# taz.de -- Filmstart „In Sarmatien“: Die Weite und die Enge | |
> Auf der Reise, die Volker Koepp in seinem Film „In Sarmatien“ unternimmt, | |
> überlagern sich Politik, Geschichte und Landschaft. | |
Bild: Auch von der Schönheit des Landes erzählt „In Sarmatien“. | |
In einem Garten in Czernowitz sitzen Tanja und ihre Eltern. Die Tochter hat | |
die Ukraine vor Jahren verlassen, lebt in Deutschland, im letzten Sommer | |
hat sie bei einem Besuch das erste Mal die Kinder mitgebracht. Seid ihr | |
Europäer? Seid ihr Ukrainer? Habt ihr den Eindruck, ich habe mich an den | |
Westen angepasst? Das fragt sie die Eltern. | |
Der Vater blickt sie nicht an, sagt, dass sie ihre Heimat schon mit den | |
Augen der Westlerin sieht. Er verweist auch auf die Sowjeterziehung, die | |
ihnen allen ukrainischen Nationalismus auszutreiben versucht hat. Aber wir | |
sind Ukrainer, sagt die Mutter. Und wir sind Europäer, fügt der Vater | |
hinzu. | |
Auf einer Anhöhe über dem Fluss Nistru sitzt Ana, die auch schon lange | |
nicht mehr in ihrer Heimat lebt. Der Fluss markiert heute die Grenze | |
zwischen Moldawien und Transnistrien, das von Russland gestützt wird, aber | |
in den Augen der Welt gar kein Land ist. Wäre die Geschichte des | |
Landstrichs heute noch sichtbar, wäre das Wasser des Flusses blutrot, sagt | |
Ana. | |
Noch in den neunziger Jahren schlachteten sich die Menschen hier acht | |
Monate lang ab, als sich Transnistrien von Moldawien abzuspalten versucht | |
hat. Moldawien ist bettelarm, die Menschen verlassen das Land. Auf den | |
Dörfern, erzählt Ana, die einen Film darüber gedreht hat, bleiben nur die | |
alten Menschen und ihre Enkel. Die Elterngeneration verdient, weil sie in | |
der Heimat nicht überleben kann, das Geld im Westen. | |
Elena stammt aus Sibirien und ist nach dem Studium in Kaliningrad | |
geblieben. Dort leitet sie ein Filmfestival. Sie sitzt im Kino und erzählt, | |
wie sie vor fast zwanzig Jahren in Halle an der Saale Volker Koepps Film | |
„Kalte Heimat“ sah und sich schämte für die eigene Heimat und weinte. | |
Später begleitet der Film sie an den alten Ostsee-Badeort Swetlogorsk | |
(früher: Rauschen), wo sie von der Aufbruchstimmung in den neunziger Jahren | |
erzählt, von der wenig geblieben ist. | |
## Sterne am Kinohimmel | |
Im Kino ist, während sie redet, unvermittelt eine Filmtonspur über | |
Lautsprecher zu hören, die Elenas Erzählung unterbricht. Thomas Plenerts | |
Kamera schwenkt im wunderschönen Kaliningrader Kinosaal an die Decke auf | |
eine Art Sternenrotunde. Man hört Volker Koepps Lachen, dann erzählt Elena | |
weiter. | |
In Sarmatien ist Volker Koepp unterwegs. Der Name stammt aus der Antike und | |
beschrieb nie eine staatliche Einheit, sondern eine Region, die immer schon | |
Grenzland zwischen Europa und Asien war. Von der Ostsee ans Schwarze Meer, | |
von der Weichsel bis an die Wolga reicht Sarmatien und umfasst Gebiete, die | |
heute zu Litauen, Polen, Moldawien, Russland und der Ukraine gehören. Auf | |
der Reise, die Koepps Film unternimmt, überlagern sich die politische, die | |
historische und die Landschaftsgeografie. Und es fehlt dabei nicht an den | |
atemberaubenden, leise bewegten Tableaus von Flüssen, Himmel und Hügeln, | |
für die Kameramann Thomas Plenert schon lange berühmt ist. | |
Das ist die Weite: die Schönheit des Landes, Johannes Bobrowskis | |
sarmatische Poesie, der Raum, der von dem, was sich in ihm ereignet hat, | |
schweigt. Da ist aber auch die Enge: das autoritäre Regime in der Ukraine, | |
die mangelnde Aussicht auf eine bessere Zukunft, die Armut der Menschen, | |
die ihre Heimat verlassen, um nicht zu verhungern. | |
## 100 Euro für die Theaterleiterin | |
Tanjas Cousine lebt auf dem Land und hat ihren Mann, der nach Spanien zum | |
Arbeiten ging, sieben Jahre nicht gesehen. Anas Mutter leitet das | |
Schauspielhaus in Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens, und verdient damit | |
100 Euro im Monat. In Czernowitz sitzt der Sohn von Rosa Roth Zuckermann, | |
Lehrer am Gymnasium und ist gar nicht sicher, dass es eine gute Idee war, | |
in der Ukraine zu bleiben. | |
Seit mehr als vier Jahrzehnten dreht Volker Koepp seine Filme. Weil er | |
immer wieder an dieselben Orte zurückkehrt, ist er sich zunehmend selbst | |
schon historisch. So sieht man Ausschnitte aus „Sarmatische Zeit“ von 1972, | |
aus „Kalte Heimat“ und auch „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“. „Im … | |
lesen wir die Zeit“ ist der Titel eines Buchs von Karl Schlögel – und in | |
Koepps Film wird das doppelt Ereignis. „In Sarmatien“ verschränkt die | |
Landschaften mit ihrer Gegenwart und der großen und der individuellen | |
Geschichte. Koepps Filme sind Akte des Festhaltens und Erinnerns, die | |
zugleich das Entgleiten und das Vergessen dokumentieren. | |
Die moderne Zeit vernichtet anders, sagt Ana einmal, und meint: | |
gründlicher, restloser. Und wenn man dann Tanja und zwei ihrer Freundinnen | |
in der Fußgängerzone in Czernowitz sieht; und wenn man hört, wie sie | |
erzählen, dass wer als Ukrainer etwas werden will, am besten die Ukraine | |
verlässt – dann schließt sich Volker Koepps weit ausgreifende | |
Sarmatien-Erkundung sehr unvermittelt an die äußerste Gegenwart an. | |
20 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Film | |
Film | |
Scarlett Johansson | |
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