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# taz.de -- Politischer Konflikt in Donezk: Die gespaltene Stadt
> Folgt nach der Krim die Ostukraine? Donezk bereitet sich auf
> proukrainische und prorussische Proteste vor. Die Lage ist angespannt.
Bild: Einsatz der ukrainischen Polizei in Donezk.
DONEZK taz | „Sie wollen also zum Lenindenkmal“, sagt die ältere Dame an
einem Fußgängerübergang in Donezk, Zentrum des ukrainischen Kohlereviers
Donbass, unter ihrem Regenschirm und lächelt. „Das ist doch gar kein
Problem. Sie gehen einfach fünf Minuten weiter, und dann sehen Sie ihn
schon. Lenin ist so groß, den kann man nicht übersehen. Aber keine Eile,
werfen Sie vorher doch noch mal einen Blick in die Seitenstraßen.“
Doch diese lassen es an Attraktivität wirklich mangeln, so der erste
Eindruck, nichts als ausgestorbene Regierungsgebäude. Doch was sich in den
scheinbar leerstehenden Gebäuden abspielt, zeigt sich erst beim genaueren
Hinsehen. Überall blitzen schwarze Helme im Scheinwerferlicht der
Taschenlampen auf. Ganze Hundertschaften befinden sich im Erdgeschoss und
im ersten Stock. Vor dem Gebäude stehen schwer beladene Lastwagen,
Stacheldrahtrollen und Dutzende von Schutzschildern der Polizei. Hier
richtet sich offensichtlich die Sonderpolizei für das Wochenende ein.
Auf dem nur wenige Schritte entfernten Leninplatz scheint Ruhe zu
herrschen. Doch auch dieser Eindruck täuscht. Direkt am Denkmal haben sich
zwei Dutzend Männer versammelt. Sie schwenken russische und rote Fahnen mit
Hammer und Sichel und der Aufschrift „KPU“, der Kommunistischen Partei der
Ukraine. Auffällig unauffällige Männer schlendern auf dem Platz hin und her
und beobachten die Fahnenschwenker.
Die Anhänger der ukrainischen Einheit treffen sich auch an diesem Tag. Ihr
Büro ist eine Drei-Zimmer-Wohnung auf dem „Boulevard der Schule“. Eine
Nobeladresse ist diese Straße nicht. Der mit Schlaglöchern übersäte Weg ist
sogar für Fußgänger eine Herausforderung, die unversehrt auf die andere
Straßenseite gelangen wollen. Die jungen Frauen, die in der engen Wohnung
hinter ihren Bildschirmen sitzen, strahlen nicht so ein Selbstvertrauen aus
wie die Männer vor dem Lenindenkmal. Sie fühlen sich in der Defensive.
Nachdem sie bei ihren Euromaidan-Aktionen im Januar von prorussischen
Jugendlichen mit Eiern und Pflastersteinen beworfen wurden, hatten sie sich
entschieden, vorläufig nicht mehr zu einer Euromaidan-Demonstration
aufzurufen. Man könne es nicht mehr verantworten, Mitbürger in Lebensgefahr
zu bringen, begründen sie ihre Entscheidung. Doch angesichts der
Kriegsgefahr gehe man nun doch wieder auf die Straße, auch an diesem
Wochenende. Sie wehren sich gegen den Vorwurf, Nationalisten zu sein, nur
weil sie bei ihren Aktionen die ukrainische Nationalhymne singen.
## „Sekretär des Stadtrats“
Die Faschisten seien auf der anderen Seite, erklärt die Journalistin
Valeria. Der Sprecher der prorussischen Kräfte, Pawel Gubarew, so Valeria,
sei von der rechtsradikalen Organisation RNE, deren Symbol stark an ein
Hakenkreuz erinnere. Zwar würden sich die Stadtoberen in ihren Äußerungen
nicht eindeutig positionieren, tatsächlich unterstützten sie jedoch die
prorussischen, separatistischen Kräfte. Dank dieser Unterstützung hätten
sich am 1. März 10.000 Menschen an einer prorussischen Demonstration im
Stadtzentrum beteiligt.
Regelmäßig blockierten prorussische Gruppen ukrainische Armeeeinheiten just
zu dem Zeitpunkt, an dem diese die Kaserne verlassen wollen. Geplante
Truppenbewegungen, so die Journalistin, seien ein Staatsgeheimnis. „Da muss
offensichtlich jemand von ganz oben den Demonstranten Details über geplante
Truppenbewegungen zugesteckt haben“, vermutet sie. „Die Demonstranten haben
sich sogar bei der Miliz einquartiert. Das System Janukowitsch lebt weiter,
nur eben ohne Janukowitsch.“
Viele Milizionäre würden mit finanziellen Anreizen auf die prorussische
Seite eingestimmt. Bei der Miliz habe sich herumgesprochen, dass russische
Milizionäre das Vierfache dessen verdienen, was ihre ukrainischen Kollegen
bekommen. Aber auch von Kiew fühlen sich die proukrainischen Bewohner von
Donezk im Stich gelassen. Als Vitali Klitschko am 9. März Donezk besucht
habe, habe sich gezeigt, wie konzeptionslos die Regierung sei. „Warum
lassen die zu, dass wir von Faschisten bei unseren Aktionen verprügelt
werden? Warum werden unsere Aktionen nicht von der Polizei vor Gewalttätern
geschützt? Klitschko ist ein intelligenter Mann, spricht vier Sprachen. Und
was macht er? Er erklärt in vier Sprachen, dass er selbst nicht weiß, wie
es weitergehen soll.“
Der Mann, der in der Bergarbeiterstadt Donezk die Fäden zieht, trägt den
bescheidenen Titel „Sekretär des Stadtrats“. Sergej Bogatschow, Professor
für Wirtschaftswissenschaften, residiert im ersten Stock des Stadtrats von
Donezk. Er glaube nicht, dass ein Krieg vor der Tür stehe. „Die Mehrheit
der Bevölkerung hier ist gegen einen Krieg. Doch wenn das offizielle Kiew
dem Osten nicht entgegenkommen wird, wissen wir nicht, wohin diese
Auseinandersetzungen führen werden. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch
radikale Veränderungen des Schicksals des ukrainischen Südostens nicht
ausschließen.“
Indirekt schließt auch Bogatschow eine Abspaltung nicht mehr aus. Die
Frage, ob die angesprochenen Veränderungen im Rahmen der territorialen
Integrität der Ukraine möglich seien, beantwortet er sibyllinisch: „Wissen
Sie, es gibt das Sprichwort: Lasst uns auf das Beste hoffen. Aber bereiten
wir uns auf das Schlimmste vor.“
21 Mar 2014
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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Donezk
Krim
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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