Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Erste blinde Strafverteidigerin: Blinde Vertraute
> Sie verteidigt Mörder, Räuber, Dealer. Gesehen hat Pamela Pabst sie noch
> nie. Ihre Klienten wissen zu schätzen, dass sie sie nicht nach dem
> Äußeren beurteilt.
Bild: „Wegen diesem Ort wollte ich Juristin werden“: Pamela Pabst im Krimin…
BERLIN taz | Breites Kreuz, Schnauzbart, schwarze Weste, die langen dunklen
Haare sind nach hinten gegelt. In Handschellen betritt Hüseyin Y. den Saal
C 103, Amtsgericht Tiergarten, Kriminalgericht Moabit. In seiner Zelle, in
der JVA Heidering, wurde Haschisch gefunden, dafür muss er sich heute
verantworten.
Seine Verteidigerin Pamela Pabst kann all das nicht sehen. Sie ist blind,
seit sie auf der Welt ist. Hüseyin Y. ist für sie „ein dominanter, sehr
fordernder Mann. Ruft mich oft an und will mir erzählen, was ich zu tun
habe“. Ob groß, klein, dick, dünn? „Das habe ich mich noch nie gefragt. D…
hat doch nichts damit zu tun, was er verbrochen hat.“
Y. gesteht, so hat Pabst es ihm geraten. „Hohes Gericht, werte
Staatsanwaltschaft“, Pabst erhebt sich und spricht mit fester Stimme. Was
die Staatsanwaltreferendarin eben noch vom Papier abgelesen hat, trägt
Pabst frei und sicher vor: „Und so komme ich zu dem Schluss, dass 30
Tagessätze à 1 Euro angemessen sind.“ Damit überzeugt sie den Richter.
Ein Routinefall für Pabst, trotzdem wirkt sie gelöst, gibt ihrem Mandanten
die Hand: „Alles Gute, kommen Sie gut zurück und Grüße an Ihre Frau“, sa…
sie, lächelt, zieht die Robe aus, klappt den Blindenstock aus und
verschwindet aus der Tür.
## Ihre Augen, die Assistentin
Pamela Pabst ist die einzige von Geburt an blinde Strafverteidigerin in
Deutschland. Eine zierliche Person, 35 Jahre alt, die grauen, langen Haare
trägt sie zum Zopf geflochten, ihre Fingernägel sind pastellfarben
lackiert. Ihre „Augen“, so nennt sie ihre Assistentin, heißen Annette
Müller. Müller ist im Arbeitsalltag von Pabst überall dabei. Pabst spricht
von „unseren“ Mandanten, „unseren Fällen“ und „wir haben das so
entschieden“, auch wenn Pabst sagt: „Ich bin es, die die Unterschriften
setzt und am Ende ihren Kopf hinhält, wenn etwas schiefgeht.“ Pabst und
Müller sind ein Team, zumindest im Job. Als Annette Müller die Stelle bei
Pamela Pabst angeboten bekam, sagte der Arbeitsvermittler am Telefon: „Ich
sag Ihnen gleich, die Frau ist blind. Ich könnte verstehen, wenn sie darauf
keine Lust haben.“ Müller ist heute noch fassungslos.
Seit 2008 arbeitet sie nun für Pamela Pabst. „Ich musste mich anfangs daran
gewöhnen, dass im Büro alles quatscht: die Briefwaage, der Computer – alles
liest ständig vor. Abgesehen davon, arbeite ich für Frau Pabst wie für
andere Anwälte auch.“ Pabst und Müller sind ein Team, halten aber streng
professionelle Distanz und siezen sich bis heute.
Fest eingehakt in die Armbeuge ihrer Assistentin läuft Pamela Pabst durch
die langen Gänge des Berliner Gerichts. Schwarze Hose, weiße Bluse, ein
Rucksack voller Akten. Sie kennt das Gebäude in- und auswendig, schon als
Praktikantin und als Referendarin war sie oft hier. Sie ist diejenige, die
heute die Route angibt: den Gang entlang, Linoleumfußboden. Rechts
abbiegen, Stufen abwärts, Steinfußboden, Pabsts Schuhabsätze hallen durch
den Gang. Sie läuft schnell, selbstsicher. In der prunkvollen Eingangshalle
bleibt sie stehen.
## Der schöne Schein
„Wie eine Kathedrale“, sagt sie und dreht ihr Gesicht in den Lichtstrahl
des Fensters. Auf dem linken Auge hat sie noch einen Rest Sehkraft, weniger
als ein Prozent. Damit erkennt sie hell und dunkel und grobe Umrisse.
„Wegen dieses Orts wollte ich Juristin werden“, sagt Pabst. Sie kennt die
Halle nur aus Erzählungen, trotzdem spürt sie sie intensiv: sehr hoch sei
sie, das könne man hören. Es riecht nach Linoleum, Sandstein und Papier.
Vor 20 Jahren stand sie zum ersten Mal hier – als Schülerin. Mittlerweile
kommt sie drei- bis viermal pro Woche zu Verhandlungen her.
Nach der Verhandlung von Hüseyin Y. hat sie es eilig: Sie muss einen
Mandanten im Maßregelvollzug besuchen. Vorher geht sie mit Annette Müller
seine Akte durch. Müller liest, Pabst kommentiert: „Das ist jetzt die
Umschreibung für den Raub“, „Lesen Sie bitte noch mal die Aussage des
Geschädigten“, „Für mich klingt das nicht plausibel“. Tathergang, Zeuge…
Anklage – Pabst will alles genau wissen.
## Die Eltern unterstützen sie voll
Pamela Pabst kommt zu früh auf die Welt, 27. Woche, 31 Zentimeter, viel zu
schwach für die ersten Tage. Im Brutkasten wird ihr Sauerstoff zugeführt,
wahrscheinlich hat der ihre Sehkraft zerstört. Ihre Mutter gibt den Beruf
auf und kümmert sich nur noch um die Tochter. „Pamela war ein absolutes
Wunschkind“, sagt Gisela Pabst. „Ich wollte, dass ihr Leben so normal wie
möglich verläuft. Dass sie mal Anwältin wird, hatte ich allerdings nicht
erwartet.“ Noch heute kann Gisela Pabst alle Arztberichte und
Operationstermine auswendig herunterbeten.
Pamela Pabst ist elf Jahre alt, als sie zum ersten Mal einen Anwalt trifft.
Ihre Eltern brauchen Rat wegen einer falsch gestellten Rechnung. Pabst hört
genau zu, was der Anwalt sagt: „Mandant“ und „meines Erachtens“ – kü…
Worte, klar und respekteinflößend, für Pabst klingen sie wie Zauberworte.
Noch heute fasziniert sie der Umgang bei Gericht: „Wenn sich zur
Urteilsverkündung alle erheben, hat das so etwas Feierliches. „Hohes
Gericht“ – das ist antiquiert, aber eben auch höflich. Das gefällt mir.“
Höflichkeit vor Gerechtigkeit – das beschreibt Pabsts Motivation ganz gut.
„Ein übergeordnetes Gerechtigkeitsempfinden habe ich nicht“, sagt sie.
„Jeder Mensch hat ein faires Verfahren verdient. Aber ich wollte nicht
Anwältin werden, weil ich glaube, damit die Welt gerechter zu machen.“
Pabst gefällt der Schein vor Gericht, das ganze Drumherum. Sie malt sich
das Amt der Richterin in den schillerndsten Farben aus: die Roben, die
Gerichtssäle, Kronleuchter, Holzbänke – auch wenn sie das nicht sehen kann.
Aber etwas von diesem Glanz geht eben auch auf diejenigen über, die hier
arbeiten.
## „Besessen von der Juristerei“
Dabei hat sie schon früh erfahren, wie ungerecht das Leben sein kann. Auf
dem Gymnasium wird sie gemobbt, ihre Mitschüler nehmen ihre Sachen weg,
schreiben „Fuck“ auf ihre Jacke und zünden ihr die Haare an. Sie ist die
einzige Blinde in der Klasse, „die blinde Kuh“, die immer „so behindert
rumsteht“. Trotzdem bleibt sie auf der Schule. Sie kennt das Gebäude seit
der Vorschule; jede Treppe, jedes Geländer ist ihr vertraut, sich
umgewöhnen wäre schwer. „Vor allem aber wusste ich, dass ich das Abitur
brauche, um Jura zu studieren. Damit hab ich mich jeden Tag neu motiviert.“
In der zehnten Klasse muss sie ein Pflichtpraktikum absolvieren. Dafür
kommt nur ein Ort infrage: eine Kanzlei. Pabst erinnert sich an den Anwalt
ihrer Eltern – Willi Schwoll in Neukölln. Dass sie blind ist, schreibt sie
nicht in die Bewerbung bei ihm.
„Ich war total überrascht, als sie vor mir stand. Was macht man mit einer
blinden Praktikantin?“, erzählt Willi Schwoll, der mittlerweile in Rente
ist. Er nimmt sie mit ins Gericht und merkt schnell, dass die blinde
Praktikantin mehr will als nur mitlaufen. „Pamela war besessen von der
Juristerei. Sie wollte alles wissen und verstehen, hat ständig nachgefragt.
So eine Praktikantin hab ich noch nie erlebt.“ Abends schreibt sie die
Akten in Brailleschrift ab, lernt Gesetze und Rechtsprechungen und bereitet
jede Verhandlung akribisch vor. Die Kanzlei wird ihr Sehnsuchtsort. Neun
Jahre lang verbringt sie alle Ferien dort.
Ihre Jurastudium schafft sie in acht Semestern. Bücher und Gesetzestexte
lässt sie sich von Eltern und Kommilitonen auf Kassette sprechen, in
Klausuren bekommt sie mehr Zeit als die Mitstudenten. Ihre Staatsexamen
schreibt sie mit einer Assistentin, die Paragrafen vorliest, und mit einem
Notebook mit Sprachausgabe und Braillezeile an der Tastatur. Sie besteht
alle Prüfungen gut, ist auf allen Gebieten fit, aber ihre Leidenschaft gilt
dem Strafrecht.
## Das Amt der Strafrichterin - nur für Sehende
„Kriminalität hat mich schon immer fasziniert“, sagt sie. „Im Strafrecht
kannst du in so viele verschiedene Milieus eintauchen, hinter die Kulisse
von schweren Verbrechern gucken und deinen eigenen Krimi lebendig werden
lassen.“
Eigentlich träumt Pabst davon, Richterin am Kriminalgericht in Moabit zu
werden. Doch kurz vor ihrem ersten Staatsexamen erfährt sie, dass es keine
blinden Strafrichter geben darf. Der Bundesgerichtshof urteilte Mitte der
1980er Jahre, dass Strafrichter Angeklagte und Zeugen sehen können müssen,
um ein Urteil zu fällen. Für alle anderen Richterposten, Zivil-,
Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialrecht gilt dieses Verbot nicht. „Das hat
mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist ungerecht, weil es eine
rein formale Festlegung ist, die keine praktischen Gründe hat. Ich urteile
doch nicht schlechter, nur weil ich den Angeklagten nicht sehen kann.“
Aber Pabst ist keine, die lange trauert. Nach ihrem Referendariat macht sie
sich selbstständig und eröffnet 2007 im Haus ihrer Eltern ihre eigene
Kanzlei. Bis heute arbeitet sie die meiste Zeit in dem Reihenhaus im
Berliner Süden. Ihre Eltern unterstützen sie, fahren Akten ins Gericht,
lesen Briefe vor, wenn Annette Müller nicht da ist.
## Ordnung ist wesentlich
Bei einem Bewerbungsgespräch vor sieben Jahren lernte Pabst ihren heutigen
Freund kennen, Anwalt in Potsdam. Die beiden haben eine gemeinsame Wohnung,
sehen sie sich dort aber meist nur am Wochenende. Unter der Woche, wenn sie
arbeiten muss, wohnt Pabst weiter bei ihren Eltern. Vor kurzem hat sie ihre
Erfahrungen in dem Buch "Ich sehe das, was ihr nicht seht" (Hanser Verlag)
zu Papier gebracht.
Am Tag nach der Verhandlung von Hüseyin Y. sitzt Pabst in ihrem Büro im
Dachgeschoss. Alles hat seine Ordnung auf knapp zehn Quadratmetern: Die
Akten sind akkurat in Schränke sortiert, an den Wänden stapeln sich
Gesetzbücher, auf Pabsts Schreibtisch stehen ein großer Bildschirm und ein
Scanner, der eher wie ein Mikroskop aussieht. Pabst braucht die Ordnung, um
sich zurechtzufinden. „Ungelesen. DAV minus Infomail. DAV minus Depesche“ �…
eine Männerstimme scheppert aus den Computerboxen, während Pabst ihr
Mailfach durchgeht. Der Computer liest ihr alles vor, in einem Tempo, das
es Sehenden schwer macht, zu folgen.
Will Pabst Mails, Webseiten und Gutachten nicht komplett durchhören,
verwendet sie die Braillezeile unter ihrer Tastatur – einen langen Kasten
mit eingestanzten Löchern. Fährt sie am Computer über einen Schriftsatz,
erheben sich auf der Braillezeile die Wörter in Blindenschrift. „Bevor ich
mich selbstständig gemacht habe, habe ich mich vom Integrationsamt beraten
lassen. Die haben mich gefragt, ob ich überhaupt mit dem Computer umgehen
kann.“ Pabst lacht, sie arbeitet so schnell und routiniert am Computer,
dass man glatt vergessen könnte, dass sie blind ist.
## Vorurteilsfreier? Vielleicht schon
700 Mandanten vertritt Pamela Pabst derzeit, 400 kommen jedes Jahr neu
hinzu. Rund zwei Drittel davon sind Straftäter. Die meisten ihrer Mandanten
kommen über Empfehlungen zu ihr. Im Gefängnis spricht sich herum, wer ein
guter Anwalt ist. „Ich sitze dort in einem Raum, die Tür geht auf, und ich
strecke meine Hand ins Nichts. Wenn mein Gegenüber sie nimmt, ist das der
erste Schritt zu gegenseitigem Vertrauen“, sagt Pabst.
Keiner ihrer Mandanten hat ein Problem damit, dass Pamela Pabst blind ist.
Im Gegenteil: Viele haben Respekt vor ihr. Manche glauben, sie könne
schneller heraushören, wenn sie angelogen wird, andere finden gut, dass
Pabst sie nicht nach ihrem Äußeren beurteilt. „Ich denke schon, dass ich
vorurteilsfreier auf Leute zugehe als Sehende“, sagt Pabst. „Dadurch fällt
mir der Umgang mit ihnen auch leichter.“ Vor allem Mandanten, die im
Gefängnis sitzen, sind oft sehr fordernd. Ständig klingelt das Telefon im
Büro. Pabst spricht mit bewundernswerter Geduld, macht Scherze, holt
rasende Anrufer charmant wieder auf den Boden. Manchmal, sagt sie, fühle
sie sich eher wie eine Sozialarbeiterin.
Zwei Stockwerke tiefer, im Wintergarten, empfängt Pabst die Mandanten. Sie
hat den Garten extra anbauen lassen, selbst finanziert. In der Ecke steht
die bronzene Statue der Justitia – der römischen Göttin der Gerechtigkeit.
Sie trägt eine Augenbinde, als Symbol für ihre Unparteilichkeit. Justitia
richtet, ohne die Angeklagten sehen zu können.
24 Mar 2014
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Leben mit Behinderung
Blinde
Justiz
tazbehinderung
Tourismus
Blinde
Quote
Quote
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bücher in Blindenschrift: „Zugang zum Wissen der Welt“
Nur ein Bruchteil aller Bücher wird in Brailleschrift übertragen. Thomas
Kahlisch von der Deutschen Zentralbücherei für Blinde erklärt, warum.
Urlaubsangebote für Behinderte: Kiel im Rolli, Hannover am Stock
Die Tourismusbranche entdeckt Menschen mit Behinderung als neue Zielgruppe.
Helfer für Taubblinde: Die Hände sind das Tor zur Welt
Taubblinde demonstrieren in Berlin für mehr staatlich finanzierte Begleit-
und Übersetzerdienste. Ihre Gespräche laufen über die Berührung anderer
Menschen.
Blindenbüchereien in Deutschland: Wer nicht sehen kann, muss hören
In Frankfurt schließt die Bücherei für Blinde und Sehbehinderte. Sie ist
eine von nur zehn Hörbüchereien in Deutschland.
Pro und Contra: Behindertenquote? Nein!
Eine Quote würde die Kompetenz behinderter Menschen infrage stellen, sagt
Petra Wontorra vom „Forum Barrierefreies Bremen". Bremen“
Pro und Contra: Behinderten-Quote? Ja!
Niedersachsens Landesbehindertenbeauftragter Karl Finke fordert, dass jeder
zehnte Listenplatz mit einem Menschen mit Behinderung besetzt wird.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.