| # taz.de -- „The Act Of Killing“ auf Arte: Selbst mal das Opfer spielen | |
| > In den 1960er Jahren wurden in Indonesien über 1 Million Menschen getötet | |
| > - vermeintliche Kommunisten. In „The Act of Killing“ stellen die Mörder | |
| > ihre Taten nach. | |
| Bild: Zwei Täter lassen sich zu Opfern schminken. | |
| Eigentlich könnte der Handlungsstrang der preisgekrönten Dokumentation „The | |
| Act of Killing - Der Akt des Tötens" geklaut sein, aus einem | |
| 08/15-Hollywoodstreifen: Die Psyche des Mörders offenbart sich dem | |
| Zuschauer auf seine grausame, skrupellose und skurrile Weise. Am Ende des | |
| Films gibt es jedoch eine 180-Grad-Wendung des Täters, bei der ihm bewusst | |
| wird, was er getan hat. Er bereut. | |
| Im Film „Der Akt des Tötens" muss der Mörder im Moment seiner Einsicht | |
| erbrechen. Es ist Anwar Congo, ein in die Jahre gekommener, ruhiger Mann, | |
| der 1965 daran beteiligt war, als das Militär erfolgreich gegen die | |
| indonesische Regierung putschte. Die Militärherrschaft machte damals die | |
| Kommunisten für die Unruhen im Land verantwortlich. Im Zuge dessen sollen | |
| über eine Million Menschen ermordet worden sein. Darunter Bauern, | |
| Intellektuelle und chinesischstämmige Kommunisten. | |
| Bis heute leben die Täter unbehelligt neben den Familien der Opfer. Bis | |
| heute hat die paramilitärische Organisation, Pemuda Pancasila, die an den | |
| Tötungen maßgeblich beteiligt war, eine hohe moralische und machtvolle | |
| Stellung im Land. | |
| „Der Akt des Tötens" ist keine historische Dokumentation, die das | |
| Geschehene nur nachzuerzählen versucht . Der US-amerikanische Regisseur | |
| Joshua Oppenheimer wollte, dass die Täter von damals ihren eigenen Film | |
| drehen und darin die Verfolgung und die Morde der Menschen nachspielen. | |
| Diese willigten mit Begeisterung, Elan und ohne einen Gedanken der Reue | |
| ein. Die Vorbereitungen für den Film, der nie ausgestrahlt werden soll, | |
| bekommen eine seltsame Eigendynamik. Anwar Congo und Herman Koto nehmen | |
| sich der Sache an. Sie wollen alles so authentisch wie möglich darstellen, | |
| dabei aber auch eine gute Figur machen. Penibel suchen sie nach Kleidung, | |
| die der von damals ähnlich sieht. | |
| ## Amerikanische Krimis als Vorbild | |
| Der inzwischen weißhaarige Anwar färbt sich die Haare, um sich noch besser | |
| in die Zeit von damals hineinversetzen zu können. Sie gehen durch die Stadt | |
| und casten die Leute von der Straße weg. Frauen, Kinder, Opfer und Täter. | |
| Die Menschen im Ort sehen sich die Proben für die Inszenierung an, sie | |
| lachen und klatschen. Sie unterhalten sich prächtig. Auch die Kinder im | |
| Dorf werden in das darstellende Spiel hineingezogen. Ein Junge wird | |
| kurzerhand als Geisel genommen, damit sein Großvater endlich zugibt, ein | |
| Kommunist zu sein. Am Ende der Proben resümiert Anwar: „Wir können noch | |
| brutaler sein als die Nazis in den Nazifilmen.“ | |
| Seine Verhör- und Tötungsmethoden hatte er sich schon damals von | |
| amerikanischen Krimis abgeguckt. „Ich habe Menschen getötet, die nicht | |
| sterben wollten. Ich habe ihren Tod erzwungen.“ sagt Anwar bei einem | |
| Schluck Bier. „Wir konnten töten und dabei fröhlich sein.“ | |
| Getötet wurde meistens mit einem dünnen Draht, die Opfer wurden | |
| stranguliert. Beim Nachstellen der Tötung hat Anwar einen Draht schon um | |
| den Hals des Opfers gelegt, sein Gesicht mit einem Tuch verhüllt. Dann | |
| ertönt der Ruf des Muezzins, der zum Gebet aufruft. Die Aktion pausiert. | |
| Ordnung und Religion müssen sein. | |
| ## Privat moralisch | |
| Nach und nach kommen reflektierende Gespräche zwischen den Beteiligten zu | |
| Stande. Einer von damals, Adi Zulkadry, sagt im Gespräch zu Anwar: „Nicht | |
| wir müssen um Verzeihung bitten, sondern die Regierung. Das wäre Balsam. | |
| Man könnte einander vergeben.“ | |
| Privat lehrt Anwar seinen Enkel moralisches Handeln. Er hat eine Ente | |
| getreten und soll sie nun um Verzeihung bitten. Mit seinen Enkeln schaut er | |
| auch den fertigen Film an. Dabei ist auch eine Szene, in der Anwar selbst | |
| das Opfer spielt, verhört und stranguliert wird. Beim Ansehen bekommt er | |
| Schweißausbrüche und er fängt an zu weinen. Er geht raus und übergibt sich | |
| unaufhörlich. | |
| Hat sich Anwar bis zu diesem Zeitpunkt nie Gedanken über seine Taten | |
| gemacht? Muss er dies überhaupt? Oder schwingt Joshua Oppenheimer hier die | |
| Moralkeule und möchte den Tätern von damals ein Schuldeingeständnis | |
| abringen? Oppenheimers Plan einer Nachstellung erweckt den Eindruck einer | |
| erzwungenen Umerziehung. Und doch sprechen die Dialoge, die die Denkweise | |
| der Männer offenbaren, für sich. Als Zuschauer ist man dankbar für die | |
| Einsicht Anwars, da sie Menschlichkeit zeigt. | |
| 18 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Judyta Smykowski | |
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