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# taz.de -- Gemeinschaftsgärten in Tempelhof: Wurzeln geschlagen
> Der Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor sollte ein Schauprojekt sein.
> Jetzt gärtnern hier rund 700 Menschen.
In die Erde dürfen sie nicht, die Kartoffeln, Karotten, Erdbeeren und
Sonnenblumen, die die Gemeinschaftsgärten auf dem Tempelhofer Feld füllen.
Sie wachsen in selbst gezimmerten Kisten. Der Boden, heißt es vonseiten der
Stadt Berlin, sei verseucht, man wisse nicht, ob noch Bomben aus dem Krieg
unter der Oberfläche lagern. Aber das, glaubt Elisabeth Meyer-Renschhausen
vom Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor, ist nicht der wirkliche Grund für
das Verbot, denn: „Wer in die Erde geht, will bleiben.“
Und bleiben sollen sie nicht, die Gemeinschaftsgärten auf dem Feld, wenn es
nach dem Willen der Stadtverwaltung geht. Zumindest nicht dort, wo sie
jetzt sind: am Ostrand der riesigen Freifläche, wo das Feld an den
Neuköllner Schillerkiez grenzt. Rund 300 Hochbeete liegen dort verstreut
auf den 5.000 Quadratmetern, die der Allmende-Kontor 2011 von der Stadt
überlassen bekommen hat. Als „Pionierprojekte“ hatten sie zunächst einen
Vertrag über drei Jahre, gerade ist er ein weiteres Jahr verlängert worden.
Aber eben nur um eines, nicht um drei Jahre, wie gehofft. Wenn auf dem
Feld, wie vom Senat geplant, gebaut wird, sollen die Gärten an den Südrand
des Feldes umziehen. Dorthin, wo jetzt der Hundeauslaufplatz ist.
Meyer-Renschhausen findet das nicht richtig, für die älteren Leute, die
sich am Projekt beteiligen, sei das zu weit. „Der Garten ist über drei
Jahre gewachsen“, sagt auch Severin Halder, „das sind eben nicht nur
Kisten, die man einfach woanders hinschieben kann.“
Meyer-Renschhausen und Halder sind beide „Garten-Aktivisten“, sie verstehen
sich als Teil einer globalen Bewegung. Die Gärten sind für sie mehr als nur
ein Ort, wo man Gemüse anbaut: eine Form von Aneignung, von solidarischer
Gemeinschaft, ein Schritt zu einer „Stadt für alle“ im Kleinen.
Beide gehörten zu den langjährigen Garten-Aktivisten, die sich seit 2008
für urbane Gärten in Berlin engagieren. 13 waren sie zu Beginn. Im April
2011 durften die Aktivisten die ersten Setzlinge in ihre Kisten pflanzen:
Zum 8. Mai, als das Feld offiziell eröffnet wurde, sollten schon die ersten
Blumen zu sehen sein.
Nach der Eröffnung kam die erste Schülergruppe und drehte einen kleinen
Film über das Projekt, die Anwohner kamen und immer mehr Leute. „Wir
konnten uns vor Anfragen gar nicht retten!“, sagt Meyer-Renschhausen. Etwa
700 Menschen, schätzt sie, gärtnern inzwischen im Rahmen des Projektes,
unzählige weitere stehen auf der Warteliste.
„Am Anfang war das ein bisschen wie Wilder Westen. Alles, was rumlag, war
sofort zu einer Kiste, einer Hütte, einer Bank verbaut“, sagt Halder.
Daraus entstanden die verwinkelten, bunten Gärten, die seither unzählige
Besucher, Touristen und die Medien anziehen. Selbst, sagt
Meyer-Renschhausen, komme sie kaum noch zum Gärtnern. „Wenn ich im Garten
bin, muss ich pausenlos Fragen beantworten und das Projekt erklären.“
Eine klare Linie zum Plan des Senats, das Feld an den Rändern mit Wohn- und
Gewerbegebäuden zu bebauen, hat die Initiative nicht. Es gebe viel
Leerstand in der Stadt, meint Meyer-Renschhausen, warum fülle man nicht
erst den, bevor man auf dem Feld baue? Halder hofft, dass der Geist des
Tempelhofer Feldes erhalten bleibt, diese Freiheit, die Weite. „Meine
Freundin ist am Meer aufgewachsen. Als sie das erste Mal die
Herrfurthstraße entlang zum Feld gelaufen ist, hat sie geglaubt, Salz zu
riechen.“ Er habe nie verstanden, „warum Urbanität immer nur mit Beton
verbunden wird. Gärten können auch Teil einer Stadt sein.“
Der Allmende-Kontor ist Teil der Stadt, zweifellos, und ebenso zweifellos
ein sehr erfolgreiches Projekt, gemessen an dem Anspruch, den die Gruppe
hatte. Denn das Projekt, erklären beide, sollte ja kein Garten werden. Eher
ein Schaugarten, eine Anlaufstelle für Leute, die sich für urbanes Gärtnern
interessieren. „Am Anfang“, erzählt Halder, „wollten wir dort ein Büro
aufbauen, von wo wir zu diesem Thema arbeiten konnten.“ Aber das Büro wurde
nie realisiert. Die Praxis hat die Theorie geschluckt, „der Garten hat das
Projekt einfach übernommen“.
Heute gärtnern hier junge Familien, Studenten und Künstler, ältere
türkische Frauen und Männer aus dem angrenzenden Kiez. Da gibt es schon
manchmal Konflikte, stoßen unterschiedliche Kulturen zusammen, erzählt
Halder. Die einen wollen eher feiern und Bier trinken in ihrem Garten, die
anderen Kartoffeln für den Eigenbedarf anbauen. Die einen kommen nie zum
Plenum, aber sind dafür jeden Tag da und füllen die Wasserkanister.
„Der Garten ist schon zu groß“, sagt Meyer-Renschhausen. Allmenden, das
gemeinsame Nutzen von gemeinschaftlichem Eigentum, funktioniere am besten,
„wenn noch Face-to-face-Kommunikation möglich ist“. Dafür brauche es klare
Regeln und einen begrenzten Nutzerkreis. „700 Leute sind schon viel zu
viele.“
„Wir leben sozusagen den Widerspruch“, meint hingegen Halder. Er findet das
Chaotische, das Überraschende an dem Prozess weniger dramatisch. „Es gibt
auch viel gegenseitiges Lernen. Die türkischen Frauen, die da ihren
Gemüsegarten beackern, sind manchmal ganz entsetzt, wenn sie sehen, dass
das die jungen Leute gar nicht mehr können. Die können sich da gar nicht
zurückhalten, sie müssen das denen zeigen.“ Man sehe, wie viel ökologisches
Wissen bei vielen Menschen vom Land noch da sei, das in der Stadt verloren
gegangen sei.
Vor allem für viele ältere Menschen, auch viele Migranten sei der Garten
sehr wichtig, sagt Meyer-Renschhausen. Nicht nur weil sie wieder eine
Beschäftigung hätten, etwas Sinnvolles zu tun. „Dieses Wurzelnschlagen, das
ist etwas Wichtiges.“ Gerade auch für die Menschen, die ihre Heimat
verloren oder verlassen haben und sich mit dem Gärtnern eine neue Heimat
aneignen. Dass das urbane Gärtnern oft mit etwas Temporärem in Verbindung
gebracht werde, mit einer Zwischennutzung, wie im Fall der Kreuzberger
Prinzessinnengärten findet sie deshalb auch nicht gut. „Wir wollen nicht
die sein, die das Gelände für die Investoren attraktiv machen. Wir sind
gekommen, um zu bleiben.“
Selbst bleiben wollen die Initiatoren aber nicht. Der Garten auf dem
Tempelhofer Feld lernt gerade, auf eigenen Füßen zu stehen – der Plan ist,
die Verantwortung für die Organisation an einen Verein abzugeben. Die
Gärtner sollen sich selbst organisieren, überlegen, wie sie die 5.000 Euro
Nutzungsentgelt im Jahr zusammenbekommen, die der Senat verlangt und die
derzeit teils durch Spenden, teils durch Stiftungsgelder reinkommen.
Die Garten-Aktivisten der ersten Stunde denken längst über neue Gärten
nach. „Wenn Leute jetzt kommen und fragen, ob sie mitmachen können, sagen
wir: Klar, ihr könnt mitmachen, wo ihr wollt. Gründet eure eigenen Gärten,
überall!“
13 Mar 2014
## AUTOREN
Juliane Schumacher
## TAGS
Tempelhofer Feld
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Umwelt
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