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# taz.de -- Berufliche Zukunft für Journalisten: Pesto statt Politik
> Das Ende der „Financial Times Deutschland“ und der dapd hat Hunderte
> Journalistinnen und Journalisten vor die Frage gestellt: Was jetzt?
Bild: Stefan Uhlmann, Ex-dapd-Politikchef in seinem Feinkostladen.
Die Welt von Stefan Uhlmann ist kleiner geworden. Von seiner Wohnung in
Pankow bis zu seinem Laden „Gourmet Flair“, zwischen der Stadtteilkirche
und dem Schloss Niederschönhausen, sind es nur zwei Kilometer. Washington,
D. C. und selbst der Bundestag sind weit weg. Uhlmann steht hinter dem
Tresen, im Hintergrund läuft belanglose Radiomusik.
Sein Leben ist entschleunigt, auch wenn er das Wort nicht mag. „Nicht immer
diese Gedanken schon am Frühstückstisch, was die Themen des Tages sein
könnten, wie man sie weiterspinnen kann, welche Aufträge in der Redaktion
verteilt werden müssen.“ Jetzt liest er morgens entspannt Zeitung und
schließt kurz vor 10 Uhr die Tür zu seinem Laden auf.
Vor dem Ende der Nachrichtenagentur dapd war Stefan Uhlmann mit der
Kanzlerin im Weißen Haus und in Afghanistan, später leitete er zusammen mit
einem Kollegen das Politikressort der Agentur. Jetzt verkauft er
mediterrane Delikatessen. Öl aus Griechenland, Liköre und Wein, Pasta und
Pesto. Bald sollen regionale Produkte aus Berlin dazukommen.
Seine Lebenspartnerin hat ein ähnliches Geschäft in Tegel, Uhlmann kannte
das Konzept und das Sortiment, er wusste, wie welches Öl schmeckt, auf
welchem Olivenhain in Kreta es wächst, er war sogar schon dort und hat die
Bäume begutachtet. „Der Schritt war irgendwie logisch, als klar war, ich
finde nicht den Job im Journalismus, den ich haben will.“ Gerade 50
geworden, 24 Jahre Agenturerfahrung, Führungsqualität. Am Ende fehlte das
richtige Angebot oder die eigene Internetaffinität. „Ich dachte, vielleicht
ist jetzt genau die Zeit, nochmal etwas ganz Neues zu versuchen.“ Der
Gründungszuschuss hilft im ersten halben Jahr, auch das finanzielle
Polster, das er die letzten Jahre beiseite gelegt hat. Was ihm fehlt? „Die
Kollegen“, sagt er. Es sei ungewohnt, alleine zu arbeiten.
## Kein überzeugendes Modell
Die vergangenen zwei Jahre geben viele Geschichten über das Vorher und das
Nachher von Medienunternehmen her: Der Verlag Gruner+Jahr verkündete das
Ende der Financial Times Deutschland, die Zentral- und die Lokalredaktionen
der Westfälischen Rundschau wurden geschlossen, die Frankfurter Rundschau
ist nur noch ein Teil der FAZ, die erst 2010 gegründete Nachrichtenagentur
dapd ging zwei Mal in die Insolvenz. Die letzte Pleite bedeutete das Aus.
Bei der dapd waren knapp 300 Mitarbeiter betroffen, bei der FTD waren es um
die 360. Hunderte Journalisten, gleichzeitig ohne Job.
Die Auflagen sinken seit Jahren. Die deutschen Verlage suchen nach Wegen,
mit digitalen Inhalten Geld zu verdienen – bisher aber fehlt ein
überzeugendes Modell. Die Verluste führen zu Umstrukturierungen und am Ende
zu Entlassungen. Einige JournalistInnen finden neue Jobs in anderen
Redaktionen, andere gehen in die Öffentlichkeitsarbeit, wieder andere
entscheiden sich nach dem Aus für einen ganz neuen Weg. Die vergangenen
zwei Jahre geben auch viele Geschichten über das Vorher und das Nachher von
Journalistinnen und Journalisten her.
Teresa Goebbels hat vor dem Ende der FTD lange Texte und Porträts
geschrieben, meistens über IT-Unternehmen. Sie hat bei der
Wirtschaftszeitung volontiert, einige Jahre dort und später dann beim
Magazin Impulse gearbeitet. Inzwischen vertreibt sie kleine Tartes im
Internet, verpackt in Schachteln und mit einem Spruch oder einem Brief
dazu. Ein literarisches Kuchengeschenk.
## Glückskekse für alle
Ihre Geschäftsidee entstand in einer Mittagspause, als schon absehbar war,
dass es die FTD nicht mehr lange geben wird. Ein Kollege kaufte Glückskekse
für alle, zur Aufmunterung. „Ich mag Glückskekse, das ist eine schöne
Idee“, sagt die 30-Jährige. „Allerdings schmecken die Kekse nicht besonders
gut, und auch die Sprüche sind wenig originell.“ Sie dachte an ihr
Zitatebuch. „Ich habe mir seit Jahren schöne Sätze aus Artikeln und Büchern
aufgeschrieben.“ Es sind viele. Daraus hat sich die Idee für den
Internetvertrieb von „Tarte Novelle“ ([1][www.tartenovelle.de]) entwickelt.
Wie Glückskekse, nur hochwertiger und persönlicher.
„Ich habe lange auf dem Einfall herumgekaut“, sagt Goebbels. „Mit meinem
alten Job hat das ja gar nichts zu tun. Das war schon seltsam und zunächst
eher eine Schnapsidee.“ Losgelassen hat sie die Idee aber nicht – den
Tarte-Vertrieb gibt es seit vergangenen Oktober.
Eine Hamburger Bäckerei backt jetzt die kleinen Törtchen, Teresa Goebbels
verpackt sie, dazu ein Zitat, ein Spruch oder ein kleiner Brief – und dann
per Post an den Adressaten. Noch kann sie nicht davon leben, ab und zu
schreibt sie PR-Texte für einen Freund, auch bei ihr hilft der
Gründungszuschuss von der Bundesagentur für Arbeit durch die ersten Monate.
Sie sitzt in einem Gemeinschaftsbüro, auch weil es schöner ist, wenn da
noch jemand ist, sagt sie. Goebbels hofft, dass der Umsatz so gut wird, wie
letzten Dezember. „Das Weihnachtsgeschäft lief super.“
## Verrat an der guten Sache?
Journalisten sind eigen, wenn es um ihren Job geht. Etwas anderes zu
machen, als das, wofür man brennt, vielleicht sogar PR, das ist für viele
wie Verrat an dem, was man liebt. Journalisten hängen an ihren Jobs, es ist
für viele mehr als nur ein Weg, um Geld zu verdienen. Er ist Leidenschaft –
und hört meist nicht auf, wenn man das Büro verlässt. Einfach etwas anderes
zu machen, ist zumeist ein großer Schritt.
Vor dem Aus der FTD hat Volker Bormann als Teamleiter die Sonderbeilagen
der Zeitung verantwortet. Ideen gesponnen, Konzepte erarbeitet, Texte
bestellt. Themen, die sonst in der Zeitung wenig Platz gefunden haben.
Grüne Technik oder Genossenschaften, zum Beispiel. Jetzt ist er zweifach
zertifizierter Coach und Berater und hilft Unternehmen auf die Beine.
## Wirtschaft machen
„Ich hatte den Traum schon lange“, sagt Volker Bormann. „Das hat sich üb…
Jahre in meinem Kopf festgesetzt.“ Nicht nur über Wirtschaft schreiben,
sondern selbst Wirtschaft machen. Als Coach und Berater. Getraut hat er
sich nicht. „Das Ende der Financial Times war für mich der Tritt in den
Hintern, den ich gebraucht habe, um das endlich anzugehen“, sagt er. Also
hat sich Bormann im vergangenen Jahr in Hamburg zum Coach ausbilden lassen,
knapp 8.000 Euro hat das gekostet, bezahlt von der Abfindung und einem
Zuschuss der Transfergesellschaft, die der Verlag Gruner+Jahr nach dem Ende
der Zeitung eingerichtet hatte.
Im März soll die Firma starten, gerade arbeitet Bormann an seiner Website.
Der 52-Jährige fragt sich manchmal, ob er sich gut selbst verkaufen kann
und genügend Aufträge bekommt. „Das ist jetzt die große Herausforderung.“
Die Branche immerhin, die kennt er. „Ich weiß, wie Unternehmen ticken, wo
die Probleme liegen, womit sich Chefs befassen.“ Dazu kommt: Zuhören
können, die richtigen Fragen stellen, Probleme erkennen. Alles Dinge, die
Bormann kann, weil er als Journalist jahrelang nichts anderes machte. Mit
dem Unterschied, dass es jetzt nicht mehr darum geht, etwas
herauszubekommen, sondern dem Kunden zu helfen.
Am Ende bleibt der Journalist aber doch Journalist. Dann zum Beispiel, wenn
auf dem Telefon von Uhlmann eine Eilmeldung aufploppt. Die bekommt er immer
noch. Es piept. Uhlmann greift sofort zum Handy.
9 Feb 2014
## LINKS
[1] http://www.tartenovelle.de
## AUTOREN
Steffi Dobmeier
## TAGS
Journalismus
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