgegeben. Vor 15 Jahren demonstrierte Cassee gegen das Forum. Nun ist er | |
Mitglied der Jury des Public-Eye-Award, des Negativ-Preises für | |
unverantwortliches Unternehmensverhalten, den dieses Jahr der russische | |
Staatskonzern Gazprom für Umweltsünden bei der Erdölförderung erhielt. | |
Cassee ist ein scharfer Kritiker der Konzerne. Ihr alljährliches Treffen in | |
den verschneiten Graubündener Alpen ist ihm und seinen Mitstreitern ein | |
willkommener Anlass, das eigene Anliegen zu transportieren. Genug Medien | |
sind auch da. Die Negativ-Auszeichnung und das öffentliche Anprangern | |
versteht Cassee als Nadelstiche, um die Unternehmen unter Druck zu setzen – | |
Schritte auf dem Weg zu besseren internationalen Regularien, die die | |
Konzerne bändigen könnten. „Die Politik sollte das Primat über die | |
Wirtschaft zurückgewinnen,“ sagt der Kritiker. Eine Forderung, die im | |
großen Versammlungssaal des Kongresszentrums von Davos wohl keine Mehrheit | |
findet. | |
24 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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