# taz.de -- Weltwirtschaftsforum in Davos: Spagat zwischen Reich und Arm | |
> In Davos nimmt man sich dieses Jahr der zunehmenden sozialen Spaltung an. | |
> Ein Lösungsansatz wird ausgespart: die Steuerpolitik. | |
Bild: Vernetzt: ein Mann macht ein Bild im Kongresscenter in Davos. | |
Manche Leute wissen nicht, wohin mit ihren Millionen und Milliarden. | |
Flugunternehmer Richard Branson hat einen Raumfahrtbahnhof in die Wüste von | |
New Mexico bauen lassen, der nun leer steht. Elon Musk, Mitgründer des | |
Bezahldienstes Paypal, arbeitet am Bau einer Vakuumröhre, durch die | |
Menschen 1.200 Stundenkilometer schnell reisen sollen. Mit sehr viel Geld | |
ist sehr viel möglich, manchmal. | |
Einige der Superreichen kommen ab Mittwoch wieder zum Weltwirtschaftsforum | |
(World Economic Forum, WEF) nach Davos. Auch von ihrer Anwesenheit lebt die | |
Veranstaltung, die zum 45. Mal in dem Schweizer Bergort stattfindet. Die | |
Milliardäre lassen sich für ihre Ideen und Erfolge feiern – und für ihre | |
Wohltätigkeit. PolitikerInnen wie Angela Merkel reisen an, um an die | |
Wirtschaftselite, die Manager, Banker und Investoren gezielte Botschaften | |
zu richten. | |
Gerade jetzt aber bedeutet dieser Charakter des WEF für die Organisatoren | |
eine besondere Herausforderung. Denn eines der großen weltpolitischen | |
Themen ist die zunehmende Ungleichheit zwischen Reich und Arm. Aufs Neue | |
initiiert hat diese Debatte der französische Ökonom Thomas Piketty mit | |
seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Davos muss nun der Spagat | |
gelingen, die oberen Zehntausend zu hofieren, sich im selben Augenblick | |
aber von ihnen zu distanzieren. Im Sinne des Anspruchs des Forums, „den | |
Zustand der Welt zu verbessern“, will man dem Thema der sozialen Spaltung | |
nicht ausweichen. | |
## „Piketty ernst nehmen“ | |
„Wachsende Ungleichheit würde eine der gängigsten Annahmen über unsere | |
Wirtschaft infrage stellen: dass Wachstum für Wohlstand für alle sorgt“, | |
schrieb Philipp Rösler, früherer FDP-Wirtschaftsminister und jetzt | |
WEF-Manager, kürzlich in einem Zeitungsartikel mit der Überschrift „Piketty | |
ernst nehmen“. Und Programmdirektor Sebastian Buckup zählt eine Reihe von | |
Diskussionsveranstaltungen auf, die sich mit Ungleichheit beschäftigen. | |
Piketty selbst war auch eingeladen, doch er sagte ab. Seine Thesen stehen | |
trotzdem im Raum. Der wesentliche Punkt: Die Kapitalrendite habe weltweit | |
bis etwa 1910 immer über der Wachstumsrate gelegen – und deshalb wuchsen | |
die Einkommen und Vermögen der Reichen immer schneller als die der normalen | |
Leute, deren Verdienst an das Wirtschaftswachstum gekoppelt ist. Durch die | |
Weltkriege und die Etablierung der westlichen Sozialstaaten, so Piketty, | |
habe sich dieses Verhältnis bis in die 1970er Jahre umgekehrt: Erstmals | |
stiegen die Löhne schneller als die Kapitaleinkommen. | |
## Milliardäre binnen weniger Jahren | |
Seither aber droht die Rückkehr der alten Verhältnisse, auch wegen der | |
starken Zunahme extrem hoher Verdienste. So nehmen Investmentbanker und | |
Konzernvorstände schon mal 20 Millionen Euro jährlich mit nach Hause, junge | |
Firmenchefs wie Facebook-Gründer Marc Zuckerberg werden binnen weniger | |
Jahren Milliardäre. | |
Diese Entwicklung macht sich auch in Deutschland bemerkbar. Der Abstand | |
zwischen den Einkommen der Armen und der Mittelschicht einerseits und dem | |
der Reichen wird größer. Laut Markus Grabka vom Deutschen Institut für | |
Wirtschaftsforschung habe seit 2002 „vor allem die Gruppe der höchsten | |
Einkommensbezieher überdurchschnittliche Zuwächse erzielt“. | |
## Gefahr für die geltende Wirtschaftsordnung? | |
So kann „die Legitimation der geltenden Wirtschaftsordnung verloren gehen“, | |
weiß Rösler. Im Namen des WEF plädiert er deshalb für „inklusives | |
Wachstum“: Ungleichheit soll bekämpft werden, indem möglichst viele | |
Menschen „bessere Bildungs-, Aufstiegs- und Teilhabechancen“ bekommen. Gute | |
Schulen, Universitäten und vernünftig bezahlte Arbeitsplätze führten dazu, | |
dass die Einkommen der Bevölkerungsmehrheit langfristig stärker steigen und | |
sich der Abstand zu den Superreichen verringert. | |
WEF-Programmdirektor Buckup sieht eine Chance darin, dass sich der | |
technische Fortschritt im Zuge der Digitalisierung beschleunige, wodurch | |
die Produktivität der Unternehmen und Arbeitskräfte steige und diese dann | |
mehr verdienten. Auch er betont die Wichtigkeit guter Ausbildung. Diese | |
Vision kann aber nur funktionieren, wenn durch die Digitalisierung mehr | |
vernünftig bezahlte Arbeitsplätze neu entstehen als vernichtet werden. Ist | |
inklusives Wachstum also alles? Nicht ganz. Buckup sagt: „Zuallererst | |
brauchen wir Wachstum. Aber richtig ist auch, dass damit die | |
Verteilungsprobleme noch nicht gelöst sind.“ | |
Eine wesentliche Konsequenz allerdings lässt das Forum weitgehend | |
unbeachtet. Piketty plädiert ja dafür, die extrem steigenden Einkommen und | |
Vermögen der Superreichen durch hohe Steuern einzuebnen, und schlägt | |
progressive Abgaben vor, die 80 Prozent des jährlichen Zugewinns der Elite | |
konfiszieren sollen. Dass solche Ideen bei den Besuchern des | |
Weltwirtschaftsforums wenig Anklang finden, verwundert nicht. So kommt im | |
Programm das Thema Steuerpolitik nicht einmal vor. | |
20 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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