# taz.de -- Kolumne Ich meld' mich: TV zum Lammragout | |
> Bevor die vielen, vielen Touristen kamen, war Spanien gastfreundlicher, | |
> wesentlich ärmer und auf jeden Fall überraschender. | |
Bild: Auch diese Idylle im Fischerviertel Cabanyal bei Valencia ist bedroht | |
Und nun, sagte Paco, nachdem wir uns eine Stunde über das Schafehüten und | |
die Wölfe in der Estremadura unterhalten hatten, nun müssten wir seinen | |
Onkel und seine Tante besuchen. Über die mageren Weiden mit den spitzen | |
Felsen lenkten wir den Peugeot hoch zu dem kleinen Haus, das schmutzig weiß | |
und ganz allein auf dem Hügel thronte. | |
Man hatte uns kommen sehen. Der Onkel mit grauen Stoppeln, gelben | |
Zahnstummeln und einem nie ausgehenden Lächeln im Gesicht. Die Tante, ganz | |
in Schwarz, straffer Haarknoten, mächtiger Busen. Zwei heiratsfähige und | |
ihren Blicken nach heiratswillige Töchter in schmuddeligen Kleidern. Sowie | |
Antonio, der Vogelfänger, den jeder mochte, aber keiner ernst nahm. Paco, | |
knapp zwanzig, war stolz. Stolz auf die Familie, die er liebte, und auf die | |
fremden Gästen, von denen es hier noch nie welche gegeben hatte. | |
Machen wir einen Rundgang, schlug der Onkel vor. In einer kleinen | |
Prozession zogen alle von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit: Ein neu | |
geborenes Lamm; zwei Kühe; der Pfau. Der Onkel zeigte, wie er in kürzester | |
Zeit einen Pferch einzäunte, die Tante beschrieb detailliert die | |
Herstellung von Ziegenkäse. Und Antonio präsentierte lachend seine | |
Kastenfallen. | |
Es wurde Abend und schnell kühl. Zwei Öllampen erleuchteten die kleine | |
Stube, Schatten flackerten über den Steinfußboden. Im Kamin entzündete die | |
Tante ein Reisigfeuer. Der Onkel schenkte uns Wein in einen verbeulten | |
Zinnbecher, alle anderen tranken aus angeschlagenen Tassen. Rot vor | |
Anstrengung schleppte eine der Töchter eine irdene Schüssel aus der Küche. | |
Es gab Lammgulasch mit Kartoffeln und wenigen Stücken Fleisch. Die | |
verteilte die Tante ganz selbstverständlich auf unser beider und des Onkels | |
Teller. Protest war sinnlos. | |
Die Brühe schmeckte, das Fleisch bestand aus Knorpeln. Alle sahen uns zu, | |
zwölf Augen leuchteten im Halbdunkel. Strahlend fragte die Tante, ob es | |
schmeckte. Wir kauten tapfer, bejahten nicht weniger strahlend und | |
versuchten, die Knorpel in die hohle Hand zu spucken. | |
Die Männer rauchten. Die Tante fischte Spielkarten aus ihrer | |
unergründlichen Schürze, aus der vorhin schon eine Knoblauchknolle, | |
Streichhölzer und ein Wischlappen aufgetaucht waren. Paco und Antonio | |
spielten kurz. Dann gab der Onkel ein Zeichen. Aus einer Kiste kramten die | |
Töchter vorsichtig einen kleinen Fernsehapparat. Großes Erstaunen: | |
Fernsehen hier, wo doch nicht einmal elektrisches Licht …? Alle | |
schmunzelten, in stolzer Erwartung der Lösung. | |
Aha! – die zweite Kiste enthielt eine Autobatterie. Verschwommen flimmerte | |
der Anfang eines Westerns über den Bildschirm, „Los dos musqueteros“, | |
während die Blicke der Familie zwischen ihm und uns hin und her gingen. | |
Nach fünf Minuten ordnete der Onkel an, abzuschalten: Die Batterie musste | |
geschont werden. Die Tante ging schon einmal daran, zwei Feldbetten | |
aufzuschlagen … | |
Man nannte es Reisen. Es war, bevor der Tourismus erfunden wurde. | |
15 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
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