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# taz.de -- Valencias Stadtviertel Cabanyal: Spanische Träume
> Das ehemalige Fischerviertel Cabanyal soll einer Prachtstraße zum Meer
> geopfert werden. Für viele sind die Größenfantasien Albträume.
Bild: Das alte Fischerviertel von Valencia soll einer breiten Straße zum Meer …
Ein- bis zweistöckige Würfelhäuschen reihen sich an Gassen, die
schnurgerade parallel zum Strand verlaufen. „Hasta Francia“, „bis nach
Frankreich“ heißt der nördliche Teil des Cabanyal, das landeinwärts mit
Valencia zusammengewachsen ist. Viele der Häuschen tragen auf ihren
Fassaden bunte Kacheln.
Simse und Giebel sind mit Stuck verziert. „Modernismo Popular“,
volkstümlichen Jugendstil nennen sie hier den wilden Stilmix. Mit einfachem
Baumaterial versuchten die Fischer im Cabanyal vor rund 100 Jahren den
aufwändigen Baustil der reichen Stadtbürger nachzuahmen.
Anfang des 20. Jahrhunderts brach in Valencia ein Bauboom aus. Dank
effektiverer Anbaumethoden lieferte das fruchtbare Umland drei Ernten im
Jahr. Zitronen und Orangen aus Valencia verkauften sich über neue Bahn- und
Schiffsverbindungen auch im Ausland bestens. Händler und Großgrundbesitzer
demonstrierten ihren neuen Wohlstand mit aufwändig verzierten Fassaden im
damals aktuellen Jugendstil. Rund um die Altstadt mit ihren engen Gassen
säumen die prächtige Bauten aus jener Zeit die breiten Alleen und
palmengesäumten Plätze.
Im bescheiden gebliebenen Cabanyal stellen immer mehr Anwohner Tische und
Klappstühle auf den Placa de la Creu, den Kreuzplatz. Aus Taschen und Tüten
holen sie Brot, Wein, Salate. Mit einem großen gemeinsamen Essen
protestieren die Nachbarn gegen die Zerstörung ihres Viertels.
## Spaniens korrupteste Stadt
Peter, pensionierter Lehrer aus Hamburg, hat sich in Valencias einstigem
Fischerkiez seine zweite Heimat eingerichtet. Seit 15 Jahren kommt er
regelmäßig. In Hamburg war er bei den Grünen, hier engagiert er sich gegen
die Pläne der Stadt: Die seit 1991 regierende Bürgermeisterin will die
vierspurige Avenida de Blasco Ibanez bis zum Meer verlängern. Doch das
Zentrum des Cabanyal versperrt den Weg.
Bei Wein, Brot, Käse, Oliven und Empanadas erzählt Peter die Geschichte des
Viertels in Spaniens am höchsten verschuldeter und angeblich korruptester
Stadt. Karin, die lange an der deutschen Schule unterrichtet hat, kommt
dazu. Der Platz füllt sich.
Karin wohnt in einem dreistöckigen Haus, das die Stadt schon zum Abriss
freigegeben hat. An den verwitterten Wänden, von denen der Putz bröckelt,
markieren braune und beigefarbene Streifen die geplante Schneise. Eingänge
in der Nachbarschaft sind zugemauert. Das Viertel verfällt, obwohl sehr
viele Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Nachdem ein Obergericht in Madrid
die Baupläne gestoppt hat, genehmige die Stadt keine Renovierungen mehr.
Viele seien weggezogen. Wohnungssuchende besetzen leerstehende Gebäude.
Immer mehr der in Valencia gestrandeten Roma-Familien aus Rumänien und
Bulgarien finden hier ein Notquartier. Anwohner klagen über Verfall,
Schmutz, „die Zigeuner“. 400 Häuser mit rund 1.600 Wohnungen habe die Stadt
gekauft, um sie abzureißen. Inzwischen sei ihr das Geld ausgegangen.
## Der Bürgerkrieg in den Köpfen
An manchen Fassaden fordern Transparente den Bau des neuen Boulevards. „Das
ist eine Initiative des Partido Popular, der regierenden konservativen
Volkspartei“, erklärt Emiliano. In seiner Bodega Casa Montana serviert er
teuren Wein aus Eichenfässern und feine Tapas. Für den Cabanyal hat
Emiliano viele Ideen: Aus den kleinen ehemaligen Fischerhäusern ließen sich
zum Beispiel Studentenapartments machen. Viele der rund 100.000
Studierenden suchen eine Bleibe. Rund 20.000 von ihnen pendelten jeden Tag
in die Stadt. Auch für alte Leute seien die flachen, einstöckigen Häuschen
geeignet oder für Ferienwohnungen für die zahlreichen Touristen.
Zu Zeiten des faschistischen Diktators Franco ging Emiliano 1973 zum
Studieren nach Deutschland und in die Niederlande. Als er dort zum ersten
Mal eine Demonstration sah, bei der die Polizisten friedlich am Straßenrand
standen, wurde ihm klar: „Ich will in einem demokratischen Land leben.“
Wenig später erfüllte sich sein Wunsch: Franco starb 1975.
„In vielen Köpfen“, meint Emiliano, „ist der Bürgerkrieg immer noch nic…
zu Ende.“ Valencia war 1939 die letzte Bastion der Spanischen Republik.
Italienische Kriegsschiffe bombardierten die Stadt. Viele Geschosse
schlugen in der Nähe des Hafens im republikanischen Cabanyal ein. Emiliano,
58, sieht sich als einen der wenigen „linken Unternehmer“ in der Stadt.
Ethisches Wirtschaften lohne sich. Der Mann mit dem grauen Bart überlegt,
bevor er seine Sätze ausspricht. Eine Zeit lang war er Vorsitzender der
Valencianischen Kaufmannschaft. Dort erfuhr er, dass sich die meisten
seiner Kollegen nicht für Politik interessierten. Die sei „schmutzig“.
Deshalb wolle man damit nichts zu tun haben. So sei es der Bürgermeisterin
leicht gefallen, den kleinen Händlern im Cabanyal Aufschwung und Wohlstand
zu versprechen, wenn die neue Avenida zum Meer gebaut würde.
## "Die sind größenwahnsinnig"
Doch Spanien steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise: 56 Prozent
Jugendarbeitslosigkeit. Viele Hochschulabsolventen ziehen wieder zu ihren
Eltern und Großeltern, weil sie keinen Job finden. 700.000 Spanier sollen
das Land auf der Suche nach Arbeit seit 2008 verlassen haben.
Der Weg zurück in die Stadt führt über den zweispurigen Radweg unter Palmen
die Avenida Blaso Ibanez bis zu den Königlichen Gärten, dann hinunter in
den Fluss, der keiner mehr ist. Zwölf Kilometer lang ist das grüne Band,
das die Valencianer einer Naturkatastrophe und ihrer Beharrlichkeit
verdanken. Jahrhundertelang überflutete der Fluss Turia Valencia immer
wieder. Im Jahr 1957 stand das Wasser in der Altstadt bis zu fünf Meter
hoch. Die Zentralregierung in Madrid beschloss daraufhin, den Fluss
umzuleiten.
Ins alte Flussbett wollten die Stadtväter eine Autobahn bauen. Eine der
ersten Bürgerinitiativen Spaniens setzte stattdessen einen Park durch.
Heute wirbt die Stadt mit dem längsten Park des Landes. An der Strecke
liegen Fußballplätze, Trimm-dich-Anlagen, künstliche Seen, Wiesen und die
Stadt der Wissenschaft und Künste: ein Ensemble aus futuristischen Glas-
und Betonbauten nach Plänen des aus Valencia stammenden Architekten
Santiago Calatrava. Mehr als eine Milliarde Euro hat die Stadt der
Wissenschaft und Künste mit ihrem naturwissenschaftlichen Museum, den
Aquarien mit Haitunnel, Pinguinen, tropischen und arktischen Gewässern, der
Oper und dem Veranstaltungszentrum angeblich gekostet. Während des Baubooms
bis 2008 war den valencianischen Politikern nichts groß und teuer genug.
Die Region ließ für mehr als 300 Millionen Euro einen Flughafen bauen, auf
dem nie ein Flugzeug landen wird. Auch andere Mammutprojekte haben
gigantische Löcher in die Haushalte gerissen.
„Die sind größenwahnsinnig“, urteilt Miguelangel Ferrís über die
konservative Regionalregierung. Ein neues Stadion für 280 Millionen, dessen
Weiterbau niemand mehr bezahlt, halbfertige Wohn- und Büroviertel oder die
Investruinen der Hafenerweiterung, deren Erschließungsstraßen in einer
staubigen Wüstenlandschaft enden. Für die jetzt brachliegende Fläche habe
die Polizei ein ganzes Dorf gewaltsam geräumt. Anschließend habe man
Betonplatten verlegt, um einen Wiederaufbau zu verhindern. Allein gegen
Politiker der autonomen Region Valencia liefen 300 Ermittlungsverfahren
wegen Korruption, erzählt Ferrís. Aus der Not hat der Lehrer mit ein paar
Freunden ein Programm gemacht: Spaniens erste „Route der Korruption und
Verschwendung“ – als Rundfahrt oder Wanderung für Einheimische und
Touristen.
## Die Gegenbewegung
Inzwischen bieten Miguelangel und seine Mitstreiter auch Touren in die
valencianische Zivilgesellschaft an. So bewirtschaften Nachbarn gemeinsam
Gemüsegärten, organisieren kostenlose Tauschbörsen und
Kulturveranstaltungen. Der Dachverband „Valencia Sostenible“, nachhaltiges
Valencia, zählt mittlerweise 40 Mitgliedsorganisationen.
Auch Boris, ein Typ mit schwarzen Haaren und schwarzem Bart, hat sich
intensiv mit der Stadtplanung in Valencia beschäftigt. Nach dem Abi auf der
deutschen Schule hat er Architektur studiert. Als er 2003 von der Uni kam,
waren Baufachleute gefragt. Inzwischen suchten sieben von zehn Architekten
vergeblich Arbeit. Den Größenwahn vieler Politiker erklärt er aus der
Geschichte: „Spanien war immer eine arme Agrargesellschaft, weit weg von
Europa.“
Die Menschen hätten den Glanz der Städte bewundert und sich an den
leuchtenden Metropolen orientiert. „Als mit dem Wirtschaftsaufschwung so
viel Geld ins Land kam, fehlte nach 40 Jahren Diktatur die demokratische
Kontrolle.“
15 Feb 2014
## AUTOREN
Robert B. Fishman
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Spanien
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Nantes
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