# taz.de -- Die Ü-30-Siegerkaste in Sotschi: Renaissance der alten Säcke | |
> Ole Einar Björndalens Gold im Biathlon gibt auch den vielen anderen | |
> Senioren dieser Spiele die Richtung vor: Dabei sein ist nichts, gewinnen | |
> ist alles. | |
Bild: Auf dem Weg zum goldenen Karriereabend: Ole Einar Björndalen. | |
Schon Anfang des Jahres, bei den Weltcups in Oberhof und Antholz, schickte | |
er seinen ewigen Nachfolgern diese Botschaft: Ich bin immer noch da und | |
laufe nicht nur mit. Mit zwei zweiten Plätzen und einem dritten Rang fast | |
unmittelbar vor der Abreise nach Sotschi deutete er Anwartschaften auf | |
olympische Medaillen an. Aber Gold wie am Sonnabend in Krasnaja Poljana? | |
War reserviert für die beiden momentanen Götter des Biathlons, den | |
Franzosen Martin Fourcade und den Norweger Emil Hegle Svendsen. Doch die | |
wurden nur Sechster und Neunter. | |
Für Björndalen, der seit 1998 in Nagano Olympiamedaillen sammelt, könnte | |
bei glücklichen Umständen das begehrte Metall wohl nur in einer der | |
Staffeln abfallen. Mit 40 Jahren, wie Björndalen, kann ein Sieg über die | |
Jüngeren nicht mehr möglich sein. Auch im Biathlon zählen Athletik und | |
Ausdauer – Fähigkeiten, die in den meisten Sportarten nur jungerwachsene | |
Menschen bestens entfalten können. | |
Das Demütigende für Svendsen und Fourcade nach dem Sprintrennen, bei dem | |
ebendieser, salopp gesagt, alte Sack sie besiegte, war jedoch, dass sie | |
beide sich nicht auf Havarien am Schießstand herausreden konnten. | |
Björndalen hat sie auch bei der Laufzeit hinter sich gelassen, und das | |
nicht einmal knapp. | |
Wer des Norwegers Performance gesehen hat, muss erkannt haben, dass da | |
einer nicht gemütlich im Rahmen eines gepflegten Altenteils vor sich hin | |
stapft. Im Gegenteil: Björndalen lief wie vor 15 Jahren im disziplinierten | |
Aggressionsmodus. Kalt und präzise spulte er seine vorzügliche Form | |
herunter. Er scheint in der Verfassung seines Lebens: 40 Jahre und noch | |
immer nicht satt am Erfolg. | |
## Erfolgsreichster Olympionike Norwegens | |
Sollte er am Montagnachmittag das Verfolgungsrennen auch noch gewinnen oder | |
würde als Teil der norwegischen Männerstaffel siegen, hätte er nicht allein | |
seinen Landsmann Björn Dählie als erfolgreichsten Olympioniken Norwegens | |
überholt, er wäre vielmehr auch der erfolgreichste überhaupt. Bis jetzt | |
sind es sieben Goldene, vier Silberne und eine Bronzene – acht goldene hat | |
Dählie, das Langlaufwunder der 90er Jahre. | |
Natürlich ist Björndalens Erfolg kein Zufall. Er war immer das Gegenteil | |
eines Popstars, das Einzige, was ihn befriedigte, waren Erfolge in den | |
Loipen. Er hat sich seinem Sport in einer Weise gewidmet, die man nur | |
wissenschaftlich nennen kann. | |
Björndalen ist in dieser Hinsicht kein Solitär. In Sotschi laufen Figuren | |
wie er fast rudelweise herum. Der italienische Langläufer Giorgio di Centa, | |
41 Jahre, lief gestern im Skiathlon bis zum Schluss an der Spitze mit; | |
Rodler Albert Demtschenko aus Russland, 42, weiß so gut zu rodeln wie kaum | |
ein anderer; Bobpilot Beat Hefti aus der Schweiz ist mit 36 Jahren auch | |
nicht gerade ein Teenie, sein Kollege Steven Holcomb, 33, ebenso wenig. | |
Goldmedaillengewinnerin Marit Björgen aus Norwegen hat 33 Jahre auf dem | |
Buckel, Biathletin Andrea Henkel ist mit 36 Jahren auch eine ziemlich | |
erwachsene Frau; Claudia Pechstein, 41 Jahre, lässt die meisten der | |
Jüngeren gleichfalls hinter sich. Und Skispringer Noriaki Kasai, 41, nimmt | |
sich gegen das Gros der anämisch wirkenden Jungs seiner Disziplin, dürr und | |
flugtüchtig, aus wie ein alter Adler, dem man die Jahre tatsächlich auch | |
ansieht – dass er Gold gewinnen kann, steht außer Frage. | |
## Mädels, die Sprint trainieren und Mehrkampf laufen | |
Sie alle eint, dass sie ihre Disziplinen bis in allerletzten Verästelungen | |
durchdrungen haben – sich selbst, körperlich und auch im Hinblick auf ihre | |
Sportgeräte. Sie sind auf coole Art dabei, weil sie sich konzentrieren | |
können. Wie sagte Claudia Pechstein einst über den Nachwuchs, der ihr nur | |
hinterherschrabt? „Bei den meisten fehlt es an der grundsätzlichen | |
Einstellung, sich quälen zu wollen. Manche Wettkämpfe werden weggelassen, | |
weil die Belastung angeblich zu hoch ist. Teilweise wissen sie scheinbar | |
selbst nicht, was sie wollen.“ Es gibt Mädels, die Sprint trainieren und | |
Mehrkampf laufen. Da weiß jeder Laie, dass das nicht funktioniert. | |
Nein, Laien sind weder Pechstein noch Björndalen oder all die anderen, die | |
in einem Alter, das landläufigen Vorstellungen nach körperlich-sportlichen | |
Höchstleistungen eher widerspricht, wissen, was in ihren Sportarten gewusst | |
werden muss. Marit Björgen teilte, allzu logisch, gestern mit, sie plane | |
langfristig Pyeongchang 2018, vielleicht sogar die Winterspiele von 2022 | |
könnte sie sich vorstellen – nur die Motivation müsse stimmen. | |
Die Alten würden natürlich in keine Variante von irgendwelchen | |
Top-Model-Shows passen, sie haben keine Passionen um Modisches oder | |
Juvenilität entwickelt – sie wollen nur besser als alle Moden sein, vor | |
allem die der Jugend. Björndalen, der für seinen Sport selbst so etwas wie | |
ein kleinbürgerliches Privatleben (Beziehung, Ehe, Kinder etc.) nur | |
manchmal, aber langweilend entwickelt hat, sagte nach seinem Goldrennen am | |
Samstag nur lapidar: „Das war für mich heute das beste Rennen in dieser | |
Saison. Ich habe die beste Form.“ | |
10 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Sotschi 2014 | |
Ole Einar Björndalen | |
Biathlon | |
Senioren | |
Claudia Pechstein | |
Sotschi 2014 | |
Sotschi 2014 | |
Sotschi 2014 | |
Maria Höfl-Riesch | |
Sotschi 2014 | |
Sotschi 2014 | |
Sotschi 2014 | |
Sotschi 2014 | |
Sotschi 2014 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Pechsteins letzter Lauf in Sotschi: Die Nullnummer | |
Sie wollte nach ihrer Dopingaffäre endlich gewinnen. Dann wird Claudia | |
Pechstein nur Fünfte – und staunt dennoch angesichts ihres Alters über die | |
gute Zeit. | |
Biathlon-Olympiasieger Martin Fourcade: Der wahre Sportsmann | |
Martin Fourcade ist einer der besten Biathleten der Welt. Er gilt als | |
arrogant, ehrgeizig und respektlos. Dabei ist der Franzose nur ein | |
emotionaler Champion. | |
Britin Yarnold vor Gold im Skeleton: Furchtlose Bauchrutscherin | |
Die Britin Elizabeth Yarnold steht vor Gold. Sie führt die Serie von | |
Erfolgen ihres Landes im Skeleton fort – trotz schlechter | |
Trainingsbedingungen. | |
Sotschi 2014 – Super-Kombination Frauen: Gefühl schlecht – alles gut | |
Maria Höfl-Riesch verteidigt ihren Olympia-Titel in der Super-Kombination. | |
Im Slalom fährt sie noch vom fünften auf den ersten Platz vor. | |
Sotschi 2014 – Eisschnelllauf, 3000 m: Pechstein verpasst Vergeltung | |
Niemand brauchte eine Medaille so dringend wie Claudia Pechstein. Am Ende | |
wurde die Polizeimeisterin über 3.000 Meter nur Vierte. Eine Katastrophe. | |
Der einsame Weg der Claudia Pechstein: Am Ende des Schlachtplans | |
Der sture Kampf um ihr Recht hat die deutsche Eisschnelllauflegende wieder | |
stark werden lassen. Nun will sie mit 42 ihren Groll vergolden. | |
Sotschi 2014 – Biathlon 10 km Sprint: Der Triumph des alten Mannes | |
Im Sprintrennen über 10 Kilometer siegt der 40-jährige Biathlet Ole Einar | |
Björndalen aufgrund einer wahnsinnigen Laufleistung. Die Deutschen | |
enttäuschen. | |
Zehn sportliche Hingucker: Unsere Stars für Sotschi | |
Vaterlandsverräter, tierliebende Mädchen, Unaufregbare und Rebellen: Das | |
taz-Sotschi-Team stellt seine Goldkandidaten der Winterspiele vor. | |
Olympischer Gigantismus: Putins Spiele in XXL | |
Wie Russlands Präsident Wladimir Putin es schaffte, das teuerste | |
Olympia-Spektakel aller Zeiten nach Sotschi zu holen. Wer davon profitiert | |
und wer bezahlt. |