# taz.de -- Richard-Linklater-Film auf der Berlinale: Epische Langzeitbeobachtu… | |
> Über 12 Jahre wurde „Boyhood“ gedreht, er erzählt eine gesamte Jugend �… | |
> und glänzt mit einer der schönsten Frauenfiguren im US-Kino seit langem. | |
Bild: Hier ist er noch klein: Ellar Coltrane. | |
Ein Mixtape will nicht nur gut kompiliert sein – es kommt auch auf die | |
richtige Reihenfolge an. Zu seinem 15. Geburtstag bekommt Mason) eine | |
gebrannte CD mit den besten Songs von den Soloalben der Beatles-Mitglieder | |
geschenkt. Die virtuelle Reunion der größten Rockband der Welt, | |
handverlesen zusammengestellt und arrangiert für die maximale adoleszente | |
Lektion. | |
Mason ist von der pädagogischen Geste wenig begeistert, insgeheim hatte er | |
auf den zerbeulten Pontiac des Vaters spekuliert. Der holt ihn stattdessen | |
im Minivan seiner neuen Familie ab. Die Lektion: Das Leben wird mit dem | |
Alter nicht leichter. Da ist es ein schwacher Trost, dass der Großvater | |
Mason in bester texanischer Tradition zum Geburtstag die Schrotflinte aus | |
dem Familienbesitz vermacht. | |
Richard Linklaters Coming-of-Age-Film „Boyhood“ ist so etwas wie das | |
Best-of-Mixtape der „Sunrise“-Trilogie, seiner anderen epischen | |
Langzeitbeobachtung. „Boyhood“ fällt mit einer Länge von 164 Minuten um | |
einiges kürzer aus als die Trilogie, umfasst aber auch nur die zwölf | |
formativen Jahre im Leben von Mason (Ellar Coltrane) und seiner | |
(Patchwork-)Familie. | |
Linklater hat mit diesem ambitionierten Experiment der Zeit eine zentrale | |
Rolle in seinem Drehbuch überlassen. Über zwölf Jahre drehte er überwiegend | |
mit Laiendarstellern (Masons Schwester Samantha wird von Linklaters Tochter | |
Lorelei gespielt) einzelne Episoden, die sich im fertigen Film zu einem | |
natürlichen Erzählfluss fügen. Der Zuschauer verfolgt in einer | |
frappierenden Synchronität die Veränderungen im Leben der Darsteller und | |
ihrer Charaktere. | |
## Das Leben im ländlichen Texas | |
So erschließt sich von den Grundschuljahren Masons bis zu seinem | |
Collegeabschluss nicht nur eine Chronik des kulturellen Wandels im Amerika | |
der Nuller Jahre, sondern auch ein sympathisches Porträt über das Leben im | |
ländlichen Texas. Dabei bleibt Linklater nah an seinen Figuren, die | |
politischen Umbrüche werden eher en passant registriert – etwa wenn Mason, | |
Samantha und ihr Vater Obama-Plakate in der Suburbia verteilen. | |
Die Probleme, die Patricia Arquette als alleinerziehende Mutter | |
beschäftigen (auch das eine kluge Beobachtung Linklaters von der | |
Peripherie), haben mit den politischen Debatten jener Jahre nur wenig zu | |
tun. Linklater betreibt gewissermaßen Realpolitik an seinen Figuren. | |
Dass er auf die dramatischen Momente des Heranwachsens verzichtet – und | |
übergangslos durch die Jahre streift – die Ehemänner und Freunde der Mutter | |
kommen und gehen, auf jeden Lebenspartner folgt ein neuer Umzug –, kann | |
Linklater sich nur leisten, weil er einen anderen erzählerischen Horizont | |
vor Augen hat, als ihn das Hollywoodkino derzeit ermöglicht. | |
Dabei versteht es kaum ein Regisseur so versiert wie Linklater, seine | |
unsentimentalen Beobachtungen im richtigen Moment mit überreifem Pathos | |
aufzubrechen. In jedem anderen Film wäre die Lobeshymne auf Patricia | |
Arquettes Mutter am Ende von „Boyhood“ ein kitschiges Zugeständnis. Bei | |
Linklater ist es nicht weniger als die Würdigung einer der schönsten und | |
pragmatischsten Frauenfiguren im US-Kino seit verdammt langer Zeit. | |
14 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
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